Was ist es, was das Spielen oder Hören von Musik zu einem besonders tiefgehenden Erlebnis macht? Laut dem Gitarristen Juan Carlos Navarro sind es die Geschichten hinter der Musik, die einen ganz besonderen Zugang ermöglichen. Mit diesem Ansatz hat der peruanische Gitarrist die Werke auf seiner fünften CD, „La Catedral“, die bei GWK Records erschienen ist, ausgewählt. Hierauf kombiniert er Musik aus der Feder europäischer wie auch latein- und südamerikanischer Komponisten verschiedener Epochen
Drei gewichtige Klaviersonaten von Franz Schubert hat sich die Pianistin Elena Margolina vorgenommen: zwei Mal a-Moll (Nr. 14, D 704 und Nr. 16, D 805) sowie ein Mal A-Dur (Nr. 13, D 664), wobei die Nr. 16 eindeutig die gewichtigste ist. Die ersten beiden Sätze sind sehr ausgedehnt, das Scherzo ist schon deutlich kürzer und das für Schubert‘sche Verhältnisse schon sehr heitere Finale nimmt sich im Vergleich zu den beiden ersten beiden Sätzen fast schon als Appendix aus.
Der Titel „Neue Bahnen“ mutet zunächst irreführend an, wo das Programm doch zum großen Teil vertrautes Repertoire erwarten lässt. Aber diesen Eindruck relativiert der Pianist Alexey Pudinov vom ersten Ton seines Debüt-Soloalbums an. Seine Art, sich Repertoire einzuverleiben, den Notentext zu hinterfragen und alles im Licht der eigenen Emotionalität neu aufleben zu lassen –- das hat doch in jedem Moment dieser Aufnahme mit Neuerkundung zu tun.
An die Bühnenaufführungen von Béla Bartóks einziger Oper, dem Einakter Herzog Blaubarts Burg (1911), die ich im Laufe der Jahrzehnte gesehen habe, ist meine Erinnerung weitgehend verblasst, was an den Inszenierungen gelegen haben mag, ein bisschen aber auch im Stück selbst begründet liegt. Handelt es sich dabei doch um ein symbolistisches Seelendrama ohne nennenswerte äußere Handlung. Das eigentliche Drama findet im Orchester statt, und die Guckkastenbühne hat nur unzureichende Mittel, um der Vielfalt der Bilder und Farben, die in der Partitur heraufbeschworen werden, gerecht zu werden.
20th Century Russian Piano Sonatas, Anastasia Yasko
Ars Produktion ARS 38 581
1 CD • 77min • 2020
13.04.2021 • 10 10 10
Klaviersonaten sind im 20. Jahrhundert nicht etwa rar gesät, sie machen sich nur meistens rar auf vielen Konzertprogrammen. Dabei gäbe es jede Menge guter Beispiele abseits des spätromantischen Mainstreams, man denke nur an Komponisten wie Hindemith, Ives, Schönberg oder Eisler. Vier besonders interessante Sonaten russischer Provenienz hat die Pianistin Anastasia Yasko für diese CD aufgenommen. Darunter ist mit der neunten – und letzten – Sonate von Sergej Prokofiev ein selten gespieltes Werk, dessen Komponist allerdings alles andere als unbekannt ist.
Anton Rubinstein gehört als Meisterpianist, bedeutender, fruchtbarer Komponist und Begründer der St. Petersburger Konservatoriumstradition zu den prägendsten Figuren des russischen Musiklebens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er schrieb sein zweites Klavierkonzert in F-Dur op. 35 im Jahre 1854 für ein eigene Europa-Tournee. Charakteristisch für dieses Werk ist, dass die Klavierpassagen thematisch nur eher lose mit dem Orchestersatz verknüpft sind, was darauf schließen lässt, dass der Komponist sich auf diese Weise Raum für spontane Improvisationen lassen wollte.
Fast unüberschaubar ist die Zahl der Einspielungen von Beethovens Violinkonzert. Kommt eine weitere hinzu, liegt oft ein Vergleich besonders hinsichtlich der unterschiedlichen Interpretationsansätze nahe: gehen die Interpreten beispielsweise historisierend bzw. historisch informiert, analytisch oder schwelgerisch vor? Was aber, wenn sich eine neue Einspielung dieser oder einer in die gleiche Richtung zielenden Fragestellung entzieht?
Wenn es um Werke für Violoncello solo größeren Formates geht, fallen einem neben den unvermeidlichen Bach-Suiten doch recht schnell einige essentielle Stücke des 20. Jahrhunderts ein: neben den drei Cellosuiten Benjamin Brittens und der gewaltigen Sonate Zoltán Kodálys natürlich auch die von György Ligeti oder das Capriccio Hans Werner Henzes. Tatsächlich gibt es keinen Mangel an hochinteressanter, neuerer Literatur für Cello allein.
Auch wenn es schon etliche Gesamtaufnahmen der Klaviersonaten von Joseph Haydn gibt, so bekommen sie doch nicht die Aufmerksamkeit, Bewunderung und Zuwendung, die sie verdienen. Markus Becker lässt es in dieser Aufnahme an Aufmerksamkeit, Bewunderung und liebevoller Zuwendung nicht fehlen. Er hat eine eigenwillige Zusammenstellung gewählt: Es sind meist Werke im Moll-Ton, die alles in allem beim Anhören eine verinnerlichte Atmosphäre erzeugen.
Die Geigerin und Bratschistin Violeta Vicci hat spanische und schweizerische Wurzeln, studierte in London und ist hauptsächlich in Großbritannien tätig. Mit „Mirror Images‟ legt sie nun auf eindrucksvolle Weise eine CD vor, die man im Pop-Bereich als Konzeptalbum bezeichnen würde. Damit ist diese also nur bedingt vergleichbar mit Alben mit Musik für Violine solo wie Caroline Widmanns „Reflections‟ (Telos/Hänssler 2005) oder Michael Barenboims CD mit Musik von Tartini bis Sciarrino (Accentus 2018).
Anno 1735 veröffentlichte Georg Philipp Telemann im Selbstverlag 12 Fantasien für Viola da Gamba – Telemann widmete die Stücke Pierre Chaunel (1703–1789), einem Hamburger Kaufmann und Bankier hugenottischer Abstammung. Vor wenigen Jahren erst wiederentdeckt, begleiten die Fantasien jetzt das CD-Debüt der jungen Gambistin Renate Mundi auf dem Label Perfect Noise.
Alexei Stantschinski (1888-1914) hatte schon mit sechs Jahren mit dem Komponieren begonnen. Der talentierte Pianist nahm zunächst Privatunterricht bei Josef Lhévinne und Konstantin Eiges, in Komposition bei Alexander Gretschaninow. Ab 1907 studierte er am Moskauer Konservatorium bei Sergei Tanejew, lernte dort auch Alexander Skrjabin kennen, dessen Musik ihn anfangs stark beeinflusste.
Bénédiction de Dieu dans la Solitude Klavierwerke in Orgelfassungen
Franz Liszt, Bénédiction de Dieu dans la Solitude
Ambiente-Audio ACD-2041
1 CD • 69min • 2020
05.04.2021 • 10 10 10
Vor fast 35 Jahren hat Johannes Geffert an der Klais-Orgel des Limburger Domes eine Aufnahme mit Orgelbearbeitungen von Klavierwerken Franz Liszts gemacht. Damals übertrafen sich die Kritiker mit überschwänglichen Lobeshymnen, eine Kritik gipfelte gar in den Worten, diese Aufnahme sei „besser als das Original“. Legendär ist sie in jedem Fall, auch heute noch, und zwar auch wenn das knackig intonierte neoklassische Limburger Instrument mitunter schon recht kräftig zimbelt.
Johann Rosenmüller, Psalm Concertos • Sacred Concertos
cpo 555 174-2
1 CD • 71min • 2019
04.04.2021 • 9 9 9
Dem „Reclams Komponisten Lexikon“ ist Johann Rosenmüller (1617-1684) keine Erwähnung wert, ebenso wenig wie Hans Heinrich Eggebrecht in seiner „Musik im Abendland“, und auch „Reclams Chormusik- und Oratorienführer“ erwähnt nur seinen Namen, wohingegen er in „Reclams Führer zur lateinischen Kirchenmusik“ öfters rühmlich genannt wird.. Gerhard Nestler hingegen konstatiert in seiner „Geschichte der Musik“, Rosenmüller sei „als Vokal- und Instrumentalkomponist zu den Großen seines Jahrhunderts zu zählen“ und zitiert Johann Adolf Scheibe, der sagt, Rosenmüller „beschämte fast ganz Italien“.
Stand um 1800 ein Streichquartett auf dem Programm, konnte sich der Hörer zumeist auf die Folge Sonatenhauptsatz, Liedform oder Variationen, Menuett+Trio, Rondo oder Sonatenhauptsatz verlassen. Tat er das bei Joseph Haydns Erdödy-Quartetten, hatte er die Rechnung ohne den Komponisten gemacht. Diese waren 1797 exklusiv für das Hausquartett des Grafen Erdödy entstanden und durften deshalb erst zwei Jahre später im Druck veröffentlich werden.
Nach einem etwas verhaltenen Beginn entfaltet sich unter Adam Fischers Händen eine hochdramatische, gleichwohl in jedem Takt atmende Interpretation des Kopfsatzes von Mahlers Auferstehungssinfonie. Gerade in der Verknüpfung von emotionalem Druck und formaler Übersicht liegen die Stärken von Fischers Deutung: Jede Temposchwankung wird befolgt, ohne dass jedoch die Relationen in die Schieflage geraten und das Gebilde auseinanderfällt.
Aldilà Records hat während der letzten Jahre mehrfach das Schaffen Johann Sebastian Bachs in den Mittelpunkt eines CD-Programms gerückt, von diesem ausgehend die Brücke in andere Epochen der Musikgeschichte geschlagen, und dadurch die Hörer dazu angeregt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede großer Werke verschiedener Meister und Zeiten zu erfassen. Diese Idee liegt auch dem Solo-Album Gateway into the Beyond des Violinisten Lucas Brunnert zugrunde
Klaviermusik des 20. Jahrhunderts aus Serbien – wer hier ganz schwer ins Grübeln kommt, kann mit der vorliegenden CD eine ausgesprochen schöne Neuentdeckung machen. Der junge serbische Pianist Vladimir Gligorić hat bei cpo eine Aufnahme mit ausgewählten Klavierwerken seines Landmannes Vasilije Mokranjac vorgelegt. Mokranjac kam aus einer Familie, die für die Musik Serbiens von entscheidendem Einfluss war: Sein Großonkel Stevan Stojanovi Mokranjac war einer der Begründer des heimischen Nationalstils und eine bedeutende Figur in der serbischen Romantik.
History of the Russian Piano Trio • 2, Tchaikovsky • Pabst
Naxos 8.574113
1 CD • 73min • 2017, 2018
30.03.2021 • 10 10 10
Das in Moskau beheimatete Brahms-Trio legt bei Naxos die zweite Folge seiner Anthologie zur „Geschichte des russischen Klaviertrios“ vor. Anscheinend sind die Musiker darum bemüht, das Programm einer jeden CD dieser Reihe im Hinblick auf eine bestimmte Thematik zusammenzustellen. War die erste Folge mit Aljabjew, Glinka und Anton Rubinstein gewissermaßen den „Gründervätern“ der russischen Kammermusik gewidmet, so könnte über CD Nr. 2 das Motto „In Memoriam“ stehen, sind doch die beiden hier eingespielten Trios als persönliche Trauerarbeiten entstanden und jeweils dem Andenken eines großen Musikers gewidmet.
Vier CDs mit Streichquartetten von Friedrich Ernst Fesca hat das Amaryllis Quartett aufgenommen, insgesamt acht Werke mit den Opusnummern 2, 4, 7, 14 und 36. Es ist die zweite Folge einer Gesamteinspielung aller Quartette des zwar sehr produktiven, heutzutage allerdings eher vergessenen Komponisten. Der Zeitgenosse von Louis Spohr und Carl Maria von Weber war seinerzeit vor allem für seine Streichquartette bekannt und berühmt. Sein Name fiel in einem Atemzug mit Mozart, Haydn und Beethoven, wohl auch ein Hinweis auf seine kompositorisch sehr raffinierte Musik, die sich mit der seiner berühmten Kollegen messen lassen konnte – und immer noch kann.
Der venezolanisch-französische Komponist Reynaldo Hahn, der 1874 in Caracas geboren wurde und 1947 in Paris starb, studierte zusammen mit Maurice Ravel am Conservatoire de Paris – ist aber heute im Gegensatz zu seinem berühmten damaligen Mitschüler im Musikleben eher unterrepräsentiert. Liegt es daran, dass er sich in seinem Schaffen den zeitgenössischen Modeströmungen verweigerte, dass sich seine Kammermusik manchmal fast wie ein Rückzugsraum vor den heftigen Umwälzungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anfühlte?
Wenn ein Saxofon und ein Akkordeon zum kammermusikalischen Wettstreit antreten, ist auf jeden Fall geballtes Potenzial am Start – klanglich, dynamisch und expressiv. Noch wichtiger ist, dass die Musiker „hinter“ den Instrumenten etwas zu sagen haben. Das Duo Aliada ist sich auf jeden Fall seiner Qualitäten bewusst. Schon die breit gefächerte Stückeauswahl auf ihrer aktuellen CD zeugt von unerschütterlichem Selbstbewusstsein.
Ein fantasievolleres Programm, das sich um Antonio Vivaldis Musik rankt, kann man sich wohl kaum denken: Zwei Blockflötenkonzerte und ein Violinkonzert aus Vivaldis Feder erklingen hier eingebettet in Werke zweier zeitgenössischer deutscher Komponisten: Mark Scheibe (Jg. 1968) und Moritz Eggert (Jg.1965). Dazu ergibt sich noch eine beeindruckende symmetrische Reihenfolge
Beethovens zehn Violinsonaten setzen in ihrer Entstehungszeit nicht weniger neue Maßstäbe als seine Klaviersonaten oder Streichquartette. Abgesehen von der Betitelung als „Sonaten für Klavier und Violine“ und nicht umgekehrt, was jedoch zeittypisch ebenfalls bei Mozart zu finden ist, wird bei Beethoven aber in der Tat eine in vielerlei Hinsicht neue Art des kammermusikalischen Duettierens erprobt, die aufregend konsequent dialektisch abläuft.
Friedrich Gulda ist als begnadeter Interpret in die Musikgeschichte eingegangen und hat Diskurse bewegt. Zuwider war dem Wiener Enfant terrible jede wohlgeordnete Trennung zwischen bürgerlicher Klassik und sogenannter Unterhaltungsmusik – die Engstirnigkeit der Kritiker forderte so manche, heute legendäre provokative Aktion heraus.
Um eine Beethoven-Hommage der etwas anderen Art handelt es sich bei der Aufnahme „Nur wer die Sehnsucht kennt“, die bei Ambiente Audio erschienen ist. Hinter dem interessanten Konzeptalbum steckt als Kopf des Ganzen der deutsche Komponist Enjott Schneider. „Beethovens letztes Lied seiner vier Vertonungen des Textes von J.W. von Goethe gehört zu den schönsten Klavierliedern der Musikgeschichte. […] Und so entstand Ende 1019 meine Idee, Beethovens kleines Lied zum 250. Geburtstag einmal in den Mittelpunkt zu stellen und mit neukomponierten Werken bei meinen Mitmenschen Interesse dafür zu wecken.“
Friedrich Ernst Fesca (1789-1826) gehört – wie auch Ferdinand Ries und Andreas Romberg – heutzutage in die Reihe der großen Unbekannten unter den Beethoven-Zeitgenossen. Schön, wenn cpo hier wieder einmal für enzyklopädische Aufklärung sorgt! Dass er von den Zeitgenossen speziell für seine Streichquartette geschätzt wurde, beweist, dass Carl Maria von Weber diesen Werken mit dem 1818 in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ erschienenen Artikel Die Tondichtweise des Herrn Konzertmeisters Fesca in Karlsruhe, nebst einigen Bemerkungen über Kritikwesen überhaupt Tribut zollte.
Manchmal braucht es gar keine Titelbezeichnungen, wenn schon aus einem Klavierspiel an sich so viel Bildkraft strömt. Das ist bei der französischen Pianistin Martine Vialatte der Fall. Sie nimmt sich den Préludes von Claude Debussy an, danach werden diese von zwei zeitgenössischen Stücken von Tristan Murail „beantwortet“.
Territorial songs, Works for Recorder by Sunleif Rasmussen
OUR Recordings 6.220674
1 CD • 73min • 2020
20.03.2021 • 10 10 10
„Wie kann man im 21. Jahrhundert originell und anspruchsvoll für Blockflöte komponieren?“ mag sich Sunleif Rasmussen – der einzige je auf den Färöer-Inseln geborene Komponist –, der am 19. März 2020 seinen 60. Geburtstag feierte und in Skandinavien hohes Ansehen als Sinfoniker genießt, gefragt haben. Zumal dann, wenn sie der Grande Dame des Instruments, mit der man auch noch eng befreundet ist, gefallen müssen.
Er war ein Phänomen, ein musikalischer Solitär, eine Ausnahmeerscheinung und auch ein Original: Gordon Sherwood. Der amerikanische Komponist hatte die besten Aussichten, eine rasante Karriere hinzulegen, doch stattdessen entschied er sich für ein rastloses Leben. Zunächst mit seiner Frau in Afrika, dann alleine in Asien und schließlich als Bettler in Paris mit Zwischenstationen in Costa Rica und England.