A Swoosh of Dreams
Reinhard Schwarz-Schilling • Heinrich Kaminski
The Complete Songs

Aldilà Records ARCD 028
2 CD • 1h 30min • 2024
03.06.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Unter den relativ jungen, vom CD-Volumen her eher kleinen Labeln unserer Tage gehört Aldilà Records sicherlich zu denjenigen mit einem besonders markanten, unverwechselbaren Profil, was etwa die Auswahl der Komponisten oder die Konzipierung der Alben anbelangt. So auch auf der vorliegenden Neuerscheinung: Heinrich Kaminski (1886–1946) und sein Schüler Reinhard Schwarz-Schilling (1904–1985) gehören zu den Komponisten, die ganz besonders im Fokus des Labels stehen, und ebenso typisch ist, dass die Doppel-CD eben nicht „nur“ das (komplette) Schaffen beider Komponisten für eine Singstimme und Klavierbegleitung bietet, sondern noch eine Reihe klug ausgewählter Beigaben, die die Musik gewissermaßen kontextualisieren. Die Mitwirkenden sind die Sopranistin Christiane Libor und der Bassbariton Stephan Klemm, am Klavier begleitet Hartmut Höll.
Zwischen Eichendorff und Bach
Die erste CD ist im Wesentlichen Reinhard Schwarz-Schilling gewidmet. Seine Drei Eichendorff-Lieder WV 19 (1941–44) sind prächtige, anspruchsvolle, von romantischem Geist erfüllte Werke mit einem substantiellen Klavierpart und mitunter (vgl. Mittelteil des ersten Lieds) geradezu deklamatorischen Elementen. Im Vergleich ist der Zyklus Der wandernde Musikant WV 20 (1944, ebenfalls auf Texte von Eichendorff) durchsichtiger gehalten und verrät stärker den für Schwarz-Schilling so prägenden Einfluss Johann Sebastian Bachs. Diesen Tendenzen begegnet man ebenso in den Drei Mailiedern WV 41 (1944–51) und den Zwei Lenau-Liedern WV 42 (1951) mit ihrem polyphonen Klaviersatz; die beiden Lenau-Lieder sind im Klavier fast durchgängig zweistimmig angelegt und erreichen etwa in den Diskantlagen von Primula veris eine bemerkenswerte verinnerlichte Zartheit. Dabei findet Schwarz-Schilling in all diesen Liedern immer wieder sehr intelligente, nicht-offensichtliche, subtile Lösungen der Verzahnung von Text und Musik, siehe etwa die Glocke (als Symbol der Vergänglichkeit) im ersten der Maienlieder oder die „Verstimmtheit“ zu Beginn des dritten Lieds im Wandernden Musikanten. All dies realisieren die Interpreten der vorliegenden CD mit großer musikalischer Intelligenz und Verständnis für das zwischen den Zeiten stehende Wesen dieser Musik.
Wundervoll fließende, polyphon durchlebte Musik
Mit seinem Lehrer Heinrich Kaminski hat Schwarz-Schilling insbesondere das ausgeprägte Interesse an (beseelter) Polyphonie, an der Musik des Barock, religiöser Thematik und auch eine entschiedene Unabhängigkeit von Moden gemein. Kaminski war im Grunde genommen kein ausgesprochener Komponist von Klavierliedern, und doch findet sich auch in frühen Werken wie den Vier Liedern (1910–12) viel Reizvolles, etwa die ganz eigentümlich verhaltene Atmosphärik der Waldseligkeit (Nr. 3). Aber auch sein Interesse am Volkslied tritt hier (Nr. 1&2) zutage, sowieso im (einzelnen) Volkslied aus der gleichen Schaffensperiode, was später dann zu den Drei Cantiques Bretons führt, eine Art veredelten geistlichen Volksliedern vor behutsam kolorierendem Klaviersatz. Den Höhepunkt von Kaminskis Liedschaffen bilden die Drei geistlichen Lieder (1922/23, die hier eingespielte Fassung für Sopran, Violine und Klavier entstand 1925), wundervoll fließende, polyphon gewebte und durchlebte Musik von größter, dabei aber niemals pathetisch anmutender Eindringlichkeit. Libor und Höll werden hier von der Geigerin Jaleh Perego unterstützt, eine kleine Sternstunde innig durchleuchteten Musizierens. Interessant der Vergleich zu Schwarz-Schillings eigenen Drei geistlichen Liedern WV 37 (1949) auf der ersten CD, die eine ganze Spur zurückgenommener, asketischer wirken.
Rauscht die Erde wie in Träumen...
Zu würdigen sind auch die bereits erwähnten Beigaben. Zum einen wird mit Heinz Schubert (1908–1945) und seinem Brautgesang (um 1929, im Original mit Orgelbegleitung) ein weiterer Kaminski-Schüler gewürdigt; ein von bewusst eingesetzter Chromatik durchzogenes frühes Werk eines unbedingt beachtenswerten Komponisten, der in der Endphase des Zweiten Weltkriegs getötet wurde. Die beiden Chopin-Lieder auf der ersten CD sind eine Hommage an Schwarz-Schillings Frau, eine polnisch-jüdische Pianistin, und die geistlichen Lieder Bachs (sowie Stölzels) fügen sich ohnehin wunderbar in das Programm ein, zumal dann, wenn sie die kantablen melodischen Linien mit solcher Sorgfalt und weitem Atem nachvollziehend vorgetragen werden wie hier. Ganz am Ende steht ein gemeinsamer Beitrag von Lehrer und Schüler, nämlich Schwarz-Schillings (spätes) Arrangement von Kaminskis Eichendorff-Vertonung Abend, ein Chorlied, das Schwarz-Schilling für Stimme und Klavier eingerichtet hat. Nicht von ungefähr entstammt der deutsche (Unter-)Titel der CD Rauscht die Erde wie in Träumen... genau diesem Lied und stellt insofern einen wunderbaren Bezug zu beiden Komponisten wie auch zu Eichendorff her. Die beiden vorzüglichen Kommentare zu den hier eingespielten Werken und zum Programm stammen von Christoph Schlüren sowie von Georg Albrecht Eckle. Ein inspirierendes, nachhaltig im Gedächtnis bleibendes Album.
Holger Sambale [03.06.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Reinhard Schwarz-Schilling | ||
1 | Todeslust WV 19/1 | 00:03:27 |
2 | Marienlied WV 19/2 | 00:02:57 |
3 | Kurze Fahrt WV 19/3 | 00:02:34 |
4 | Wandern lieb ich für mein Leben WV 20/1 | 00:01:41 |
5 | Wenn die Sonne lieblich schiene WV 20/2 | 00:02:26 |
6 | Bist du manchmal auch verstimmt WV 20/3 | 00:01:48 |
7 | Durch Feld und Buchenhallen WV 20/4 | 00:02:50 |
Frédéric Chopin | ||
8 | Melancholie op. 74 Nr. 13 | 00:04:51 |
Reinhard Schwarz-Schilling | ||
9 | Der Schnee zerrinnt WV 41/1 | 00:01:48 |
10 | Der Anger steht so grün WV 41/2 | 00:01:20 |
11 | Willkommen liebe Sommerzeit WV 41/3 | 00:01:36 |
12 | Primula veris WV 42/1 | 00:03:55 |
13 | Frühling WV 42/2 | 00:03:36 |
Frédéric Chopin | ||
14 | Mir aus den Augen, mir aus dem Herzen op. 74 Nr. 9 | 00:02:48 |
Johann Sebastian Bach | ||
15 | Vergiß mein nicht, mein allerliebster Gott BWV 505 (Geistliches Lied) | 00:02:26 |
Reinhard Schwarz-Schilling | ||
16 | Wenn ich ihn nur habe WV 37/1 | 00:02:27 |
17 | Oh Maria meine Liebe WV 37/2 | 00:01:16 |
18 | Der 100. Psalm WV 37/3 | 00:03:20 |
CD/SACD 2 | ||
Heinz Schubert | ||
1 | Brautgesang | 00:01:55 |
Heinrich Kaminski | ||
2 | Elisabeth | 00:02:27 |
3 | Volkslied | 00:01:48 |
4 | Waldseligkeit | 00:01:54 |
5 | Ständchen | 00:03:52 |
6 | Volkslied | 00:01:22 |
7 | Am Sonntag Trinitatis | 00:01:49 |
8 | Das Paradieslied | 00:01:49 |
9 | Zum Ave-Läuten | 00:03:21 |
10 | Lied eines Gefangenen | 00:03:08 |
11 | Weihnachtsspruch | 00:01:28 |
Johann Sebastian Bach | ||
12 | Dir, dir, Jehova, will ich singen BWV 452 (Geistliches Lied) | 00:01:41 |
Heinrich Kaminski | ||
13 | Lebenswanderung | 00:02:47 |
14 | Oh Menschenherz | 00:03:52 |
15 | Wiegenlied (Eine Mutter singt) | 00:02:11 |
16 | Geistlich' Taglied (Eine Seele singt) | 00:02:18 |
Gottfried Heinrich Stölzel | ||
17 | Bist du bei mir | 00:02:59 |
Heinrich Kaminski/Reinhard Schwarz-Schilling | ||
18 | Abend | 00:02:23 |
Interpreten der Einspielung
- Christiane Libor (Sopran)
- Stefan Klemm (Bass)
- Hartmut Höll (Klavier)
- Jaleh Perego (Violine)