Schubert
Schwanengesänge
CAvi-music 8553206
1 CD • 76min • [P] 2019
23.10.2019
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Eine stimmungsmäßig herbstlich gedämpfte Liederauswahl haben der Tenor Markus Schäfer und der Pianist Tobias Koch hier getroffen, denn neben Schuberts Schwanengesang künden auch die dazu ausgewählten Lieder von Abschied, Liebes-Ende und Gräbern. Auch Auf dem Strom ist eine ergreifende Abschiedsszene, die durch die emphatischen Sext- und Sept-Sprünge des hier mit der Singstimme dialogisierenden Horns (hervorragend auf einem Naturhorn geblasen von Stefan Katte) beeindruckt.
Zuerst soll jedoch von dem Pianisten die Rede sein: Es ist schier unglaublich, welchen Farbenreichtum und welche Vielzahl von Klangschattierungen Tobias Koch dem Pianoforte von 1820/30 entlockt: Sanft umhüllt dieses hervorragend klingende und mit satt-warmem Bassklang versehene Instrument den Sänger und deckt ihn nie zu. Jeder Tonartwechsel wird zum Ereignis. Die dumpf-düsteren punktierten Eingangsakkorde in Kriegers Ahnung erinnern an einen Trauermarsch, die pedalisierten Nonolen in Die Stadt gaukeln ganz impressionistisch trügerisch-vernebelte Luftspiegelungen vor und die dunklen Eingangsakkorde in Der Doppelgänger schaffen sofort dunkel-beklommene Stimmung.
Markus Schäfer ist ein typisch „deutscher“ Tenor mit klarem Timbre und einer recht geraden Stimme, wobei der Vokal „i“ in der Höhe manchmal eng und der Vokal „o“ zu „a“ wird. Dazu verwendet Markus Schäfer eine ganz deutliche Diktion, der er vor dem Melodiefluss den Vorrang einräumt. So verkürzt er bei punktierten Werten bisweilen die Noten zugunsten des Sprachflusses und artikuliert so überdeutlich, dass man zwar nie die Texte vermisst (die eben nicht im Booklet mit abgedruckt sind), dass aber manchmal die gesungenen Worte darunter leiden: So wird das Wort „sinkender“ in seiner Diktion zu „sinkhenter“.
Andrerseits erreicht Markus Schäfer dadurch eine schier überrumpelnde Eindringlichkeit, ein Miterleben und oft Mitleiden des Hörers. In der Frühlingssehnsucht spürt man die rastlose Unruhe der Seele in seiner Stimme, eine Unruhe, die ja in der Klavierbegleitung sich schon Raum verschafft. Und Der Atlas ist eine fast schreiende Liebes-Schmerzversicherung, die weit über die im Heine’schen Text doch immer mitschwingende Ironie hinausgeht. Beide wählen oft eigenwillige Tempi: Aus dem von Schubert vorgegebenen „Ziemlich langsam“ bei In der Ferne wird ein „Sehr langsam“, obwohl schon die langen Notenwerte die Langsamkeit in sich tragen. Dafür wird der gesungene innere Schmerz noch lastender. Aus der Tempoangabe „Mäßig geschwind“ bei dem Lied Abschied wird hier „Sehr schnell“, was dafür aber gerade im Klavier zu etwas Stampfend-Verzweifeltem wird. So erweisen sich die Tempoänderungen als wohlüberlegt.
Wohlüberlegt sind auch die Notenveränderungen, bzw. Verzierungen, die beide im Booklet-Text als „kreative Anverwandlung des Notentextes“ für sich in Anspruch nehmen. Dies überrascht, zwingt einen zum Blick in die Noten und zur im Text auch formulierten Frage: Wann wird Subjektivität zu Manieriertheit? Der Rezensent hat diese Frage für sich beantwortet: Im Ständchen grenzt’s an sentimentale Manieriertheit, als ob der Sänger bei dieser gesungenen Liebeserklärung mehr auf die Kunstfertigkeit der Erklärung als auf die Erklärung der Liebe selber achten wolle. Allerliebst dafür ist Die Taubenpost, bei der man sich die gurrenden Liebesboten als mit kleinen taubenblauen Bändchen geschmückt vorstellen kann.
Rainer W. Janka [23.10.2019]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Franz Schubert | ||
1 | Schwanengesang op. 23 Nr. 3 D 744 | 00:02:57 |
2 | Der Winterabend D 938 | 00:06:17 |
3 | Die Sterne D 939 (1828) | 00:03:12 |
4 | Auf dem Strom D 943 für Tenor, Horn und Klavier (op. posth. 119) | 00:09:15 |
5 | Herbst D 945 | 00:03:29 |
6 | Liebesbotschaft D 957 Nr. 1 (aus: Schwanengesang D 957) | 00:02:42 |
7 | Kriegers Ahnung D 957 Nr. 2 (aus: Schwanengesang D 957) | 00:05:29 |
8 | Frühlingssehnsucht D 957 Nr. 3 (aus: Schwanengesang D 957) | 00:03:54 |
9 | Ständchen D 957 Nr. 4 (Leise flehen meine Lieder - aus: Schwanengesang D 957) | 00:03:27 |
10 | Aufenthalt D 957 Nr. 5 (aus: Schwanengesang D 957) | 00:02:48 |
11 | In der Ferne D 957 Nr. 6 (aus: Schwanengesang D 957) | 00:07:00 |
12 | Abschied D 957 Nr. 7 (aus: Schwanengesang D 957) | 00:04:02 |
13 | Der Atlas D 957 Nr. 8 (aus: Schwanengesang D 957) | 00:02:01 |
14 | Ihr Bild D 957 Nr. 9 (aus: Schwanengesang D 957) | 00:02:48 |
15 | Das Fischermädchen D 957 Nr. 10 (aus: Schwanengesang D 957) | 00:01:55 |
16 | Die Stadt D 957 Nr. 11 (aus: Schwanengesang D 957) | 00:02:52 |
17 | Am Meer D 957 Nr. 12 (aus: Schwanengesang D 957) | 00:04:12 |
18 | Der Doppelgänger D 957 Nr. 13 (aus: Schwanengesang D 957) | 00:03:51 |
19 | Die Taubenpost D 965a (aus: Schwanengesang D 957) | 00:04:06 |
Interpreten der Einspielung
- Markus Schäfer (Tenor)
- Tobias Koch (Klavier)
- Stephan Katte (Horn)