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Klangvisionen für Flöte(n)

Violeta Dinescu | Doina Rotaru | Carmen Maria Cârneci

gutingi 264

1 CD • 71min • [P] 2024

30.03.2024

Künstlerische Qualität:

Klangqualität:

Gesamteindruck:

So wie der Mensch Werkzeuge für sein Tun erfand, hat er auch Instrumente geschaffen, um sich auszudrücken – möglicherweise als Fortsetzung seiner eigenen Stimme. Ganz nahe heran an solche Ursprüngen kommt die interessante Palette von Klangforschungen für hohe und tiefe Flöten, wie sie der rumänische Musiker Ion Bogdan Ștefănescu betreibt. Phasenweise wird er auf dieser neuen Aufnahme für das gutingi-Label durch die Flötistin Carla Stoleru unterstützt. Grundlage liefern neue Kompositionen von Violeta Dinescu, der Initiatorin des Projekts. Aber auch in aktuellen Stücken von Doina Rotaru und Carmen Maria Cârneci offenbaren sich kreative Welten, die auf eine äußerst umtriebige musikalische Gegenwarts-Szene in Rumänien hindeuten.

Bei aller Radikalität ziehen die neuen Werke der drei Komponistinnen in eine Welt voller Träume, Visionen und symbolischer Bedeutungen hinein. Im ausführlichen Bookletetext werden die Hintergründe sämtlicher Stücke erläutert. Flöte und menschliche Stimme verschmelzen zu einer Einheit, in der keine musikalischen Konventionen und Formalitäten, etwa in Gestalt festgelegter Tonhöhen oder gar Metren, Distanz zu irgendwelchen archaischen Ursprüngen schaffen. Ion Bogdan Ștefănescu „spricht“, artikuliert und singt auf seinem Instrument, oft auch alles zugleich. Die Interpretin und der Interpret hat hier maximale Freiheit, was auch ausgekostet wird. Beliebig ist das keineswegs, wo es so viel geistigen Überbau für sämtliche Stücke gibt. Violeta Dinescus Stücke Walk-in-Style und Le double silence protokolliert mit seinen konkreten Klang-Assoziationen emotionale Zustände ihrer Schöpferin. Doina Rotarus Jyotis reflektiert Licht als Metapher für Natur und Spiritualität, während Carmen Maria Cârnecis … qui rêve. Giacometti-Szene für Bassflöte in die Welt der Träume und Symbolik eintaucht.

Freie Klangrede mit Ausrufezeichen

In allen neun Kompositionen lebt ein feines, äußerst differenziertes Spiel mit physischen Zuständen, bei denen letztlich auch die Tonlagen der jeweiligen Flöten den Spannungsbogen reichhaltig machen – sehr sphärisch und mitunter spitz in sehr hohen Tonlagen, dann wieder sonor und mit warmer Wucht, wenn die mächtige Bassflöte zum Einsatz kommt. Perkussive Sforzato-Impulse wirken wie Ausrufezeichen in dieser freien Klangrede. Glissandi, Mikrointervalle und Obertöne lassen staunen, was für physische Prozesse wirken, sobald Luftströme des menschlichen Atems mit dem Edelmetall der Instrumente in eine Beziehung geraten. Auch die Stimme des Spielers emanzipiert sich als aktives, klangbildendes Element. Multiphonics-Effekte, die auch auf der Flöte eine mehrstimige Klangerzeugung erlauben, weiten den Raum. Das einzige Duo-Stück auf dieser Platte, zusammen mit Carla Stoleru, heißt Krendel und stammt von Violeta Dinescu. Durchaus erinnert dieser Diskurs aus feinziselierten Mikrostrukturen an Olivier Messiaens Catalogue des Oiseaux, bei dem die Kommunikation in der Vogelwelt Pate stand. Anderes in der reichen Palette wirkt wiederum spirituell und orientalisch. Ganz weit öffnen sich die Tore in die musikalische Zukunft im Finalstück von Doina Rotaru mit dem Titel Japanischer Garten. Hier erinnern Klangmodulationen an ein Didgeridoo und Elektronik macht die mystische Atmosphäre perfekt.

Fazit: Mit diesen "Klangvisionen für Flöte(n)" zeigt sich die rumänische Gegenwarts-Musikszene auf der Höhe der Zeit. Violeta Dinescu, Doina Rotaru und Carmen Maria Cârneci begeistern in ihren Stücken mit Tiefe, Vielfalt und auch herber Schönheit. Ebenso zeugt diese Aufnahme von der hohen künstlerischen Brillanz von Ion Bogdan Ștefănescu und Carla-Stoleru.

Stefan Pieper [30.03.2024]

Komponisten und Werke der Einspielung

Interpreten der Einspielung

• Ion Bogdan Ştefǎnescu (Flöten)
• Carla Stoleru (Piccoloflöte)