Ambronay AMY 004
1 CD • 77min • 2004
21.06.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Alessandro Scarlattis wahrscheinlich 1693 in Rom uraufgeführte „Judith“ der Gattung „szenisches Oratorium“ zuzuordnen ist zwar musikwissenschaftlich korrekt, in der Sache aber so, als wenn man Hitchcocks Vögel als Naturfilm-Matinee anböte. Der ebenso leidenschaftliche wie dramatische Geist von Scarlattis expressiv-hochbarocker Musik und das virtuose Libretto (vermutlich das anonyme Werk eines hochrangigen Kardinals) gehen hier eine Liaison ein, deren Tempo, Temperament und Energie bereits viele Aspekte einer durchkomponierten Oper aufweisen. Das liegt vor allem an der besonders kunstvollen, gestisch reichen Variabilität und Intensität der Rezitative, die mit einer gewissen Rücknahme der exponierten Position der Arien einhergeht, so daß sich ein immer wieder fast atemloser großer dramaturgischer Bogen ergibt.
Gleich mit den ersten musikalischen Atemzügen teilt sich dieser Aufbau mit, wenn nach knappem, motivisch zugespitztem Vorspiel ein gestisch packendes, in barock-(verrückten) Energieströmen vibrierendes Rezitativ in die erste Arie mündet, wobei die Stimme der Judith selbst die Kriegstrompeten intoniert „Trombe guerriere...“! Céline Riccis so geschmeidiger wie hochenergetischer Sopran versteht es optimal, die martialisch-tonmalerischen Eskapaden ihres Parts mit der notwendigen sinnlichen Wärme und femininen Ausstrahlung zu verbinden, wie sie für die Rolle der Judith notwendig ist. Adriana Fernández trifft mit ihrem lyrischen, weicheren Sopran den nicht minder virtuosen und komplexen, aber nicht ganz so exponierten Part des Prinzen Hosea. Auch Holophernes bleibt musikalisch gezähmter und zurückgenommener als Judith, was allerdings nicht an dem äußerst flexiblen und farbenreichen Countertenor Martin Oro liegt, sondern an der Komposition, die Holophernes zunächst auch instrumental mit Trompeten auftreten läßt und ihn damit etwas relativiert – wirkliche Trompeten und nicht innere, wie sie aus Judiths Stimme tönten.
Martin Gester und das Straßburger Orchester Le Parlement de Musique vermitteln bei äußerster Transparenz und ornamentaler Plastizität eine extreme emotionale Stringenz jenseits allen barocken Zwirns; dem Straßburger Parlament und der EU-Kommission wünschte man leidenschaftlich die Klarheit und Kompetenz dieses Orchesters – aber das wäre auch ein Thema dieses Meisterwerks, wie emotionale Kompetenz und Schlauheit (Judith) politische Fakten verändern. Allerdings müßte man heute Holophernes nicht gleich den Kopf abschlagen!
Hans-Christian v. Dadelsen [21.06.2006]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Alessandro Scarlatti | ||
1 | La Giuditta (Oratorium) |
Interpreten der Einspielung
- Céline Ricci (Sopran)
- Adriana Fernandez (Sopran)
- Martin Oro (Countertenor)
- Vincenzo di Donato (Tenor)
- Bruno Rostand (Bass)
- Le Parlement de Musique (Orchester)
- Martin Gester (Dirigent)