Piano Fantasies
Claudia Schellenberger
Kaleidos KAL 6362-2
1 CD • 61min • 2022
29.01.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Zu dem Begriff der Klavierphantasie schreibt Jürgen Uhde (in „Beethovens Klaviermusik I, Stuttgart 1980, S. 113f) treffend: „Eine Phantasie zu komponieren ist letztlich ein Widerspruch in sich selbst. Denn ‚Phantasieren‘, ‚Improvisieren‘ heißt, innerhalb eines Formplans im Einzelnen spontaner Eingebung zu folgen, während das ‚Komponieren‘ genaueste Planung bis ins letzte Detail voraussetzt… Indessen ist keine der Phantasien der Klavierliteratur wirklich nur aufgeschriebene Improvisation, sondern in jedem Fall sorgfältig geplante Komposition.“ Beim Hören diese CD mit gesammelten Klavierphantasien von Bach bis Brahms kommt man zu der Meinung, dass Claudia Schellenberger die „sorgfältig geplante Komposition“ bekräftigen möchte.
Improvisation oder Planung ?
So herrscht in Bachs c-Moll-Phantasie BWV 906 nicht stürmische Bewegtheit, sondern sorgfältig geplante chromatische Überraschungen – die dann eben nicht mehr so überraschen. Der Hörer wird nicht durch Überschwang überwältigt, sondern durch Transparenz überzeugt. Dabei ist der Rhythmus durchaus etwas leicht swingend.
In Beethovens g-Moll-Phantasie op. 77, der längsten und ausschweifendsten der hier gespielten Phantasien, ist das Versinken in harmonische Untiefen schön gestaltet, auch das figurative Spiel der Variationen gefällt, die Punktierungen sind absolut präzise gestanzt: Die eruptive Gewalt, die so viele Beethoven’schen Werke prägt, kommt weniger zur Geltung.
Das nur zu berühmte Fantaisie-Impromptu von Chopin nimmt Claudia Schellenberger langsamer als die meisten Kolleginnen und Kollegen, sie hebt sorgfältig das rhythmische Gegeneinanderspiel der Hände hervor, entdeckt in den Eckteilen rhythmisch abwechslungsreiche Feinheiten, lässt’s schön glitzern und artikuliert die Melodie im Mittelteil versonnen-nachdenklich – alles ist „richtig“ gespielt, genau, überlegt, eben „geplant“. Die Mittelteil-Melodie singt nicht scheinbar absichtslos vor sich hin, die schnellen Passagen stürmen nicht absichtslos dahin: kompositorische und eben interpretatorische Planung ist hörbar. Es ist ein „pädagogisches“ Spiel.
Ohne drängenden Überschwang
Schumanns Drei Fantasiestücke op. 111 fehlt der drängende Überschwang und die fast manische Besessenheit, mit der ein Motiv wieder und wieder traktiert wird: „sehr rasch, mit leidenschaftlichem Vortrag“ verlangt Schumann und Christoph Schulte schreibt im Booklet von „stürmischen wie chaotischen Elementen, die die Form aufsprengen und große Leidenschaft ausdrücken“. Die Leidenschaft hier ist mehr beschrieben als gelebt. Der marschartige Beginn des 3. Fantasiestücks könnte wesentlich wuchtiger markiert werden, wie es beispielsweise Jörg Demus, Claudio Arrau oder Vladimir Horowitz tun, die merkwürdige melodische Abgerissenheit im zweiten Teil dieses Stückes müsste entweder verstärkt sein oder – wie es Jörg Demus macht – ins Flirrend-Impressionistische zerstäubt werden.
Die Fantasien op. 116 von Johannes Brahms, die diese Sammlung beschließen, sind wiederum perfekt und genau gespielt. Aber, wenn man sie beispielsweise mit den Interpretationen von Evgeni Koroliov vergleicht, der beim Label Tacet alle Brahms’schen Intermezzi zusammenfasst, ist es zu schulbuchmäßig genau gespielt. Koroliov spielt belebter, spontaner, auch klangzaubriger und immer so, als wenn er beim Spielen selber erstaunt sei, wie traumschön diese Musik ist. Die Nr. 7 daraus ist mit der Vortragsbezeichnung „Allegro agitato“ überschrieben – Claudia Schellenberger bleibt da doch das „kraftvolle Feuer“, von dem das Booklet spricht, schuldig, auch wenn man das nicht so wildentschlossen hämmern muss wie Gregori Sokolov.
Das Tonbild ist sehr direkt, man meint, mit den Ohren zwischen den Saiten zu hängen, man hört bisweilen die Dämpfer sich heben und fallen und manchmal ist es etwas klirrig.
Rainer W. Janka [29.01.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Fantasie c-Moll BWV 906 | 00:04:42 |
Ludwig van Beethoven | ||
2 | Fantasie g-Moll op. 77 | 00:09:42 |
Franz Schubert | ||
3 | Fantasie c-Moll D 2E | 00:06:25 |
Robert Schumann | ||
4 | Drei Fantasiestücke op. 111 | 00:10:58 |
Frédéric Chopin | ||
7 | Impromptu Nr. 4 cis-Moll op. 66 (Fantaisie-Impromptu) | 00:05:25 |
Johannes Brahms | ||
8 | Capriccio d-Moll op. 116 Nr. 1 (aus 7 Fantasien op. 116) | 00:02:23 |
9 | Intermezzo a-Moll op. 116 Nr. 2 | 00:04:08 |
10 | Capriccio g-Moll op. 116 Nr. 3 | 00:03:04 |
11 | Intermezzo E-Dur op. 116 Nr. 4 | 00:04:42 |
12 | Intermezzo e-Moll op. 116 Nr. 5 | 00:03:29 |
13 | Intermezzo E-Dur op. 116 Nr. 6 | 00:03:25 |
14 | Capriccio d-Moll op. 116 Nr. 7 | 00:02:17 |
Interpreten der Einspielung
- Claudia Schellenberger (Klavier)