cpo 999 875-2
1 CD • 74min • 2001/2002
14.11.2002
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die Werke von Ernst Boehe (1880-1938) sind der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz ein Herzensanliegen: Boehe zählt quasi zu den Vätern des 1919 gegründeten Pfalz-Orchesters; er dirigierte es von 1920 bis zu seinem Tod. Er hat frisch und originell geschrieben, wie diese verdienstvolle CD-Premiere beweist. Boehes Hauptwerk ist ein 90-minütiger Zyklus sinfonischer Dichtungen, Aus Odysseus' Fahrten op.6, deren erste drei hier vorgelegt werden. Leider fehlt (noch) Episode IV. Der Hinweis im Booklet, Boehe selbst habe einzelne Teile in seine Programme aufgenommen, ist eine schwache Entschuldigung: dem Zyklus fehlt das Finale.
Boehes Tonsprache steht in der Tradition von Strauß und Mahler, deutet aber auch auf die progressive Folge-Generation eines Zemlinsky, Thiessen und Schreker. Die Werke haben kühne Passagen und sind weiträumig disponiert, opfern allerdings mitunter auch inhaltliche Konzentration dem Effekt. In der Tragischen Ouvertüre dachte ich bei Tr.1, 17'55: Was für ein origineller Schluß – Pauken und Bässe befestigen leise pulsierend und ersterbend die Grundtonart, und darüber verklingt ein Tremolo hoher Streicher. Leider folgt dann eine laute Coda...
Der erste Teil des Odysseus-Zyklus wirkt in der thematischen Erfindung und Anlage etwas schwächer als die beiden Folge-Sätze: Die Zerschmetterung des Schiffes durch Poseidon (vor Tr. 1, 13'24) und die Steigerung davor sind plakativ und ziemlich dürftig. Der Held scheint danach eher ratlos als niedergedrückt. Als Abschluß eines selbständigen Konzert-Teils (wie vom Booklet unterstellt) würde das so wohl kaum befriedigen. Teil II, Die Insel der Circe, verspricht betörende Klangmalerei, und Boehe enttäuscht hier sein Publikum nicht. Die Lust von Odysseus und Circe facht er mit größter Glut an. Wo man aber den Höhepunkt erwartet (Tr.3, 14'55), schlägt die Musik psychologisch sehr wirkungsvoll in des Helden Erkenntnis um, daß er einem Zauber verfallen ist und an sich Penelope liebt. Teil III bildet einen Gegenpol zu Teil II: Die Klage der Nausikaa schildert den Schmerz des Verlassen-Werdens aus der Sicht der Verlassenen. Der Anfang dieses Teils erinnert an den frühen Sibelius und könnte so in der Kullervo-Sinfonie stehen. Am Ende grüßt auch Mahlers Auferstehungs-Sinfonie (nach Tr.4, 13'28).
Diese Musik klingt in ihrer Erschütterung sehr ehrlich und ist vielleicht das Beste, was Boehe zu bieten hat (kein Wunder vielleicht: Der Zyklus ist dem Gedenken der eigenen Mutter gewidmet). Die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und Werner Andreas Albert stürzten sich mit größter Begeisterung in diese Musik. Die Musiker spielten im wahrsten Sinne des Wortes inspiriert und wecken mit Nachdruck den Wunsch, Boehes Werke würden öfter im Konzertsaal erklingen. Leider deckt jedoch in den Tutti das Blech oft alles Übrige zu. (Man muß der Ehrlichkeit halber aber auch sagen: Würden die Blechblasinstrumente heute nicht um ein Drittel größer und somit lauter gebaut als um 1900, gäbe es auch keine Balance-Probleme) Und: klingelte da bei den Aufnahmen wirklich ein Handy (Tr.1, 17'55) ???
Dr. Benjamin G. Cohrs [14.11.2002]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Ernst Boehe | ||
1 | Tragische Ouvertüre op. 10 | |
2 | Odysseus' Fahrten |
Interpreten der Einspielung
- Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz (Orchester)
- Werner Andreas Albert (Dirigent)