Codex Rost
1660 | 1680
Open Chamber Berlin

Querstand VKJK2405
1 CD • 55min • 2022
15.05.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Die betont seriöse Aufmachung mit Codex-Titel samt Jahreszahlen über Blumenbouquet führt ein wenig in die Irre: Nichts weniger ist diese Produktion des Ensembles Open Chamber Berlin als eine trockene Erkundung des historischen Repertoires einer obskuren alten Musik-Handschrift. Stattdessen beginnt fröhlich ein gezupfter Bass zu summen, eine Harfe kommt hinzu, ein wunderbar silbriges barockes Hackbrett, später eine Orgel, und über dem Ostinato in Es-Dur entspinnt sich ein freies Improvisieren von Violine, Blockflöte, schließlich dem ganzen Ensemble.
Mit kompositorischem Bewusstsein
Bloße zwei 3/2-Takte umfasst dieses Variationsschema als anonym überlieferte Nr. VI in der Handschrift, die Ausgestaltung durch das neunköpfige Ensemble unter der Leitung der Barockgeigerin Catherine Aglibut könnte jedoch raffinierter nicht sein: Nachdem der Ostinato-Bass einmal etabliert ist, setzt er wie fragend aus, während Violine und Hackbrett in der Luft hängen bleiben und erst ein erneuter Einsatz der tiefen Instrumente wieder eine Richtung vorgibt. Das Material wird von Open Chamber Berlin nicht mechanisch genutzt, sondern mit geradezu kompositorischem Bewusstsein. Man könnte sich in diesen Repetitionen gut noch ein paar Minuten mehr verlieren. Doch unterbricht ein übermütiges Bordun-Glissando das himmlische Immergleich, und das geistvolle Improvisieren gleitet in die Pastorella von Johann Heinrich Schmelzer.
Geniale Umsetzung
Der gelungene Auftakt zu diesem Album steht pars pro toto für das Konzept, mit dem hier insgesamt 11 Nummern aus dem „Codex Rost“ präsentiert werden, der zwischen ungefähr 1660 und 1680/90 vom Kopisten – und möglichen Mit-Komponisten – Franz Rost zusammengestellt wurde und der zu den wichtigsten Quellen für instrumentale Kammermusik des 17. Jahrhunderts zählt: Die Werke von Schmelzer, Maurizio Cazzati und Antonio Bertali, die auch die Hauptbeiträger des Manuskripts sind, werden von Open Chamber Berlin nicht einfach als Programmpunkte abgearbeitet. Stattdessen vermitteln die Musikerinnen und Musiker den Eindruck, sie würden beim geselligen Zusammensein spontan aus den Stimmen spielen, schieren Spaß an den populären Elementen wie der Tausend-Gülden-Sonate von Bertali oder den Polnischen Sackpfeiffen von Schmelzer haben, aber auch ein andächtiges Meditieren über das Lamento sopra la morte di Ferdinand III nicht verschmähen. Eine kurzweilige, auch im Ganzen hinreißende knappe Stunde Musik.
Prof. Dr. Michael B. Weiß [15.05.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Anon. | ||
1 | Ciaccona (Codex Rost, Codex-Nr. VI) | 00:04:27 |
Johann Heinrich Schmelzer | ||
2 | Pastorella (Codex Rost, Codex-Nr. XIII) | 00:03:26 |
Antonio Bertali | ||
3 | Tausend-Gülden-Sonate (Codex Rost, Codex-Nr. XXXVII) | 00:06:01 |
Johann Heinrich Schmelzer | ||
4 | Sonata a tre violini | 00:07:00 |
Tarquinio Merula | ||
5 | La Cattarina (Codex Rost, Codex-Nr. CXXIX) | 00:03:31 |
Anon. | ||
6 | Sonata (Codex Rost, Codex-Nr. CXLV) | 00:04:52 |
7 | Sonata (Codex Rost, Codex-Nr. CXXX) | 00:04:35 |
Johann Heinrich Schmelzer | ||
8 | Lamento sopra la morte Ferdinandi III. (Codex Rost, Codex-Nr. CXVI) | 00:06:34 |
Maurizio Cazzati | ||
9 | La Calcagnina (Codex Rost, Codex-Nr. LVI) | 00:05:07 |
Johann Heinrich Schmelzer | ||
10 | Triosonate G-Dur (Polnische Sackpfeiffen, Codex Rost, Codex-Nr. X) | 00:06:27 |
Maurizio Cazzati | ||
11 | Passacaglia (Codex Rost, Codex-Nr. XLVII) | 00:02:48 |
Interpreten der Einspielung
- Open Chamber Berlin (Ensemble)