Joseph Canteloube
Chants d'Auvergne
BIS 2513
1 CD/SACD stereo/surround • 69min • 2020
12.10.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
So funktioniert Europa im kulturellen Glücksfall: Eine englische Sängerin singt mit Begleitung eines finnischen Orchesters französische Lieder für ein schwedisches Plattenlabel. Das Ergebnis ist rundum überzeugend.
Joseph Canteloube (1879-1957) zählt zu den gar nicht wenigen Komponisten, die nur mit einem einzigen Werk dauerhaft in die Musikgeschichte eingegangen sind. Die Chants d’Auvergne, die zwischen 1923 und 1954 in fünf Heften veröffentlicht wurden, sind eine Sammlung originärer Volkslieder aus einer Region, die dem Komponisten schon von Jugend auf vertraut war. Er folgte in ihrer Adaption einem europäischen Trend der Zeit, mit der Rückbesinnung auf die Volksmusik zu den Quellen zurückzugehen und sie für das eigene musikalische Schaffen fruchtbar zu machen. Béla Bartók und Zoltan Kodályi in Ungarn, Ralph Vaughan William und Gustav Holst in England und Manuel de Falla in Spanien sind die prominentesten Beispiele. Doch Canteloubes Sammlerfleiß hatte weniger ethnographische Gründe, für ihn waren die Lieder Ausgangs- und Spielmaterial, und das üppige orchestrale Gewand, das ihnen umgehängt wurde, lässt die Grenzen zwischen Arrangement und Eigenschöpfung oft verschwimmen.
Manchmal zu viel des Guten
Die Vorlagen haben einen weiten Ausdrucksradius: Tanzlieder, Wiegenlieder, Reiselieder, Arbeitslieder und vor allem Hirtengesänge. Dazwischen gibt es humoristische Momentaufnahmen. Und das alles im Dialekt der Auvergne, der keltische wie lateinische Wurzeln hat und nur von ferne an Französisch erinnert. In der Art, Landschaft mit musikalischen Mitteln zu „inszenieren“, folgt Canteloube seinem Lehrer Vincent d’Indy und besonders seiner Symphonie sur un chant montagnard français. Es geht ihm darum, die Begleitmusik der Natur in Klangfarben, Rhythmen und Harmonien zu übertragen. Das gelingt ihm in einigen Liedern sehr schön. Etliche Soli der Oboe und der Klarinette zaubern eine pastorale Atmosphäre. Oft werden Natur- und Tierlaute (Kuckuck, Esel) nachgeahmt. Doch in einigen Fällen wäre weniger mehr gewesen. Da gerät der Komponist in Gefahr, die schlichten Volkslieder symphonisch zu überladen. Besonders wenn es um Liebesleid geht, wird die natürliche Melancholie pathetisch aufgeblasen.
Immer der richtige Ton
Von den 30 Liedern der Sammlung hat es nur eines, das Hirtenlied Baïlèro, in die „Hitparade“ der Klassik geschafft. Die Diskographie ist nichtsdestoweniger sehr ansehnlich, seit die französische Sopranistin Madeleine Grey 1930 in sehr temperamentvoller Weise 11 Titel auf Schallplatten eingespielt hat. In jüngerer Zeit hat Véronique Gens bei Naxos eine erfreulich unsentimentale Referenzeinspielung (mit dem Orchester von Lille unter Jean-Claude Casadesus) vorgelegt. Das neue Album bei BIS ist dieser gleichberechtigt zur Seite zu stellen. Man muß die Sängerin Carolyn Sampson bewundern, die mit nach wie vor wunderbar aufblühendem Sopran für alle Stimmungen und Stile den richtigen Ton findet, mal jungmädchenhaft-naiv (Lo fiolairé), mal mütterlich warm (Brezaiola, Per l’efon), mal keck und übermütig (Tchut, tchut) oder auch präzise komödiantisch (Oï ayaï, Lou coucut). Die Tapiola Sinfonietta zeigt unter dem französischen Maestro Pascal Rophé viel Einfühlung in das Idiom der Musik, glänzt in instrumentalen Details und geht auch in die Vollen, wo Canteloube es nahe legt.
Ekkehard Pluta [12.10.2021]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Marie-Joseph Canteloube | ||
1 | La pastoura als camps | 00:02:33 |
2 | Baïlèro | 00:05:37 |
3 | L' aïo dè rotso (Bourrée) | 00:01:12 |
4 | Ound' onorèn gorda? (Bourrée) | 00:03:10 |
5 | Obal din lou Limouzi (Bourrée) | 00:02:34 |
6 | Pastourelle | 00:03:23 |
7 | La delaïssádo | 00:04:14 |
8 | N'aï pas iéu de mio (Bourrée) | 00:03:55 |
9 | Lo calhé (Bourrée) | 00:01:46 |
10 | Lo fiolairé | 00:02:19 |
11 | Passo pel prat | 00:03:01 |
12 | Lou boussu | 00:02:11 |
13 | Brezairola (Berceuse) | 00:03:00 |
14 | Malurous qu'o uno fenno | 00:01:28 |
15 | Jou l'Pount d'o Mirabel | 00:04:04 |
16 | Oï ayaï | 00:03:02 |
17 | Per l'éfon | 00:02:33 |
18 | Tchut, tchut | 00:02:02 |
19 | Lou coucut | 00:01:50 |
20 | Quan z'eyro petitoune | 00:02:41 |
21 | Là-haut, sur le rocher | 00:03:51 |
22 | Hé! beyla-z-y dau fé! | 00:01:52 |
23 | Tè, l'co, tè! | 00:00:36 |
24 | Uno jionto postouro | 00:02:41 |
25 | Lou diziou bé | 00:01:15 |
Interpreten der Einspielung
- Carolyn Sampson (Sopran)
- Tapiola Sinfonietta (Orchester)
- Pascal Rophé (Dirigent)