Grażyna Bacewicz
Complete Symphonic Works Vol. 1
cpo 555 556-2
1 CD • 54min • 2021
16.01.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Grażyna Bacewicz (1909-1969), die jugendliche Hochbegabung als Geigerin und Komponistin, erhielt nach frühen Abschlüssen in Polen bei Carl Flesch und Nadia Boulanger in Paris den letzten Schliff. Für die Förderung polnischer Komponistinnen wurde sie später zu Recht eine Ikone. Gerade ihr symphonisches Schaffen – in ihrer Heimat mittlerweile neben den Werken Lutosławskis oder Pendereckis Standardrepertoire – hat leider noch nicht so richtig den Weg in den Westen gefunden. Umso erfreulicher, dass cpo für seine nun begonnene Gesamtaufnahme unter Łukasz Borowicz das WDR Sinfonieorchester gewinnen konnte. Bacewiczs Symphonien Nr. 3 und Nr. 4 (entstanden 1952 bzw. 1953) geben immer noch klar Zeugnis vom Einfluss der großen Lehrmeisterin Boulanger – hier jedoch bereits mit einer ganz persönlichen Sprache, besonders der Orchestrierung, und in wirklich staunenswerter Weise vervollkommnet.
Neoklassizismus in höchster Vollendung
Die beiden Stücke folgen äußerlich dem traditionellen, viersätzigen Modell, sind noch tonal, wenn auch mit verschärfter Harmonik. Wer Bacewiczs Musik noch nicht kennt, wird sich am ehesten an Honeggers Symphonik erinnert fühlen. In der rhythmischen Prägnanz gerade der 3. Symphonie nimmt die Polin allerdings bereits Lutosławskis wenig später komponiertes, berühmtes Konzert für Orchester vorweg. Überhaupt bleibt die thematisch-motivische Arbeit immer verständlich, selbst im größeren Formzusammenhang: So erscheint schon in der knappen Einleitung der Dritten das gesamte Material des Kopfsatzes, und das Hauptthema kehrt am Schluss des Finales wieder. Während Roland Bader bei der Krakauer Aufnahme von 1991 in den Ecksätzen, vor allem dem anfänglichen „Drammatico“, recht pauschal, ja bisweilen grob agiert und oberhalb des Fortes keine genügend differenzierte Dynamik mehr abliefert, ist Borowiczs Lesart viel feiner, der Orchesterklang gerade der Holzbläser genauer abgestuft. Emotional erscheint sein Spektrum ebenso breiter, und er beachtet die Tempoangaben der Komponistin fast wörtlich. Bader hingegen nimmt den langsamen Satz deutlich zu schnell – in dessen Mittelteil sogar um gut 50% –, ist dafür im Scherzo allzu träge. Borowicz beweist, dass die Partitur hier Recht hat: Das Andante bekommt so mehr Tiefgang, das Vivace wirkt umso spritziger. Das Finale mit seiner großartigen Apotheose gelingt dem Kölner Orchester virtuoser, klanglich absolut brillant; man spürt dessen offenkundige Freude an dieser Musik – über die gesamte CD.
Auch volkstümliche Elemente in Bacewiczs 4. Symphonie
Bacewiczs 4. Symphonie – bereits die letzte, die einen ebensolchen Titel trägt – ist einerseits größer besetzt, gleichzeitig etwas knapper dimensioniert. Die dramatische Haltung nimmt hier, ganz fabelhaft im 2. Satz (Adagio) mit seinen delikat geteilten Streichern, schon eher postromantische Züge an, zum Glück ohne irgendwelche hausbackene Nostalgie. Wohl weniger als Zugeständnis an Postulate des „Sozialistischen Realismus“, sondern eingedenk der Spätphase Karol Szymanowskis, verwendet die Komponistin im imposant quirligen Scherzo ein bewusst volkstümliches Thema. Das Finale wird rhythmisch dominiert und endet mit einer grandiosen Choralgeste. Borowicz – der ausführliche Booklettext stammt übrigens ebenfalls vom Dirigenten – legt hier mit dem exzellent und hochpräzise aufspielenden WDR Sinfonieorchester eine maßstabsetzende Einspielung hin, deren durchsichtige Aufnahmetechnik gleichermaßen überzeugt. Diese Musik ist spannend und durchgehend mitreißend – nur wer Neoklassizismus generell nicht zu schätzen weiß, sollte die Finger davon lassen. Für alle anderen: ausdrückliche Empfehlung!
Vergleichsaufnahme (Symphonie Nr. 3): Staatsphilharmonie Krakau, Roland Bader (Koch/Schwann 3-1143-2, 1991).
Martin Blaumeiser [16.01.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Grażyna Bacewicz | ||
1 | Sinfonie Nr. 3 | 00:29:31 |
5 | Sinfonie Nr. 4 | 00:24:42 |
Interpreten der Einspielung
- WDR Sinfonieorchester Köln (Orchester)
- Łukasz Borowicz (Dirigent)