
OehmsClassics OC 593
1 CD • 74min • 2007, 2006
29.04.2008
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Was soll man noch weiter zu einer Schubert-Deutung sagen, die einem den Atem nimmt, der aber von der ersten bis zur letzten Note keineswegs der Atem ausgeht, die gleichermaßen sorgfältig durchdacht wie spontan daherkommt? Ohne sich bewusst in Lobesarien ergehen zu wollen: Nichts in Herbert Schuchs Herangehensweise an die Sonate G-Dur D 894 (1826) und die Sonate a-Moll D 537 (1817) wirkt vorhersehbar. Sie ist ebenso beispielhaft wie beispiellos, auch wenn, oder gerade obwohl laut CD-Booklet Alfred Brendel den 28-jährigen Pianisten „bei seiner Arbeit an der vorliegenden Schubert-CD bereichert und angeregt hat“.
Herbert Schuch, einer der aufsehenerregendsten Wettbewerbsteilnehmer der letzten Jahre, bewegt sich risikofreudig und gleichzeitig souverän zwischen asketischer Analyse und beklemmenden Gefühlsausbrüchen und macht damit die Ecken und Kanten des Klaviersatzes beider Sonaten wie unter einem Vergrößerungsglas für jeden sichtbar. Gerade der großdimensionierte und jedes Zeitgefühl außer Kraft setzende erste Satz der G-Dur-Sonate und das zart-sehnsuchtsvolle Andante mit seinen impulsiven und beängstigend ungestümen Momenten zeugen von Schuchs entwaffnender Gestaltungskraft – und von seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Tonsprache und Gefühlswelt Schuberts. Mit jeder unverwechselbar modellierten thematischen Gestalt, mit jeder individuell charakterisierten Note beweist der Kämmerling-Schüler ein faszinierendes Gespür für kontrastierende Dynamik- und Klangebenen. Schönheit und Schmerz rücken in diesen beiden Sätzen auch Dank Schuchs nuancenreicher Tonformung und weicher Kantabilität auf das Engste zusammen, doch läuft die expressive Unmittelbarkeit in seinem Spiel nie Gefahr, zum Selbstzweck zu verkommen. Das gilt in gleichem Maße für die Wiedergabe der sowohl kraftvollen als auch rätselhaft melancholischen, neun Jahre vor der Fantasie-Sonate entstandenen Sonate a-Moll. Bei aller Detailarbeit bleibt Schuch stets auf die spannungsvolle Großarchitektur konzentriert und zeigt schon allein damit interpretatorische Größe.
Schuberts Musik birgt unbestritten – wie es das Beiheft der CD nennt – „zukunftsweisendes Potenzial“. In Helmut Lachenmanns Guero (1969), einer Komposition, in der auf Tastenflächen, Wirbeln und Saiten erzeugte Geräusche den Flügel zum „schnarrenden Rhythmusinstrument“ umfunktionieren, ist das nicht unbedingt nachvollziehbar. Ganz anders verhält es sich aber mit Lachenmanns Fünf Variationen über ein Thema von Franz Schubert (1956). Diese sind zum größten Teil dem spielerischen und tänzerischen Charakter von Schuberts Deutschem Tanz cis-Moll D 643/1 verpflichtet, arbeiten aber ebenso mit dem für Schubert typischen unterschwelligen Brodeln und eruptiven Momenten. Besonders die Flüchtigkeit des Klangs ist ein wichtiges Wesensmerkmal der Musik Lachenmanns. In der letzten Variation nimmt das Entstehen und Verebben einzelner Akkorde in Herbert Schuchs Spiel fast schon gespenstische Züge an, um dann, einer von Lachenmann zu diesem Zweck geplanten Introduktion gleich, wie selbstverständlich in dem Beginn von Schuberts Sonate G-Dur aufzugehen.
Christof Jetzschke [29.04.2008]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Helmut Lachenmann | ||
1 | Fünf Variationen über eine Thema von Franz Schubert für Klavier | 00:07:53 |
Franz Schubert | ||
2 | Klaviersonate Nr. 18 G-Dur op. 78 D 894 | 00:40:01 |
6 | Klaviersonate a-Moll D 537 | 00:21:20 |
Helmut Lachenmann | ||
9 | Guero für Klavier solo | 00:05:29 |
Interpreten der Einspielung
- Herbert Schuch (Klavier)