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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

Ein Fenster zu...

Paul Hindemith

Hör-Tipps anhand von ausgewählten Werken

Für Virtuosen schrieb er genau so anspruchsvoll wie praktikabel für Laien. Paul Hindemiths Werk ist so breit und unterschiedlich aufgefächert, dass es schwer fällt, Weniges und Repräsentatives herauszugreifen. Dazu kommt, dass Hindemith auch als Musiktheoretiker und Kompositionslehrer großen Einfluß hatte. In einer Zeit, in der die Stile begannen, auseinanderzudriften, bot er ein sachliches, auf Musikantentum und Spielfreude abzielendes Idiom als Grundlage an. Das hatte auch mit Handwerk zu tun. Harald Genzmer, einer der wichtigsten Schüler Hindemiths, erzählt, dass manche Studenten mit „Tränen aus dem Unterricht liefen“. Hindemith war sehr streng: Sie hatten nicht „anständig gearbeitet“. Doch diese Wahrnehmung, die vor allem den späten und arrivierten Hindemith im Gedächtnis hat, unterschlägt seinen avantgardistischen, dabei immer lustvoll frechen Ausgangspunkt.

Werk-Auswahl

Frühwerk:

Mittlere Phase:

Spätwerk:

Denn Hindemith schaltete sich mit seinem selbstbewußten Auftreten auf der Komponistenbühne in die heiße Phase des Expressionismus ein. Es ist bezeichnend, dass eines seiner ersten öffentlichen Stücke eine Oper war; bis in seine Spätzeit hinein finden sich musiktheatralische Elemente in seinen Werken, auch in den instrumentalen. Der Weg, den Hindemith in seinem Erstling Mörder, Hoffnung der Frauen ging, stellt sich freilich im Rückblick als nur kurzes Stück seines Wegs dar. Schwer zu sagen, worum es in diesem verrätselten Stück von Oskar Kokoschka eigentlich geht. Krieger, geschlossene Tore und verlorene Schlüssel, ein verwundeter Mann, der seine Kraft wiedergewinnt, als er sich von einer Frau lossagt – diese Bilderwelt schreit nach Musik. Interessanterweise verstören heute weniger die modernistischen Signale, die Hindemith bewußt einsetzt, etwa die harten Dissonanzen des Anfangs, die wie Stachel auch in erwachende Melodien gesetzt sind. Es irritiert vielmehr, wie konsequent Hindemith jegliche Reinheit der musikalischen Sprache vermeidet. Die dräuende Ursuppe des Beginns mündet in eine geradezu straussisch aufblitzende leuchtende Geste. Die Klangwelt kann von expressionistischer Künstlichkeit sein, wenn auf einen Befehl des „Mannes“ eine fast maschinenartige Ostinatoentwicklung einsetzt oder mit ungut-leisen Hintergründigkeiten, hohen Flötentönen und Trommelwirbeln, eine Atmosphäre des Unbehagens erschaffen wird. Hindemith kann jedoch auch das romantische, schwärmerische Idiom auf den Plan rufen, wenn der Mann ein schönes Arioso anstimmt. Anpassungsfähig ruft Hindemith die Stile ab. Vielleicht gerade wegen dieser Vielzahl der Idiome ist dieses wenig bekannte Frühwerk heute wieder aktuell.

Verrückter Goldschmied und Bayerischer Defiliermarsch

Erst vor diesem Hintergrund ist außerdem verständlich, was die Abkehr von dieser Haltung bedeutete. Denn Hindemith ließ sehr bald darauf, noch in den zwanziger Jahren, die berühmte „Neue Sachlichkeit“ Einzug halten. Äußerlich zeigt sich das darin, dass der Barock wieder entdeckt wird; für die Sieben Kammermusiken, von denen jede für eine andere Besetzung geschrieben wurde, mußte denn auch oft der Vergleich mit den Brandenburgischen Konzerten Bachs herhalten. Und tatsächlich lehnt sich der erste Satz der Fünften Musik für Solo-Bratsche, den sich Hindemith als führender Bratscher seiner Zeit selbst auf den Leib schrieb, an die barocke Ästhetik an. Die Solobratsche ist mit ihren schnellen Sechzehntelketten fest eingespannt in eine tuckernde Bewegung des Ensembles. Wie in barocken Konzerten gesellen sich ihr andere Soloinstrumente zu, die Flöte oder die Baßklarinette. Als Gliederungsmittel fungiert eine Wechselnote, wie sie sich so oft bei Bach findet, die die Blöcke voneinander abhebt. Aber die Aneignung des Barocks geschieht nicht ohne humorvolle Ironie. Denn ganz entgegen dem stilistischen Reinheitsgebot wird im letzten Satz der Bayerische Defiliermarsch zum Thema der Variationen. Kompositionstechnisch wasserdicht und originell bricht sich durch diesen Marsch die motorische und schlichte Rhetorik der Solo-Bratsche.

Einen Umstand hatte Adorno in einer zwei Jahre nach der Uraufführung erschienenen Kritik an Hindemiths Oper Cardillac vor allem bemängelt. Die Sujetwahl sei zufällig; mit dem romantisch-dämonischen Goldschmied Cardillac, der seine Kunden ermorden muß, um wieder an seine Werke, sein Lebenselixier zu gelangen, verbinde Hindemith nichts. Genau das war jedoch nicht der Fall. Wie auch in späteren Werken steht in der Kriminalgeschichte Cardillac ein schaffendes Individuum im Vordergrund, ein Künstler, der sich eben durch seine Kunst und den damit verbundenen Zwang gegen die Gesellschaft stellt. Arioso und Duett, die den zweiten Akt einleiten, nachdem Cardillac in der Nacht zuvor wieder einen Kunden erstochen hat, zeigen dessen pathologische Züge. Bei der Einleitung stehen die spitzen und eckigen Figuren der Bläser im Vordergrund, aus denen sich langsam das Tenorsaxophon herausschält. Dieses Instrument, eine Chiffre der Moderne, gibt in einer so verschlängelten wie melancholischen Melodie eine Ahnung von Cardillacs Seelenzustand. Seine dem Gold verfallene Seele kennt keine Ruhe. Cardillac ist ein moderner Stadtmensch, ein Arbeitswütiger, der nur in seinen Kunstwerken leben kann. Auch darin ist Hindemiths verkürzt als barockisierend oder neoklassisch beschriebene Musik adäquat für ein solches Sujet.

Sterne auf der ewigen Bahn

In seiner theoretischen Einstellung war Hindemith unzeitgemäß; im scharfen Gegensatz zu Schönberg ging er davon aus, dass es eine Art von musikalischer Natur gebe, Gesetze, in die auch der Komponist nicht eingreifen sollte. In seiner Oper Mathis der Maler, die von dem Renaissance-Maler Matthias Grünewald handelt, reaktiviert er sogar die antike Theorie, die Musik sei himmlischen Ursprungs. Im sechsten Bild, erster Auftritt sind Mathis und Regina, die Tochter des Bauernführers und Rebellen Schwalb, auf der Flucht. Mathis erklärt ihr die Musik als ein Abbild des „Höheren“; Hindemith greift hier auf das Vorspiel der Oper, das „Engelkonzert“, zurück. Nur dass das Engelkonzert nicht nazarenisch ist; leicht, anmutig und fröhlich bewegen sich Flöte und Streicher. Wenn Mathis ein geradezu kosmisches Bild von den „ewigen Bahnen“ der Engel gibt, begleitet eine schlanke Streicherfigur, die in freier Imitation gleichsam durch das All schwebt. Zwanglos schwingt sich Regine mit der alten Melodie „Es sungen drei Engel“ nach Art einer Choralbearbeitung über Mathis’ Kosmologie. Eine geistliche, ja hymnische Musik, im nach wie vor nicht schwärmerischen, tendenziell sachlichen Stil Hindemiths – das ist möglich, da dieser sich sozusagen mit der musikalischen Natur im Einklang befindet.

In seiner vorletzten Oper Die Harmonie der Welt fand dieses spekulative Denken seine vielleicht reifste Ausprägung. Wie schon bei Mathis gibt es auch hierzu eine allerdings früher entstandene Sinfonie, die mit einer „Musica Mundana“ („Himmelsmusik“) schließt: eine Art Ballett von Sternen, dem Symbol eines geometrischen Spiels. Hindemith schließt mit einer gewaltigen Passacaglia; deren Thema wird zu Beginn fugiert dargestellt. Mit seinen zwei Quintschritten weist es sich als voll mit der antiken Musiktheorie kompatibel aus. Obwohl das volle Orchester spielt, dominieren die Bläserfarben; allgemein wurde damals deren größere Objektivität und Neutralität empfunden. So wirkt das Fugato fast entmenschlicht. Keine Form als die Passacaglia ist besser dazu geeignet, einen Kreislauf von immergleichen Bewegungen darzustellen, ohne ermüdend zu wirken. In einer rezitativischen Passage befindet man sich sozusagen in den Weiten des Alls. Ein vollkommeneres Symbol einer musikalischen Kosmologie läßt sich wohl nicht finden. Hindemith hat mit dieser astronomischen Musik die vielleicht reinste Verkörperung eines ästhetischen Lebensthemas gefunden.

Prof. Michael B. Weiß

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