Gustave Adolphe Kerker
The Belle of New York
cpo 777 189-2
2 CD • 2h 07min • 2022
29.12.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Niemand spricht heute mehr von Gustave Adolphe Kerker (1857-1923), der zu seiner Zeit ein vielgespielter Komponist war. Als Zehnjähriger war der gebürtige Westfale mit seinen Eltern, die auch Musiker waren, in die Vereinigten Staaten gekommen, wo er bereits in jungen Jahren als Cellist, später auch als Dirigent Arbeit fand. Mit 22 schrieb er seine erste komische Oper, denen in den folgenden drei Jahrzehnten dreißig weitere Musikkomödien folgten, die am Broadway, im Londoner Westend, aber auch in Berlin und Wien beträchtliche Erfolge hatten. Sein eigentlicher Durchbruch war die zweiaktige Musikkomödie The Belle of New York, die am 28. September 1897 am New Yorker Casino Theatre herauskam und freundliche Aufnahme fand, es allerdings erst in London auf sensationelle 697 Vorstellungen brachte und danach auf vielen amerikanischen und europäischen Bühnen nachgespielt wurde. Die Rolle der Heilsarmee-Schwester Violet Gray war zugleich der Startschuss für die Karriere der blutjungen Sopranistin Edna May, die das Auftrittslied „They all follow me“ bereits 1900 auf Schallplatte aufnehmen konnte.
Sorgfältig rekonstruiert
Was es mit dem vergessenen Komponisten Kerker auf sich hat, konnte man schon vor ein paar Jahren auf einem von der Staatsoperette Dresden und der NDR Radiophilharmonie unter Hugh Griffith gemeinsam bestrittenen Poptpourri seiner Werke studieren (cpo 777 509-2). Jetzt ist sein Hauptwerk The Belle of New York in einer Gemeinschaftsproduktion von cpo und dem theater für niedersachsen in Hildesheim zu bewundern. Sie geht auf einen Wunsch des wie der Komponist aus Herford stammenden Labelchefs Burkhard Schmilgun zurück, der in dem dortigen GMD Florian Ziemen einen kompetenten Verbündeten fand, der schon neun Jahre zuvor in Gießen Kerkers einzige Berliner Operette Die oberen Zehntausend zur Aufführung gebracht hatte. Gespielt wird eine von dem unermüdlichen Operettenschatzgräber Dario Salvi nach dem handgeschriebenen Orchestermaterial der New Yorker Aufführung edierte Fassung, die in einem Fall durch ein von Ziemen orchestriertes Trio aus der Londoner Produktion ergänzt wird.
Abenteuerliches Libretto
Das Libretto der „Musical Comedy“ von Hugh Morton ist recht verwickelt. Im Mittelpunkt steht der reiche Taugenichts Harry Bronson, der kurz vor seiner Eheschließung mit der Sängerin Cora Angelique steht, obwohl er bereits der Tänzerin Kissie versprochen war. Er verliebt sich dann spontan in die französische Touristin Fifi und zu guter Letzt in Violet Gray, ein begehrenswertes Mädchen der Heilsarmee. Diesem Kuddelmuddel macht sein moralischer Vater Ichabod ein Ende, der sich auf einem Kreuzzug gegen den Alkohol- und Tabakgenuss junger Männer befindet, und ihn kurzerhand enterbt. Bis Harry am Ende Violet in die Arme sinken kann, entwickelt sich unter Einsatz vieler (oft überflüssiger) Nebenrollen eine haarsträubende Geschichte, in der sich möglicherweise damalige amerikanische Verhältnisse wiederfinden, die für ein heutiges Publikum aber von eher marginalem Interesse sind. Kerkers Musik ist nicht besonders abwechslungsreich, aber voller Schmiss und tänzerischer Energie. Er arbeitet mit Versatzstücken der alten europäischen Operette – vor allem die Einflüsse von Arthur Sullivan sind unverkennbar – und ergeht sich ansonsten in Marsch- und Walzerseligkeit. Dabei spielt merkwürdigerweise die amerikanische Unterhaltungsmusik in der Partitur nur eine sehr untergeordnete Rolle.
Ansteckende gute Laune
Ob dieses Stück auf der Bühne heute einen dauerhaften Erfolg haben könnte, ist eher zweifelhaft. Die konzertante Aufführung aus Hildesheim, die vor theatralischer Lust schier birst, ist allerdings eine Wucht. Das liegt zu einem guten Teil am Dirigenten Florian Ziemen, der mit der theater für niedersachsen Philharmonie das Idiom der Musik genau trifft, die wie ein Feuerwerk gezündet wird. Aber nicht weniger an dem Sprachcoach und Dialogregisseur Jacobsen Woollen, der die auch in der vorliegenden gekürzten Fassung noch ziemlich langen Textpassagen mit komödiantischem Leben füllt. Und last not least an einem prächtigen homogenen Ensemble, das die Vorgaben Ziemens und Woollens mit Spiellaune und musikalischer Einfühlung umsetzt. Nicht nur die Musical-erprobten Darsteller finden sich in dem Stil des Stücks gut zurecht, auch die seriösen Opernsänger – etwa der Bassist Uwe Tobias Hieronimi, der am Hause sonst König Marke und Caspar singt als Ichabod oder die als Lucia und Violetta bewährte Robyn Allegra Parton als Violet oder der junge südafrikanische Bariton Eddie Mofokeng als „Dünnbierboxer“ Blinkie Bill.
Ekkehard Pluta [29.12.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Gustave Adolphe Kerker | ||
1 | The Belle of New York (Musical Comedy in Two Acts) | 01:07:00 |
Interpreten der Einspielung
- Uwe Tobias Hieronimi (Ichabod Bronson)
- Julian Rohde (Harry Bronson)
- Robyn Allegra Parton (Violet Gray)
- Kathrin Finja Meier (Fifi Frigot)
- Lara Hofmann (Kissie Fitzgarter, Mamy Clancy)
- Eddie Mofokeng (Blinky Bill McGuirk)
- Felix Mischitz (Kenneth Mugg)
- William Baugh (Billy Breeze, Mr Twiddles)
- Johannes Osenberg (Count Patsie Rattatoo, Mr Snooper)
- Daniel Wernecke (Mr Peeper, Count Patsie Rattatoo)
- Florian Ziemen (Karl von Pumpernick)
- Tfn_opernchor (Chor)
- Tfn_philharmonie (Orchester)
- Florian Ziemen (Dirigent)