Tosende Stille
Beethoven Heiligenstädter Testament
GP Arts 202
0 CD • 53min • [P]
28.02.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Ludwig van Beethovens Heiligenstädter Testament ist es allemal wert, als Hörbuch zu erscheinen, denn dadurch bekommt dieser mächtige Text einer der berühmtesten Personen der Menschheitsgeschichte mehr Reichweite in der Gegenwart. Der Klarinettist, Saxofonist, Dirigent und leidenschaftliche Musikvermittler Bernd Ruf hat in diesem Sinne ein einzigartiges „Beethoven-Gesamtkunstwerk“ geschaffen, das auch in einem bemerkenswerten Videoclip verfilmt wurde. Der kreativen Textvermittlung steht hier eine ebenso fantasievolle, zugleich künstlerisch bestechende Beherrschung des musikalischen Materials zur Seite, die sich auch mutig und treffsicher dem Jazz, der freien Improvisationsmusik und auch dem Rap öffnet. Beethovens Heiligenstädter Testament dokumentiert bedrückendes menschlichen Leid, das durch den irreparablen Gehörverlust über den Komponisten kam. Also zeigen auch die geschriebenen Worte Beethovens ein intensives Ringen der Gegensätze, wie wir es aus Beethovens Kompositionen kennen. Lebensmüdigkeit ringt mit dem Glauben an die Kraft der Musik, durch welche die Welt menschlicher wird. Fazit: Schöpferisch sein, heißt jede Minute im kurzen „Zeitfenster des Daseins“ auszukosten. So übersetzt es der Rapper Danny Fresh in die Sprache von heute. Die Auswahl der Kompositionen für dieses Unterfangen wirkt zunächst eher schlichtt: Die Préludes aus der Großen Fuge op. 133 begleiten wie ein wiederkehrender roter Faden die Textpassagen. Für getriebene Seelenzustände erweisen sich die Sonaten op. 2 Nr. 17, auch „Sturmsonate“ genannt und die Sonate op. 109 Nr. 30 als unerschöpfliches Sujet.
Ein Idol, das aus dem Heute tönt
Vor allem, wenn Pianist Ilja Ruf die Tempi in manchen Momenten zu einer derart schrägen Agogik ausdehnt, hat man den Eindruck als gelte es, die Zerrissenheit ihres Schöpfers ganz dick zu unterstreichen. Und das heißt dann auch, diese Musik durch spektakuläre Abwandlungen improvisatorisch weiter zu denken. Ähnlich beherzt geht eine Combo um den Saxofonisten Bernd Konrad zu Werke, wo ebenfalls die expressive Steigerung bis in den Freejazz hinein Programm ist. Auch das New Yorker Sirius-Streichquartett kam wegen seines unkonventionellen Ansatzes für dieses Projekt wie gerufen, um sich in der Kunst der virtuosen Überschwangs auszutoben. Hier leuchten Beethovens Themen als melodische Fixsterne. Doch es geht noch weiter: Eine derart stilsichere Vereinigung von Rap mit Streichquartettsatz hat die Klassik – und wohl auch die Popmusikwelt – bisher vergeblich gesucht. Viele Beethoven-Interpreten reden darüber, was der Schöpfer dieser Werke hier „wollen“ würde. Er würde vielleicht wollen, dass Menschen im Heute nicht nur unterwürfig das Alte reproduzieren, sondern stattdessen mit und in der künstlerischen Gegenwart, mit allen zur Verfügung stehenden fortschrittlichen Verfahren arbeiten. Insgesamt ein Dutzend Ausführender geben auf „Tosende Stille“ alles, um möglichst viel davon jetzt nachzuholen. Beethoven als Visionär, als „Life-Story“, als Idol und Leidensfigur kommt uns noch viel näher, wenn er aus dem Heute tönt.
Stefan Pieper [28.02.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
0 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
2 | Große Fuge B-Dur op. 133 Prelude I - Overtura | 00:00:24 |
3 | Klaviersonate Nr. 17 d-Moll op. 31 Nr. 2 (Der Sturm - Improvisation) | 00:06:22 |
5 | Große Fuge B-Dur op. 133 Prelude II - Overtura | 00:00:15 |
6 | Vom Tode op. 48 Nr. 3 - Improvisation | 00:06:51 |
7 | Große Fuge B-Dur op. 133 Prelude III - Overtura | 00:00:39 |
8 | Klaviersonate Nr. 17 d-Moll op. 31 Nr. 2 (Der Sturm - Improvisation) | 00:06:36 |
9 | O welche Lust (Fidelio op. 72c - Improvisation) | 00:05:06 |
10 | Große Fuge B-Dur op. 133 Prelude IV - Overtura | 00:00:56 |
11 | Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 36,Larghetto, Piano Trio No.12 | 00:02:00 |
14 | Große Fuge B-Dur op. 133 Prelude V - Overtura | 00:01:01 |
15 | Große Fuge B-Dur op. 133 | 00:08:27 |
16 | Klaviersonate Nr. 30 E-Dur op. 109 III. - Improvisation | 00:06:57 |
17 | Klaviersonate Nr. 30 E-Dur op. 109 III. - Thema | 00:01:01 |
18 | Große Fuge B-Dur op. 133 - Fuga - Improvisation | 00:06:46 |
Interpreten der Einspielung
- Jonas Nay (Rezitation)
- Danny Fresh (Musik)
- Bernd Konrad (Saxophon)
- Ilja Ruf (Klarinette)
- Sirius Quartet (Streichquartett)
- Florian Galow (Kontrabass)
- Sophie Kockler (Klarinette)