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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Winter Whispers

Ukranian Piano Tales
Violina Petrychenko

Ars Produktion 38 366

1 CD/SACD stereo/surround • 77min • 2023

02.12.2023

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Die junge ukrainische, seit 2007 in Deutschland lebende Pianistin Violina Petrychenko engagiert sich seit Jahren sehr für die Musik ihres Heimatlands, und so hat sie mittlerweile eine ganze Reihe von CDs (vorwiegend für Ars Produktion) eingespielt, die man als eine (im Entstehen begriffene) kleine Anthologie ukrainischer Klaviermusik ansehen könnte. Jedenfalls ist es heute möglich, sich von der Musik zahlreicher ukrainischer Komponisten, die vorher oft nur Spezialisten bekannt waren, anhand repräsentativer Klavierstücke einen Eindruck zu verschaffen, und dies ist ganz entschieden ein Verdienst Petrychenkos. Sozusagen „pünktlich zum Fest“ befasst sich die neueste Folge, „Winter Whispers“ betitelt, mit winterlicher und weihnachtlicher Musik.

Klangvolle ukrainische Weihnachtslieder

Einer der Schwerpunkte liegt auf dem Schaffen Wassyl Barwinskyjs (1888–1963), der zu den wichtigsten Persönlichkeiten des Musiklebens von Lwiw zählte (die Jahre 1948 bis 1958 fristete er jedoch im Gulag). Petrychenko hat ihm bereits eine komplette CD gewidmet; diesmal geht es ihr besonders um seine Ukrainischen Weihnachtslieder (bzw. Koljadky und Schtschedriwky) (1935), einen Zyklus von 13 Miniaturen, eher Volksliedarrangements als Konzertstücke, auch für den Hausgebrauch gedacht. Geschmackvolle, klangschöne Transkriptionen auf Basis einer spätromantischen harmonischen Palette mit modalen Einschüben und bewusst eingesetzten Mitteln, sowohl dann, wenn der Satz betont choralartig gehalten ist, als auch dann, wenn Farbe aufgetragen wird wie in den Glockenimitationen von Nr. 11. Bei den beiden weiteren Klavierstücken Barwinskyjs, seinem Lied (1911) und dem Wiegenlied aus den Sechs Miniaturen über ukrainische Volkslieder (1920), handelt es sich um Werke auf erweitert spätromantischer Basis mit dezidiert folkloristischer Note, u.a. mit interessanten metrischen Eigenheiten, von sanfter Schwermut erfüllt. Barwinskyj studierte u.a. in Prag bei Vítezslav Novák (1870–1949), und schon deshalb sind dessen Winternachtsgesänge op. 30 (1902/03) eine reizvolle tschechische Ergänzung des Programms. Dabei sind diese Stücke insgesamt eher weniger national geprägt als manch andere Werke Nováks, deutlicher ist hier der Einfluss des Impressionismus und auch eine durchaus psychologisierende Note. Schade, obwohl angesichts des Konzepts dieser CD verständlich, dass Petrychenko auf das letzte der vier (durchaus zyklisch geschlossenen) Stücke verzichtet.

Bagatellen und folkloristisch geprägte Miniaturen

Den zweiten größeren Schwerpunkt stellt die Musik Walentyn Sylwestrows (Jg. 1937) dar. Die Fünf Melodien zum Neuen Jahr op. 47 (2004/05) werden hier zum ersten Mal eingespielt; typischer reifer Sylwestrow, Bagatellen, Lieder ohne Worte, die in klarer Tonalität romantische Topoi aufgreifen, dabei betont beruhigt, meditativ (aber nicht dezidiert langsam) gehalten; freilich wirkt das typischerweise von ruhigen Achteln in der linken Hand begleitete Melos oft etwas pauschal. Bei der Naiven Musik (hier eingespielt Nr. 3 Märchen) handelt es sich um 1993 entstandene Revisionen von Sylwestrows ersten Werken aus den Jahren 1954/55, nun aus der Perspektive seines reifen Stils betrachtet. Zu den weiteren Fundstücken dieses Albums zählt das sehr aparte, klanglich reizvolle Nachts am Fluss von Mykola Silwanskyj (1916–1985), 1960 als Nummer 22 seiner Klavierstücke für Kinder erschienen und ähnlich poetisch wie manche Kinderstücke Kabalewskis, spieltechnisch allerdings etwas anspruchsvoller. Von den beiden Präludien aus dem Zyklus Winter (1946) von Mykola Dremljuha (1917–1998), dessen Musik hier ihre CD-Premiere feiern dürfte, erinnert speziell das etwas expansivere zweite (Nr. 8) ein wenig an den mittleren Skrjabin, deutlich folkloristisch geprägt mit charakteristischer übermäßiger Quarte die Wesnjanka aus der Frühlingssuite (1955). Am Ende steht der vierte Satz Koljadka der Glocken aus der Kleinen ukrainischen Suite von Serhij Juschkewytsch (Jg. 1953); dass hier (in ebenfalls traditionell orientierter Tonsprache) das populäre ukrainische (Weihnachts-)Lied Schtschedryk aufgegriffen wird, das schon in Silwanskyjs Nachts am Fluss zu Beginn dieser CD ein wenig wie im Traum umspielt wird, verleiht dem Album eine schöne Rundung.

Gefühlvolle Interpretationen

Violina Petrychenko erweist sich einmal mehr als gefühlvolle Interpretin, die ganz besonders in den zart-elegischen, im Kontext dieses Albums immer wieder auch besinnlichen Stücken zu Hause ist. Sehr schön und gesanglich gelingen ihr Barwinskyjs Ukrainische Weihnachtslieder, einfühlsam-sanglich auch sein Lied, obwohl hier der Dialog zwischen rechter und linker Hand im Mittelteil deutlicher herausgearbeitet werden müsste (vgl. den Übergang nach G-Dur). In Nováks Winternachtsgesängen gefällt besonders der Gesang einer Weihnachtsnacht (Nr. 3). Dagegen gerät die Lesart der Sturmnacht insgesamt zu verhalten, der Impetus, das Brausen, das dieser Musik innewohnen kann, haben (trotz schlechterer Klangqualität) in den 1970ern František Rauch oder Otakar Vondrovic wesentlich konsequenter ausgereizt; auch der exquisite Gesang einer Mondnacht könnte stärkere Differenzierungen erfahren. Juschkewytschs eigene Einspielung seiner Koljadka der Glocken wirkt ein ganzes Stück trockener, während Petrychenko das Stück poetischer, romantischer begreift, tendenziell mit relativ großzügigem Pedalgebrauch. Sehr reizvoll gerät vor diesem Hintergrund u.a. Silwanskyjs Nachts am Fluss. Engagiert ist wiederum das Beiheft, auch wenn man diese und jene These etwas problematisieren könnte. Insgesamt ein hörenswertes Album.

Holger Sambale [02.12.2023]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Mykola Silvansky
1Night by the River g-Moll 00:01:29
Vasyl Barvinsky
2III. Song, e-Moll (aus: Suite on Ukrainian Themes g-Moll) 00:03:28
trad.
3Eternal God (Ukrainisches Weihnachtslied) 00:00:48
4New Joy (Ukrainisches Weihnachtslied) 00:00:37
5Heaven and Earth (Ukrainisches Weihnachtslied) 00:01:26
6New Joy Has Come (Ukrainisches Weihnachtslied) 00:01:36
7A Star in the Sky (Ukrainisches Weihnachtslied) 00:01:28
8Oh, Marvelous Birth of the Son of God (Ukrainisches Weihnachtslied) 00:01:09
9Good Evening to You, Lord Master (Ukrainisches Weihnachtslied) 00:01:14
10Is the Poor Widow at Home? (Ukrainisches Weihnachtslied) 00:00:35
11What a Wonder Ist This (Ukrainisches Weihnachtslied) 00:02:29
12Christ is Born (Ukrainisches Weihnachtslied) 00:01:25
13In Bethlehem Now there are Glad Tidings (Ukrainisches Weihnachtslied) 00:01:48
14Don't Cry, Rachel (Ukrainisches Weihnachtslied) 00:02:57
15It was a Holy Evening (Ukrainisches Weihnachtslied) 00:01:20
16Lullaby (from Ukrainian Suite) 00:02:25
Vítězslav Novák
17Song on a Moonlit Night E-Dur op. 30 Nr. 1 (aus Songs of a Winter's Night op. 30) 00:04:11
18Song on a Stormy Night f-Moll op. 30 Nr. 2 00:02:16
19Song on Christmas Night Fis-Dur op. 30 00:06:57
Valentin Silvestrov
20Moderato F-Dur (aus Five Melodies for the New Year) 00:04:09
21Allegretto G-Dur 00:02:30
22Allegro As-Dur 00:03:24
23Andante As-Dur 00:03:48
24Moderato B-Dur 00:02:28
25Fairy Tale c-Moll (aus Naive Music) 00:07:45
Mykola Dremlyuga
26Prelude C-Dur (aus dem Zyklus Winter) 00:01:39
27Prelude Fis-Dur (aus dem Zyklus Winter) 00:03:49
28Vesnyanka (aus Spring Suite) 00:05:34
Serge Yushkevich
29Carol of the Bells fis-Moll 00:01:39

Interpreten der Einspielung

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