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Besprechung CD

Kaija Saariaho

Touches
Complete Works for Piano and Harpsichord

Ondine ODE 1469-2

1 CD • 56min • 2024

16.05.2025

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Die vor drei Jahren in Paris verstorbene Finnin Kaija Saariaho galt als eine der bedeutendsten Komponistinnen ihres Landes. Ihre Wahlheimat war seit vielen Jahren Frankreich und tatsächlich mischen sich in Saariahos Musiksprache – insbesondere, was die hier zu hörenden Instrumente Klavier und Cembalo betrifft – das nordische und französische Idiom auf eine faszinierende und geradezu wahlverwandte Weise. Präsentiert wird ihr Gesamtwerk für die beiden Tasteninstrumente – in Track 5 (Im Traume, 1980) kommt auch noch ein Cello zum Einsatz, gespielt von Anssi Karttunen – von der ebenfalls aus Finnland stammenden Pianistin Tuija Hakkila, die bereits bei der (vergriffenen) Ondine-CD „Kaija Saariaho – Trios“ (ODE1189-2) mitgewirkt hatte und auf der diverse Werke für Trio-Besetzung zu hören sind. Für das vorliegende Album hat Hakkila hat auch die Werkkommentare verfasst. Ein Foto auf der Rückseite des Booklets zeigt sie zusammen mit der Komponistin. Auch wenn das Booklet die Kooperation der beiden Künstlerinnen nicht explizit erwähnt, darf man davon ausgehen, dass sie eng zusammengearbeitet haben und dass die Komponistin Hakkilas Interpretationen für sehr gut befunden und autorisiert hätte.

Arabesken, Träume, geheime Gärten

Der Entstehungszeitraum der hier zu hörenden Werke erstreckt sich von 1980 (Im Traume für Cello und präpariertes Klavier) bis ins Jahr 2016 (Arabesques et adages). Fast alle Werke tragen – mehr oder weniger „sprechende“ – Titel wie etwa Fall (1991/95) für Cembalo und Electronics, Delicato (2007/15, arr. von T. Hakkila), Monkey Fingers, Velvet Hands (1991) oder Jardin secret II (1984–86) für Cembalo und Tonband. Nur das Prélude (2006), mit dem die CD beginnt, und die Ballade (2005) haben traditionelle Satzbezeichnungen. Titel finden sich in Saariahos Œuvre allenthalben, auch in ihrer Orchestermusik, die zu ihrem bevorzugten Genre zählte. Im Booklet erfahren wir den Grund dafür – und auch dafür, warum sie es immer schwierig oder, um es mit Saariaho selbst zu sagen, „herausfordernd“ fand, für das Klavier zu schreiben. „Der Grund ist ohne Zweifel der, dass ich dazu tendiere, Musik als ein stets sich verschiebendes Kontinuum von Klängen zu betrachten, das auf einem Klavier unmöglich abzubilden ist.“ Allerdings, so erklärt es die Pianistin weiter, gebe es Mittel, den Klavierklang auszuweiten, zum Beispiel mit Hilfe von Elektronik oder Ton-Clustern, die von filzüberzogenen Hämmern erzeugt werden. „Kaija war sehr empfänglich dafür“, so Hakkila. Des Weiteren nutzt Saariaho auch die Klavierpedale für ihre Klang-Texturen, denn, so die Komponistin, „mit ihnen [den Pedalen] ist es mir möglich, die Illusion verschiedener Klänge und ihrer Prozesse zu erzeugen.“ Kein Wunder also, dass ihre Klavierwerke „sempre molto pedale“, also immer viel Pedal, vorschreiben und dabei, wie Hakkila es ausdrückt, „eine Fülle von flirrenden, wechselnden Farben und Schattierungen erzeugen“. Ihr Fazit: „Das orchestrale Potenzial des Klaviers erzeugt in Saariahos Musik Polyphonie“.

Eine kunstvolle Illusion von Polyphonie

Das Wort „Polyphonie“ ist in Bezug auf Saariaho mit Vorsicht zu genießen. Wer dabei an Bach und strengen Kontrapunkt denkt, liegt falsch. Wenn ich gefragt würde, welcher Komponist bzw. welches Werk sozusagen den Gegenpol zu Saariahos assoziativer, am Klang und seinen zartesten Verästelungen orientierter Schreibweise bildet, so würde ich den lettisch-kanadischen Komponisten Tālivaldis Ķeniņš (1919–2008) und seine streng-kantig-maskuline, auf Klarheit, Logos und Form ausgerichtete Sinfonia ad fugam (1978) nennen, die mit all den „versponnenen“ Eigenschaften, die Saariahos Musik auszeichnen, nichts im Sinn hat. Um es pointiert zuzuspitzen: Ķeniņš‘ Musik ist taghell, diejenige von Saariaho sucht das Zwielicht. Wer einen Faible dafür hat, in poetischen Klangwelten gleichsam abtauchen zu können, wird die CD mit ihrer Klaviermusik lieben, zumal Hakkilas ebenso sensitive wie fein „gezeichnete“ und klangsinnliche Interpretationen dieser Werke keine Wünsche offenlassen. Die poetischen Titel dienen als Orientierungshilfe und öffnen Assoziationsräume, bleiben den Werken aber letztlich äußerlich und sind m.E. sogar oft austauschbar. Und ich gestehe, dass mir Saariahos um „Instrumente“ wie Tonband, Electronics, Cembalo und/oder Cello erweiterten Kompositionen besser gefallen als ihre „reinen“ Klavierwerke (auch wenn einige Stereo-Effekte, vor allem in „Fall“ für Cembalo und Electronics, auf der CD übertrieben in Szene gesetzt werden), was einfach daran liegen mag, dass diese „verstärkten“ Stücke dem Ohr (noch) mehr von den (schein-)polyphonen Reizen bieten, von denen oben die Rede war.

Segen und Fluch von Saariahos (Klavier-)Musik

Das, was an Saariahos weder horizontal-melodischen noch vertikal-kontrapunktischer Musik das Faszinosum ist, ist zugleich ihre Crux. Die CD macht das unfreiwillig deutlich: Man kann sich in die Werke, die (zum Glück) nicht in chronologischer, sondern (schein-)zufälliger (ergo genau ausgetüftelter) Reihenfolge erklingen, hineinbegeben wie in fein gesponnene surreale Gobelins und sich dabei lustvoll in den (Klang-)Texturen verlieren. Doch selbst, wenn die CD wie ein Konzeptalbum aufgebaut ist oder doch zumindest diesen Versuch unternimmt, trägt das „Webmuster“ nicht über die 55 Spielminuten, zumindest nicht bei mir. So „schön“ jedes Werk für sich auch sein mag: spätestens nach dem vierten oder fünften Stück beginnen sich die angewendeten Verfahren zu wiederholen. Höre ich gerade eine Arabesque? Bin ich noch Im Traume? Oder schon in einem Jardin secret? Egal! Ich empfehle deshalb, ausgewählte Stücke vereinzelt und nicht das Album am Stück zu hören. Dann behält die Musik ihren Zauber, den „so“ nur die große Komponistin Kaija Saariaho entfachen konnte.

Dr. Burkhard Schäfer [16.05.2025]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Kaija Saariaho
1Prélude 00:07:28
2Arabesques et adages 00:06:57
3Fall für Cembalo und Electronics 00:07:10
4Delicato 00:03:13
5Im Traume für Violoncello und präpariertes Klavier 00:10:18
6Ballade 00:05:49
7Monkey Fingers, Velvet Hands 00:03:44
8Jardin secret II für Cembalo und Tonband 00:11:06

Interpreten der Einspielung

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