
Alpha Productions Alpha 700
2 DVD-Video • 4h 22min • 2004
20.01.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Daß alte Musik auf den Originalinstrumenten ihrer Zeit gespielt wird, ist heute längst eine Selbstverständlichkeit geworden. Der Gedanke, Authentizität der Darstellung auch im szenischen Bereich anzustreben, hat dagegen in einer Zeit hemmungsloser Aktualisierungen etwas scheinbar völlig Abwegiges.
Die französische Truppe Le poème harmonique hat jedoch einen solchen Versuch erfolgreich abgeschlossen, an einem denkbar geeigneten Objekt - der Ballettkomödie Le bourgeois gentilhomme von Molière und Lully, die im Auftrag von Louis XIV. entstand und am 23. November 1670 im Königlichen Schloßtheater zu Paris uraufgeführt wurde. Es handelt sich dabei um eine Art „Gesamtkunstwerk”, denn Schauspiel, Musik und Tanz verbinden sich zu einem homogenen dramatischen Ganzen.
Ausgehend von der These, daß Molière im allgemeinen und der Bourgeois gentilhomme im besonderen nur aus dem Geiste der Entstehungszeit ganz zu begreifen seien, haben die jungen französischen Theatermacher (Regie: Benjamin Lazar) Sprache und Darstellungsstil der Molière-Zeit rekonstruiert. Die Schauspieler sprechen stets frontal zum Publikum, auch wenn sie auf der Bühne im Dialog mit anderen Personen stehen, und verbinden ihre verbalen Aussagen mit einer artifiziellen, dem Gesang schon nahekommenden Sprechmelodie und einer bis in die Fingerspitzen ausgefeilten Gestik und Körpersprache. Das ist zunächst gewöhnungsbedürftig, doch das strenge formale Korsett hindert die Schauspieler keineswegs daran, einen komödiantischen Spielwitz zu entfalten, der auch an den Grenzen der Klamotte nicht Halt macht.
Diese Spiellaune, verbunden mit einem geradezu besessenen Perfektionismus, zieht auch den anfangs skeptischen Betrachter in ihren Bann, und man begreift, gleichsam zum ersten Mal, in welchem Maße Molières Sprache musikalisch und tänzerisch konzipiert ist; die gelungene Einheit der drei Künste steht im bewußten Widerspruch zum Postulat einer Kunst als Nachahmung der Natur.
Es macht ein großes ästhetisches Vergnügen, den Schauspielern, Sängern und Tänzern bei ihrer Arbeit zuzusehen. Insbesondere die zentrale Gestalt des Mr. Jourdain wird in der Darstellung von Olivier Martin Salvan zu einem ausgesprochenen Sympathieträger, dem man den närrischen Tick, die Adligen nachahmen zu wollen, gerne nachsieht angesichts seines naiven, aber unersättlichen Bildungshungers und seiner überaus raschen Lernfähigkeit. Daß er dabei nur Unsinn in sich aufnimmt, entspricht der satirischen Absicht des Autors, der hier einen Rundumschlag gegen alle Pseudo-Wissenschaft führt.
In der zentralen Türken-Zeremonie, in der Jourdain zum „Mammamutschi”, zum Paladin des Großtürken, erhoben wird, haben Gesang und Tanz eine zwingende dramaturgische Bedeutung, während das fast 40minütige musikalische Finale, dem die Akteure als Zuschauer beiwohnen, den Ansprüchen eines vom Anlaß völlig losgelösten höfischen Divertissements entspricht. Das ist die Stunde des vorher eher marginal zum Einsatz kommenden Dirigenten Vincent Dumestre, der seine Kapelle stilecht und mit Verve aufspielen lässt. Die Choreographin Cécile Roussat versucht dabei, den nur fragmentarisch überlieferten tänzerischen Stil von 1670 einfühlsam neu zu erfinden.
Eine angefügte 50minütige Fernsehdokumentation beschreibt den Arbeitsprozeß der Künstler, die hier zu einem festen Team zusammengeschweißt wurden und offenbar von jener Erotik des Lernens und Entdeckens fasziniert sind, die auch die Komödienfigur Jourdain antreibt.
Ekkehard Pluta [20.01.2006]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Jean-Baptiste Lully | ||
1 | Le Bourgeois Gentilhomme op. 60 (Comédie-ballet nach Molière) |
Interpreten der Einspielung
- Le Poème Harmonique (Ensemble)
- Vincent Dumestre (Dirigent)
- Benjamin Lazar (Inszenierung)
- Cécile Roussat (Choreographie)