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Besprechung CD

Benoliel

Aeronauts
Complete Works Vol. 2

encora enc-028

2 CD • 2h 21min • 2022

21.12.2023

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Freunden britischer Musik dürfte der Name Bernard Benoliel vielleicht geläufig sein, denn Benoliel hat im britischen Musikleben als langjähriger Sekretär des Ralph Vaughan Williams Trust durchaus seine Spuren hinterlassen, längst nicht nur als Förderer der Musik Vaughan Williams’, sondern auch als Anwalt zahlreicher britischer Komponisten von Hubert Parry über Herbert Howells und Roberto Gerhard bis hin zu zeitgenössischer Musik. Dass Benoliel, der 1943 in Detroit als Nachfahre französischer und italienischer Einwanderer geboren wurde, den weitaus größten Teil seines Lebens aber in Europa verbrachte, auch selbst Komponist war, ist wohl weniger bekannt, erst recht, da er zu Lebzeiten kommerzielle Einspielungen seiner Werke untersagte. In seinen letzten Lebensjahren aber hat Benoliel, nunmehr in Amsterdam ansässig, wo er 2017 auch verstarb, sein sehr schmales, aus lediglich 15 Werken bestehendes Œuvre geordnet, teilweise revidiert und bei Donemus hinterlegt, und die aktuelle CD ist der zweite Teil eines Projekts, das sein Gesamtwerk auf CD verfügbar machen soll.

Musik in dunklen Farben

Dass Benoliel 1971 überhaupt nach England ging, lag an seinem Jugendtraum und der Idee, vor seinem 30. Geburtstag eine Sinfonie zu komponieren, wofür seiner Ansicht nach Europa der geeignetste Platz war. Und so entstand 1972/73 seine Sinfonia Cosmologica op. 5, ein einsätziges, gut 25-minütiges Werk. Benoliel selbst hat sich in seinen Kommentaren zu seinen Werken, die der Begleittext aufgreift, immer wieder auf die deutsche Spätromantik bezogen, wie übrigens auch auf eine Reihe von Philosophen wie Schopenhauer, Nietzsche oder Emerson. Man irrt aber, wenn man deshalb eine von spätromantischer Klanglichkeit geprägte Musik erwartet (was bereits seine weiteren Bezugspunkte wie später Strawinski, Varèse oder Ruggles nahelegen). Tatsächlich baut die Sinfonie u.a. auf zwei Zwölftonreihen auf, die dezidiert nicht im Sinne einer „tonalen“ Zwölftonmusik gehandhabt werden. Charakteristisch für diese Musik ist vielmehr ihre blockhafte, granitartige, dissonanzengesättigte Harmonik, ein zerklüftetes Melos, das sehr stark mit weiten Intervallen arbeitet, eine Rhythmik, die wesentlich auf Synkopen (häufig basierend auf Triolen, Quintolen oder Septolen) aufbaut, dabei so gut wie nie durchgehende Achtelketten o.ä. verwendet, wie überhaupt die Musik eher statisch oder zumindest langsam voranschreitend anmutet, und eine polyphone Faktur, die ganz wesentlich in den tiefen Lagen stattfindet. So fordert Benoliel in der Sinfonie (optimalerweise) einen Streicherapparat von 18-18-18-18-12 und eine Bläserbesetzung u.a. mit vier Wagnertuben, die tiefen Streicher werden oftmals auch noch geteilt. Nicht umsonst teilt der Komponist im Vorwort mit, traditionelle Vorstellungen orchestraler Balance seien hier von sekundärer Bedeutung. Freilich: auch wenn all dies volle Absicht ist, kann man es sehr wohl als Manko empfinden, dass der Orchestersatz insgesamt ziemlich dick und wenig durchhörbar wirkt.

Expressive Grenzüberschreitungen

Etwas weniger dicht ist das Klangbild (teils auch aufgrund der reduzierten Besetzung) in Infinity-Edge op. 8, einem „transzentendalen Requiem“ (frei) nach Nietzsche (1982–89, rev. 2011–14). Neben Chor und im hinteren Bereich des Saales zu postierendem „Semi-Chor“ spielen hier u.a. eine elektronisch verstärkte Solovioline und eine Orgel eine prominente Rolle, und gerade der Part der Solovioline lässt immer wieder die oben beschriebenen melodischen Eigenheiten erkennen, wie man auch in der Vertikalen häufig Benoliel-typische Intervalle wie Sekunde, Tritonus, Septime und None ausmachen kann. Dieses Werk ist nicht seriell gehalten, und wenigstens teilweise (so etwa im zweiten Teil) wirkt die Harmonik etwas milder als in der Sinfonie. Genau wie in With St. Paul in Albion op. 6 für verstärktes Violoncello und Orgel (1971–74, rev. 2001), auch dies ein insgesamt dunkel und eher statisch wirkendes Stück mit weiten Linien, die sich über den gesamten Tonumfang des Cellos erstrecken, liegt das Hauptaugenmerk der elektronischen Verstärkung des Streichinstruments auf der Lautstärke, nicht auf der Erzeugung neuer Klangmöglichkeiten. Da Benoliel auch im Orgelpart Grenzen überschreitet (häufige Crescendi oder Decrescendi auf einzelnen Akkorden), haben sich die Interpreten hier für eine Midi-Orgel entschieden. Bei der Orgelsonate op. 14, Giordano Bruno gewidmet, handelt es sich um Benoliels letztes Werk, 2012 vollendet. Auch hier knüpft der Komponist an traditionelle Konzepte an, etwa in puncto Struktur. Ganz ähnlich wie in den übrigen Werken des Albums ist es allerdings nicht immer leicht, dies auch tatsächlich hörend nachzuvollziehen, schon deshalb, weil Benoliels Melos letztlich nicht plastisch genug ist, um einen echten Wiedererkennungswert zu haben. So klingt vieles spannungsvoll, ambitioniert, expressiv, auch gewaltsam, aber doch immer wieder recht ähnlich.

Engagierte Interpreten

Die Einspielungen sind insgesamt gut gelungen mit engagierten, den nicht geringen Anforderungen der Partituren mit großem Einsatz begegnenden Interpreten. Nicht völlig zufrieden bin ich mit dem (erst einmal ordentlichen) Beiheft. Hier wäre u.a. eine ausführliche Trackliste mit präzise aufgeführten Interpreten wünschenswert gewesen (fast alles kann man sich auch so erschließen, offen bleibt allerdings, wer eigentlich im Requiem die Orgel spielt: Hage, Sandee oder jemand aus Lettland?). Dass der Begleittext Benoliels eigene Ausführungen verkürzt, geschieht sicherlich aus Platzgründen; wenn allerdings z.B. bei der Orgelsonate der Kommentar des Komponisten zum ersten Satz fälschlicherweise auf die gesamte Sonate bezogen wird, ist das ärgerlich.

Holger Sambale [21.12.2023]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Bernard Jack Benoliel
1Sinfonia Cosmologica 00:26:30
2Organ Sonata (A Giordano Bruno Sonata) 00:37:03
CD/SACD 2
1With St. Paul in Albion 00:20:13
2Infinity-Edge (A Transcendental Requiem) 00:59:36

Interpreten der Einspielung

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