Das Münchner Barockensemble L’arpa festante bietet auf seiner neuesten Doppel-CD einen zweieinhalbstündigen Überblick über die zwischen 1670 und 1710 in der lutherischen Kirchenmusik beliebte Form der Choralkantate. Neben ein paar bekannteren Werken von Dieterich Buxtehude, Johann Pachelbel und J. S. Bach finden sich Ersteinspielungen von Komponisten wie Georg Österreich, Johann Samuel Welter, Emanuel Kegel und weiteren, deren Namen selbst Fachleute kaum mit konkreten Werken verbinden können.
CDs der Woche der zurückliegenden Jahre:
Krzysztof Meyer
works for violin and piano
eda records 049
1 CD • 64min • 2022, 2023
01.01.2024 • 10 10 10
Zu seinem 80. Geburtstag widmet Kolja Lessing dem Komponisten Krzysztof Meyer ein Portrait, in dessen Zentrum seine beiden Sonaten für Violine solo stehen. Da die beiden Werke im Abstand von mehr als vierzig Jahren entstanden, ergibt sich so gleichzeitig eine reizvolle Gegenüberstellung von (relativ) frühem und aktuellem Schaffen. Zusammen mit einigen Stücken mit Klavierbegleitung erhält man hier einen auch interpretatorisch exzellenten Eindruck von wesentlichen Charakteristika der Tonsprache Meyers und ihrer Entwicklung.
Eine Lanze für Johann Christoph Friedrich Bach (1732-1795), den so genannten „Bückeburger Bach“ bricht Jermaine Sprosse auf einem sensationell klangschönen Fortepiano, einem Originalinstrument von ca. 1805, das sorgfältig aufgearbeitet wurde. Der „Bückeburger Bach“ wurde von seinem Bruder Wilhelm Friedemann als „stärkster Spieler“ unter den Söhnen J. S. Bachs bezeichnet; Jermaine Sprosse hat ein breites Programm zusammengestellt, dem er sich mit Kenntnis, Hingabe und virtuoser Meisterschaft widmet.
Die Liederauswahl dieser CD mit dem Titel „Winter Journeys“, der natürlich an Schuberts Winterreise anklingt, ist zunächst irritierend, dann überraschend und schließlich doch schlüssig: Es ist eine wundersame Mischung aus Winter, Weihnachten und Sehnsucht nach Frühling und Liebe, aus Solo-Liedern und Chorgesängen, die fast alle aus der Renaissance und dem Frühbarock stammen: eine andere Art Weihnachten und eine andere Art Winterreise voller Herbheit und Süße.
Das Diogenes Quartett, das mich bereits durch seinen exzellenten Fesca-Zyklus beeindruckte, widmet sich in Vol. 2 seiner Aufnahme der Streichquartette von Friedrich Gernsheim (1839-1916) dessen letzten beiden wunderbaren Kammermusikkompositionen, dem 5. Streichquartett (1911) und dem 2. Streichquintett (1915) und erweitert so die Diskographie dieses lange unterschätzten Spätromantikers, dessen Werke zunehmend an Beachtung gewinnen.
Marlo Thinnes entfacht im Kopf der Zuhörer bei Beethovens Klaviersonaten ein Feuerwerk an Emotionen und Assoziationen. Das kann durchaus mal ungemütlich klingen, wird aber der Kompromisslosigkeit des Komponisten derart gerecht, dass man die Fortsetzung dieser so eindrucksvoll begonnenen Gesamtaufnahme kaum abwarten kann.
Christian Tetzlaff • Tanja Tetzlaff • Paavo Järvi In Memoriam Lars Vogt
Ondine ODE 1423-2
1 CD • 61min • 2022
05.02.2024 • 10 10 10
Die Widmung zu dieser bemerkenswerten CD lautet: “In Memoriam Lars Vogt” und sie ist dem dem Andenken des 2022 im Alter von 52 Jahren verstorbenen bedeutenden Pianisten gewidmet ist. Statt der üblichen Werkbeschreibung ist im Booklet ein langes, intensives Gespräch mit Tanja und Christian Tetzlaff abgedruckt, das Einblick gibt in die gemeinsame Arbeit mit Lars Vogt und über die Gründe, gerade das Doppelkonzert von Brahms, das letzte große Orchesterwerk des Komponisten, als Hauptstück für diese Gedenk-CD zu wählen.
Der Beginn dieser CD wird von allen drei Interpreten gestaltet, dann dünnt die Besetzung aus und verschiedene Konstellationen werden durchgespielt, wie man ein Blas-, ein Streich- und ein Tasteninstrument miteinander kombinieren kann. Zum Ende hin wächst das Allstar-Trio wieder zur vollen Größe an und zu einer beeindruckenden Klangpracht. Denn mit Michala Petri, Hille Perl und Mahan Esfahani leben hier drei Barock-Menschen ihre „Corelli“-Leidenschaft aus („Corellimania“), die historisch informiertes Musizieren nicht mit Emotionslosigkeit und formelhafter Rhetorik verwechseln.
Das Münchner Barockensemble L’arpa festante bietet auf seiner neuesten Doppel-CD einen zweieinhalbstündigen Überblick über die zwischen 1670 und 1710 in der lutherischen Kirchenmusik beliebte Form der Choralkantate. Neben ein paar bekannteren Werken von Dieterich Buxtehude, Johann Pachelbel und J. S. Bach finden sich Ersteinspielungen von Komponisten wie Georg Österreich, Johann Samuel Welter, Emanuel Kegel und weiteren, deren Namen selbst Fachleute kaum mit konkreten Werken verbinden können.
Für Maurice Steger, den 1971 in Winterthur geborenen Flötisten, Dirigenten. Professor und Leiter einiger Festivals, hat Bach eindeutig zu wenig für Flöte komponiert – also hat er sich selber, zusammen mit seinem Cembalo-Freund Sebastian Wienand, einiges von Bach für Flöte arrangiert und auf dieser CD versammelt. „Bach wird durch Maurice Stegers Interpretation zum überzeugenden Blockflötisten“, rühmt der Musikwissenschaftler Bernhard Schrammek aus Berlin im recht ausführlichen Booklet, das alle Werke genau beschreibt.
Welch eine gelungene Debüt-CD! Das Malion-Quartett betritt mit drei ausgefeilten Interpretationen die Klangbühne. Zudem wurde es von der Tontechnik hervorragend und in weiter Dynamik eingefangen. Da man sich mit unterschiedlichen Facetten präsentieren will, hat man die jeweils ersten Quartette dreier unterschiedlicher Komponisten gewählt und flankiert den Zeitgenossen Jörg Widmann mit den Klassikern Beethoven und Brahms.
Kaum je hat mich das Verfassen einer Rezension solche Skrupel gekostet wie bei diesem französischen Album des Quatuor Arod. Nicht aufgrund von etwas, was auszusetzen wäre, sondern in Anbetracht der phänomenalen Qualität. Vorweg: die Programmabfolge mit den französischen Klassikern von Debussy und Ravel als Rahmenwerken und dem 2017 entstandenen Streichquartett Al Asr (Tagesgebete) vom 1989 in Toulouse geborenen Benjamin Attahir (über den online erstaunlich wenig Substanzielles zu finden ist) im Zentrum ist dramaturgisch perfekt gewählt.
Die Klarinettenquintette von Johannes Brahms und Max Reger gehören wie das Klarinettenquintett Mozarts, das beiden Stücken in mancherlei Hinsicht Vorbild war, zu den letzten Arbeiten ihrer Komponisten. Im Falle Regers handelt es sich sogar um sein letztes vollendetes Werk überhaupt. Als Spätwerk im eigentlichen Sinne lässt sich freilich nur das Brahmssche Quintett op. 115 bezeichnen, stammt es doch von einem Komponisten, der sich bereits als Ruheständler gesehen hatte, bevor das überragende Spiel des Klarinettisten Richard Mühlfeld seine Schaffenskraft erneut anzufachen vermochte. Reger dagegen ist wie Mozart eines vorzeitigen, plötzlichen Todes gestorben. Dass ihm sein Quintett op. 146 zum „Spätwerk“ werden würde, konnte er nicht wissen.