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Besprechung CD

Leading Bassoon

Emanuel Blumin-Sint • Matvey Demin • Alexey Stadler

Es-Dur ES 2094

1 CD • 59min • 2024

11.10.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Eine CD vorwiegend mit Fagott-Soli ist ein Wagnis. Aber warum sollte man dieses Wagnis nicht eingehen, wenn man bereits mit Geburtsjahrgang 2004 über ein solch hervorragendes Können verfügt, dass einem mit einem Nischeninstrument für diese innovative Idee der Fanny-Mendelssohn-Förderpreis zugesprochen wird? Emanuel Blumin-Sint nimmt diese Herausforderung an und ist dabei über weite Strecken erfolgreich. Ja, er hat es sogar erreicht, dass zwei zeitgenössische Komponisten ihm extra Stücke für dieses Projekt geschrieben und gewidmet haben. Über den Umgang mit historischem Material wird zu reden sein.

Sonate oder Suitenfragment? – ein rätselhafter Bach

Das Solo BWV 1013, das wohl J. S. Bachs ersten Versuch darstellt, ein Werk für solistisches Melodieinstrument zu schreiben und das in nur einer Abschrift ohne Zuweisung an ein Instrument – dazu von zwei unterschiedlichen Kopisten – erhalten ist, gibt Rätsel auf. Die vier Sätze sind allesamt als Tänze bezeichnet, weisen jedoch die Satzfolge der Sonata da chiesa auf. Auch fehlt die in den frühen Suiten Bachs obligatorische abschließende Gigue. Das Werk gilt wegen des Umfangs d1-a3 als Flötenkomposition, womöglich für den Dresdner Virtuosen Pierre-Gabriel Buffardin, dem späteren Lehrer von J. J. Quantz. Allerdings ist die Allemande mit ihren 100 Takten in durchgehender 16-tel-Bewegung, die eher an ein Organistenpräludium wie die Frühfassung von BWV 847 oder das Präludium der ersten Cello-Suite erinnern, für Bläser wegen mangelnder Atemstellen ausgesprochen heikel und unbequem. Ebenso rätselhaft die Sarabande, die auf dem Papier eher wie ein Menuett aussieht und sich bei näherer Betrachtung als Variation (Double) über ein ursprünglich ruhigeres Material entpuppt. Es spricht nichts dagegen, das Stück auf dem Fagott nach d-Moll transponiert zu spielen, nur sollte man dabei bedenken, dass die Wiederholungen ohne zusätzliche Verzierungen dann doch recht langweilig werden. Dass Bach selbst teilweise exzessiv verzierte, wissen wir aus den Abschriften seiner Schüler.

Dasselbe wissen wir von Mozart und seinen Zeitgenossen. So ist es sträflich in der Duo-Sonate KV 292 an den von Mozart klar durch Fermaten gekennzeichneten Stellen im Rondo-Finale keine kleinen Kadenzen – sogenannte „Eingänge“ – zu improvisieren, obwohl in der Neuen Mozart Ausgabe explizit darauf hingewiesen wird. Auch stimmt hier die Klangbalance keinesfalls. Selbst wenn das Cello hier nur Begleitfunktion hat, muss man es nicht derart dezent in den Hintergrund verbannen.

Hinreißender Paganini – erlebte gemäßigte Moderne

Emanuel Blumin-Sints Stärken liegen definitiv in der Gestaltung virtuoser romantischer und gemäßigt moderner Werke. Wirklich hinreißend interpretiert er die Bearbeitungen zweier Capricen von Niccolo Paganini, darunter die berühmte Nummer 24, die auch Brahms und Rachmaninoff variierten. Solche technisch extrem anspruchsvollen Arrangements demonstrieren eine perfekte Koordination von Fingern, Atem und Zunge bei schönem entspannten Klang und sauberer Intonation in allen Lagen. Schwungvoll-lässig erfasst er die lateinamerikanischen Rhythmen der Bachiana Brasileira 6 von Heitor Villa-Lobos, bei der auch die Klangbalance zu gekonntem Flötenspiel von Matvey Demin stimmt. Ebenso zählen die beiden extra für das Album komponierten Stücke zu den Highlights. Hymn von Valentin Silvestrov (Jg. 1937) ist eine elegisch-lyrische Melodie, zu der sich der Fagottist am Klavier selbst begleiten kann, wenn er die wenigen eingestreuten Arpeggios per Pedal hält. Eine schöne Gelegenheit auf dem als knorrig geltenden Instrument zu singen. Yury Provolodskys (Jg. 1962) jazz-inspirierte Humoresque for Solo-Bassoon ist ein fünfminütiges ideales Zugabestück, das jedem Hörer Spaß machen und dem Interpreten nach einem Konzert mit Orchester stürmioschen Applaus sichern dürfte.

Im Booklet stellt sich Emanuel Blumin-Sint auf sehr sympathische Weise selbst vor und erklärt die Idee hinter seinem Projekt. Auch die Mitspieler finden angemessene Erwähnung. Die Aufnahmetechnik geht bis auf die Vernachlässigung des Cellos von Alexey Stadler in Ordnung.

Fazit: Bei den klassischen Werken sorgt eine vielleicht zu große Ehrfurcht noch für etwas tastend-zurückhaltende Interpretationen. Dem Bach fehlt die Ornamentik, dem Mozart etwas rhetorische Mikro-Agogik zur Belebung der Phrasen sowie ein etwas freierer Umgang mit dem Notentext. Ab Paganini macht es dann aber richtig Spaß. Spieler und Liebhaber des Fagotts sollten auf jeden Fall mal per Streaming hineinhorchen. Lernenden möge das Album als Ansporn dienen.

Thomas Baack [11.10.2024]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Maurice Allard
1Variations sur un thème de Paganini 00:09:58
Heitor Villa-Lobos
13Bachianas Brasileiras Nr. 6 für Flöte und Fagott 00:08:15
Johann Sebastian Bach
15Partita a-Moll BWV 1013 für Oboe solo 00:15:07
Valentin Silvestrov
19Hymn (Emanuel Blumin-Sint gewidmet, 2022) 00:04:33
Niccolò Paganini
20Caprice a-Moll op. 1 Nr. 5 00:02:58
Yuri Povolotsky
21Humoresque für Fagott (Emanuel Blumin-Sint gewidmet, 2024) 00:05:00
Wolfgang Amadeus Mozart
22Sonate B-Dur KV 292 für Fagott und Violoncello 00:12:35

Interpreten der Einspielung

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