Opera Rara ORC 35
3 CD • 2h 42min • 2006
27.02.2008
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Giovanni Pacini (1796-1867) dürfte wohl der fleißigste aller italienischen Opernkomponisten gewesen sein. Etwa hundert Opern hat er verfaßt und übertrifft damit den auch nicht gerade untätigen Donizetti ganz beträchtlich (ihm war allerdings auch die längere Lebensdauer beschieden). Ein Übertreffen, das sich freilich bloß auf die Quantität bezieht, denn Pacini war kein Original-Genie, sondern ein begabter Imitator. In seinem Schaffen spiegelt sich vorwiegend die Kunst anderer Komponisten wider: Rossini (dieser vor allem), Bellini, Donizetti, später auch der junge Verdi. Pacini, der eine interessante Selbstbiographie verfaßt hat (aus der ein Abschnitt im Beiheft wiedergegeben wird), beherrschte das musikalische Dekorum der italienischen Opernwelt perfekt, es gibt in seinen Werken dramatische Steigerungen, wirkungsvolle Arien und Ensembles, auch manchen Überraschungsmoment. Andererseits hört man aber auch viel Routine und Trivialität. Was fehlt, ist jener „spiritus“, der imstande ist, aus musikalischer Fabrikation ein Kunstwerk zu erschaffen. Bezeichnend, daß diesen Opern trotz aller Momentan-Erfolge kein rechtes Nachleben beschieden war – Saffo aus dem Jahr 1840 vielleicht ausgenommen; bezeichnend auch, daß keine einzige Opernmelodie aus Pacinis überreichem Schaffen jemals populär geworden ist.
Alessandro nell‘Indie (Neapel 1824) beruht auf einem Libretto des alten Metastasio. Alexander der Große (Tenor) verliebt sich in die indische Fürstin Cleofide (Sopran), diese wiederum wird von einem einheimischen Herrscher geliebt, von Poro, eine Rolle für Mezzosopran. Nach allerlei Verwicklungen, Kriegen und Mordanschlägen verzichtet Alexander großmütig auf Cleofide und führt das Liebespaar zusammen: La clemenza di Alessandro.
Die CD-Serie Opera rara, diese nicht hoch genug zu lobende Spenderin unbekannter Kostbarkeiten, bringt diese Rarität in jener liebevollen Ausführung, wie man dies von den bisherigen Produktionen gewohnt ist. Gute alte Bekannte sind im Besetzungsteam zu finden: Das prachtvoll musizierende London Philharmonic Orchestra unter David Parry, beste Garantie für eine vollendete Wiedergabe. Der unentwegte Tenor Bruce Ford, der diesmal seine Virtuosität und seinen erstaunlichen Tonumfang als Alexander der Große unter Beweis stellt. Das Merkwürdige an dieser Partie besteht darin, daß sie nicht nur die obligaten hohen Töne verlangt, sondern auch jene Region, in der ansonsten nur Bariton und Baß zu Hause sind – ein Zugeständnis an die ersten Sänger der Rolle, Nozzari, Tacchinardi und David, die allesamt für ihre „Tonraketen“ von hoch bis tief (und umgekehrt) berühmt waren. Jennifer Larmore als indischer König Poro läßt bravouröse Vokal-Girlanden ertönen, Laura Claycomb (Cleofide) steht ihr darin nicht nach, sie stimmt auch einige Vogeltöne in der dreigestrichenen Lage an, die wohl kaum von Pacini stammen. Dieses Trio beherrscht die ganze lange Oper, für die beiden weiteren Rollen (Timagene, Gandarte) bleibt dramatisch und gesanglich nicht viel übrig.
Kommentar und Ausstattung der Aufnahme sind wie stets vorbildlich. Opera rara kündigt noch weitere Aktivitäten zugunsten Pacinis an. An Material dazu kann es nicht mangeln.
Clemens Höslinger [27.02.2008]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Giovanni Pacini | ||
1 | Alessandro nell'Indie (Dramma per musica in 2 Akten) |
Interpreten der Einspielung
- Bruce Ford (Alessandro - Tenor)
- Jennifer Larmore (Poro, König in Indien, verliebt in Cleofide - Mezzosopran)
- Laura Claycomb (Cleofide, Königin eines anderen Teils Indiens - Sopran)
- Dean Robinson (Timagene, Alessandros Vertrauter - Bariton)
- Mark Wilde (Gandarte, Poros Feldherr - Tenor)
- Geoffrey Mitchell Choir (Chor)
- London Philharmonic Orchestra (Orchester)
- David Parry (Dirigent)