Georg Philipp Telemann
Französischer Jahrgang 1714/1715
Complete Cantatas Vol. 5

cpo 555 440-2
2 CD • 2h 31min • 2023
15.09.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Da wundert sich der Rezensent, dem erst im Januar die vierte Doppel-CD des Zyklus vorlag, dass Felix Koch mit seinen Gutenberg Soloists und dem Neumeyer Consort bereits im August einen neuen Strauß mit 9 Kantaten zu Himmelfahrt, Pfingsten, Trinitatis mitsamt 5 Folgesonntagen aus Georg Philipp Telemanns „Französischem Jahrgang“ von 1714/15 vorlegen kann, die von weiter vertieftem Eindringen Zeugnis ablegen. Diese gelangen jetzt wirklich perfekt und sind ausschließlich mit Freude anzuhören.
Weites kompositorisches Ausdruckspektrum
Mag die Kunstfertigkeit Johann Sebastian Bachs die Nachwelt auch zu stärkerer Bewunderung veranlasst haben, war es jedoch Telemann, der zur Entstehungszeit der Weimarer Kantaten Bachs bereits über ein wesentlich weiteres Ausdrucks- und Formenrepertoire verfügte. Vor allem ist die sinnfällige Natürlichkeit seiner Melodik und Sanglichkeit seiner virtuosen Passagen hervorzuheben. Dabei beherrschte er den archaisch-kontrapunktischen „Stile antico“ genauso, wie die neuesten Tanz- und Arienformen. Beides kombiniert er höchst abwechslungsreich in der Kantate zum 3. Pfingsttag, Der Herr ist mein Hirte (CD 2, Track 25 ff.), die kurioserweise eines der längsten Werke des Zyklus‘ einem eher nachrangigen Festtag zuordnet. Vor allem werden Rezitativ, Arioso und Arie in ihren nahtlosen Übergängen äußerst flexibel gehandhabt.
In der Himmelfahrtskantate Der Himmel ist offen baut Telemann eines seiner raffinierten Rondeaux (CD 2, Track 1 ff,): Bereits der Eingangschor ist in sich als Rondeau angelegt. Ein Tenor-Rezitativ fungiert als zusätzliches Couplet, worauf der Tenorsolist den Refrain wieder aufnimmt, und ein weiteres Couplet anfügt, woraufhin der Chor den Abschlussrefrain übernimmt. Ebenso raffiniert die Mischung der Affektgesten im Eingangschor von Kommt alle (CD1, Track 1) oder die Übernahme der Einleitung in die nachfolgende Bass Arie in Wahrlich, ich sage Euch (CD 1, Track 7). Absolut hitverdächtig in seiner Bildhaftigkeit Eitle Güter fahren hin aus derselben Kantate, in der Komponist den pompösen Beginn geradezu atomisiert. (CD 1, Track 13).
Gelungenes „geistliches Singen und Spielen“
Felix Koch und seine Gutenberg Soloists nebst Neumeyer Consort gelingt es, sich über das bereits höchst gelungene Vol. IV hinaus nochmals zu steigern. Warum er allerdings trotz der hohen Tessitur der Singstimmen – Alt und Bass bis f, Sopran bis h2 auf 440 Hz musiziert, wobei er dann das c-moll der Partitur von „Wahrlich“ in das a-moll der Orgelstimme transponiert, verstehe ich nicht. Bei einer Orgel im Chorton von 466 Hz ergibt eine Terztransposition einen Stimmton von 392 Hz. Da die Continuo-Stimmen für den Organisten ansonsten jedoch in den Stimmensätzen um einen Ganzton tiefer transponiert sind dürfte 415 Hz dem Original entsprechen. Aber was soll’s, wo so schwungvoll und affektbewusst musiziert wird, sei es eben so. Auch glänzen die Solisten hier durchweg und vermeiden jegliche ruppige Geholze in den virtuosen Koloraturen. Sie wären also unbedingt auch in den nächsten Produktionen einzusetzen!
Aufnahmetechnik und das ausführliche Booklet mit zwei exzellenten Essays von Immanuel Ott und Florian Zimmermann sind vorbildlich.
Fazit: Felix Koch, seine Ensembles und Solisten leben mittlerweile den Stil des 23-jährigen Telemann und werden den vielen Facetten mehr als gerecht. Bildhaftes Predigen, das vor allem denjenigen gefallen dürfte, denen Bach immer zu ernst, zu wenig abwechslungsreich und langatmig erschien. Definitiv empfohlen. Vol. IV und V werden wohl einen gemeinsamen Platz auf meiner Jahresbestenliste einnehmen.
Thomas Baack [15.09.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Georg Philipp Telemann | ||
1 | Kommt alle, die von so manchem Sündenfalle TWV 1:1004 (Kantate zum 3. Sonntag nach Trinitatis) | 00:16:40 |
7 | Wahrlich, ich sage euch TWV 1:1494 (Kantate zum 1. Sonntag nach Trinitatis) | 00:13:52 |
15 | Ich recke meine Hand aus TWV 1:854 (Kantate zum 2. Sonntag nach Trinitatis) | 00:15:38 |
21 | Jesus sei mein erstes Wort TWV 1:986 (Kantate zum 5. Sonntag nach Trinitatis) | 00:18:10 |
30 | Ein ungefärbt Gemüte TWV 1:434 (Kantate zum 4. Sonntag nach Trinitatis) | 00:10:54 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Der Himmel ist offen TWV 1:295 (Kantate zu Himmelfahrt) | 00:15:36 |
11 | Wer mich liebet, der wird mein Wort halten TWV 1:1590 (Kantate zum 1. Pfingsttag) | 00:13:22 |
18 | Also ... Schweig mein Mund TWV 1:89 (Kantate zum 2. Pfingsttag) | 00:16:37 |
25 | Der Herr ist mein Hirte TWV 1:264 (Kantate zum 3. Pfingsttag) | 00:29:09 |
Interpreten der Einspielung
- Helene Grabitzky (Sopran)
- Lieselotte Fink (Alt)
- Hans-Jörg Mammel (Tenor)
- Nicolas Ries (Bass)
- Ágnes Kovács (Sopran)
- Jeff Mack (Altus)
- Christoph Pfaller (Tenor)
- Gutenberg Soloists (Ensemble)
- Neumeyer Consort (Ensemble)
- Felix Koch (Dirigent)