Brahms
Die Klaviertrios
Gramola 99251
2 CD • 1h 52min • 2021
20.05.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Mit der Selbstaussage „Ich habe zu viel Schopenhauer gelesen und schaue mir die Sachen anders an“ schaffte es Johannes Brahms, seinen Schützling Dvořák sehr zu betrüben. Der tief gläubige jüngere Kollege deutete, so erzählt es Josef Suk, diese Aussage als religiösen Skeptizismus. Mindestens so plausibel ist es, Brahmsens philosophische Lektüre weltanschaulich zu deuten. Das würde erklären, warum gerade die Musik der späteren Jahre so resignativ, melancholisch, traurig klingt.
Und so wird Brahms ja oft gespielt. Auch Thomas Albertus Irnberger, David Geringas und Lilya Zilberstein, die sich hier gewissermaßen zu einem „All Star“-Trio zusammengefunden haben, zeigen einen akuten Sinn für die hoffnungslos verlöschenden oder metaphysisch raunenden Passagen. Doch in dieser interpretatorisch nicht weniger als phänomenal geratenen Gesamtschau der vier Klaviertrios ist Brahmsens Schopenhauerianismus eben nur eine Haltung unter vielen, die der Komponist einnehmen kann, nicht der alles beherrschende Grundton.
Der ganze Mikrokosmos
Die vier Klaviertrios entstanden zwischen 1854 und 1892, umspannen also die gesamte Schaffenszeit des Komponisten. Irnberger, Geringas und Lilya Zilberstein entdecken in diesem Werkbestand denn auch nicht weniger als den gesamten Brahms´schen Mikrokosmos an Haltungen, Situationen und Affekten. An erster Stelle sollte man sein oft unterschlagenes Faible für einen etwas makabren Humor nennen, wie ihn die Musiker in den beiden Presto-Sätzen der Trios Nr. 2 C-Dur und Nr. 3 c-moll so pointiert wie lustvoll treffen. Scheinbar unverwandt kontrastiert diesen Momenten die tief empfundene Andacht im Adagio des Trios Nr. 1 H-Dur (hier in der revidierten Version von 1891), deren Versunkenheit so stark an den zweiten Satz des ersten Klavierkonzerts erinnert. Der Geiger Irnberger und der Violoncellist Geringas intonieren hier so rein wie ein Engels-Chor, sanft mischt Lilya Zilberstein das Klavier dazu wie eine Art erinnerter Orgel. Umso beunruhigender wirkt darauf die nur mühsam unterdrückte, raubtierhafte Gefährlichkeit, mit der das Scherzo ins Fortissimo ausbricht.
Das Trio als Überinstrument
Im Ganzen blättern die drei Ausnahmesolisten also gleichsam einen umfassenden Katalog der Haltungen und Gesichter auf, die Brahms eben auch auskomponierte und die weit über das von ihm selbst gepflegte Bild des bärtigen, zigarrerauchenden, ansonsten gepflegt pessimistischen Dr. h. c. hinausreichen. Dessen Komponieren in dieser einzigartig komplexen, oft widersprüchlichen Weise nachzuzeichnen, setzt auf Seiten des Ensembles eine geradezu telepathisch sichere Kommunikation voraus. Tatsächlich spielen die drei für sich berühmten Solisten in einer makellosen Feinabstimmung zusammen, die beim Hören an eine seit Jahrzehnten etablierte Formation denken lässt. Man höre etwa, wie im zweiten Trio Violine und Violoncello den Klang jeweils gemeinsam modulieren, sich aufeinander zubewegen, sodass sich die hymnischen melodischen Bögen wölben wie von einem Arm auf einer Art Überinstrument gestrichen. Ähnlich elektrisierend wirkt, wie Irnberger, Geringas und Lilya Zilberstein die typisch Brahms´schen rhythmischen Keimzellen instantan als Impulse zu aufgewühlten Entwicklungen auffassen.
Fehlt die Klarinette?
Ein Wort noch zum Trio a-moll op. 114. Die Klarinettisten werden nicht recht begeistert sein, aber in der exemplarischen Art und Weise, wie Thomas Albertus Irnberger die erste Stimme mit der Bratsche spielt (was vom Komponisten bereits im Titel des Werkes ausdrücklich zugelassen wurde), hat man das Blasinstrument beim Hören schnell vergessen. Das ist weniger ein Zeichen von Untreue als vielmehr Ausdruck dessen, dass das Trio in dieser Besetzung zu einem ganz eigenen Stück wird: Durch die Homogeneität der beiden Streichinstrumente tritt stärker heraus, wie oft sich die beiden Stimmen antworten, sich fortsetzen oder ineinander spiegeln, zumal Irnberger aus der Bratsche mit spürbarer Lust an der ungewohnten Tiefe alles an Erdigkeit und Verschattetheit aus dem wunderbaren Instrument herausholt. Er macht die Viola nicht etwa zu einer tieferen Violine, überträgt aber auf sie Schmelz und Kantabilität seines angestammten Instruments. Und der Ländler im „Andante grazioso“ ist, wie Irnberger, Geringas und Lilya Zilberstein ihn sich drehen lassen, einfach hinreißend.
Alles in allem ist hier eine neue Referenzaufnahme dieses Repertoires zu begrüßen. Sie hätte übrigens bestimmt auch den Beifall Schopenhauers gefunden, der bekanntlich selbst die lebensfreudige Musik ganz besonders schätzte.
Prof. Michael B. Weiß [20.05.2022]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
1 | Klaviertrio Nr. 1 H-Dur op. 8 | 00:35:10 |
5 | Klaviertrio Nr. 2 C-Dur op. 87 | 00:30:26 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Klaviertrio Nr. 3 c-Moll op. 101 | 00:21:50 |
5 | Trio a-Moll op. 114 für Klarinette, Violoncello und Klavier | 00:24:10 |
Interpreten der Einspielung
- Thomas Albertus Irnberger (Violine)
- David Geringas (Violoncello)
- Lilya Zilberstein (Klavier)