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Besprechung CD

cpo 777 805-2

2 CD • 1h 46min • 2012

23.04.2014

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 7
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Jeder Opernfreund kennt das sogenannte „Lamento“ des Federico, „È la solita storia“, aus Francesco Cileas L’Arlesiana, das ins Konzertrepertoire aller italienischen Tenöre gehört, seit es der damals noch wenig bekannte Enrico Caruso bei der – im übrigen nur mäßig erfolgreichen – Uraufführung am 2. November 1897 im Mailänder Teatro Lirico kreiert hat. Die Oper selbst konnte sich - obwohl sie der Komponist bis 1940 mehrmals überarbeitet hat - auf den internationalen Bühnen nicht durchsetzen und steht auch in Italien nur sehr selten auf den Spielplänen. Vor zwei Jahren fand in Freiburg eine konzertante Aufführung mit renommierten Gästen in den Hauptrollen statt, deren Mitschnitt jetzt bei cpo vorliegt. Gegenüber der älteren Konkurrenz – einer Cetra-Aufnahme mit Ferruccio Tagliavini und Pia Tassinari (1955) und einer ungarischen Produktion mit Peter Kelen und Elena Zilio (1991) - kann sie einen besonderen Trumpf ausspielen: sie enthält eine Tenorarie, die bereits in der zweiten revidierten Fassung aus unerfindlichen Gründen gestrichen worden und deren Autograph bis vor kurzem unauffindbar war.

Der Stoff der Oper geht auf eine kleine Erzählung von Alphonse Daudet zurück, die zu dem Zyklus „Geschichten aus meiner Mühle“ gehört, der 1869 erstmals in Buchform veröffentlicht wurde und eine Hommage an seine provenzalische Heimat ist. Daudet selbst wählte sie später als Sujet zu einem dreiaktigen Drama (1872), zu dem Georges Bizet die Bühnenmusik schrieb. Das Stück verschwand bald wieder von den Spielplänen, aber die beiden Suiten, die Bizet (und posthum sein Freund Ernest Guiraud) aus dieser Musik arrangierten, sind bis heute im Konzertsaal populär. Cilea, der nach dem Misserfolg seiner dem Verismo verpflichteten, kolportagehaften La Tilda fünf Jahre keine Oper mehr geschrieben hatte und als Professor für Klavier und Kontrapunkt in Neapel und Florenz sein Auskommen hatte, ließ sich das Sujet von dem Librettisten Leopoldo Marenco schmackhaft machen. Die Handlung: Federico, der Sohn der Gutsbesitzerin Rosa Mamai, ist unsterblich in ein Mädchen aus Arles verliebt (das persönlich nie in Erscheinung tritt). Erst als er von deren zweifelhaftem Ruf erfährt und schriftliche Beweise ihrer Untreue in Händen hält, ist er zur Ehe mit der Jugendfreundin Vivetta bereit. Doch die Enttäuschung über die wahre Geliebte ist so groß, dass er sich aus dem Fenster stürzt.

Die Oper enthält nur wenige dramatische Situationen im Sinne des Verismo, besteht überwiegend aus Erzählungen, Reflexionen und Stimmungsbildern. Cilea hat nicht nur ein französisches Sujet gewählt, sondern steht auch in der Tradition des französischen Drame lyrique. Vor allem die Verwandtschaft zu Massenet ist offenkundig, dessen Werther hier in der zentralen Rolle des Federico einen Seelenverwandten findet. Und wie in Massenets Goethe-Adaption wird hier – im 3. Akt, vor Ausbruch der Katastrophe - ein Kinderchor eingesetzt, um einen idyllischen Kontrapunkt zur tragischen Handlung zu setzen. Der 3. Akt ist überhaupt der stärkste, er enthält den beklemmenden Dialog der Rosa Mamai „Esser madre è un inferno“ (Mutter zu sein ist eine Hölle) sowie ein trügerisch-glückliches Liebesduett zwischen Federico und Vivetta, dessen orchestrales Klangparfum den Duft der Provence atmet.

Der Mitschnitt aus Freiburg hat weit mehr als provinzielles Niveau und wird dem Werk auch in stilistischer Hinsicht gerecht. Das ist sicher zu einem großen Teil das Verdienst des französischen GMD Fabrice Bollon, der viel Gespür für die impressionistischen Farbvaleurs der Partitur zeigt und in der Orchesterbegleitung lyrische Schwerpunkte setzt. Auch die Sänger halten sich von jedem vokalen Exhibitionismus fern, agieren manchmal fast zu diskret. Etwa die georgische Sopranistin Iano Tamar, der die Mezzorolle der Mutter gut auf der Stimme liegt. Sie verzichtet auf melodramatische Äußerlichkeiten und legt Wert auf belcantistische Linienführung, was sehr zu loben ist, aber ihr Leiden wird nirgends existentiell. Giuseppe Filianoti singt Federico uneitel und überwiegend klangschön, doch ohne die Morbidezza-Tönung, die im besagten Lamento gefordert ist. Von der rumänischen Sopranistin Mirela Bunoaica als Vivetta und dem italienischen Bariton Francesco Landolfi als Baldassare möchte man bei Gelegenheit noch mehr hören.

Das Booklet von cpo lässt diesmal Wünsche offen. Zunächst vermisst man schmerzlich den Abdruck eines Librettos, der sonst bei dieser Firma Usus und bei einem so weitgehend unbekannten Werk auch unentbehrlich ist. Des Weiteren fehlt der gewohnte Essay über den Komponisten und sein Werk. Man erfährt nichts über die Entstehungsgeschichte der Oper und ihre stilistische Zuordnung. Gerade bei Cilea, der innerhalb der „giovane scuola“ eine Außenseiterstellung einnahm und nicht als „Verist“ einzustufen ist, wäre das notwendig gewesen. Der abgedruckte Text von Francesco Cesari über die Bearbeitungsgeschichte und die Rekonstruktion der verschollenen Arie „Una mattina“ ist zweifellos nicht nur für Fachleute interessant, aber er steht im luftleeren Raum, wenn die Basisinformationen fehlen.

Ekkehard Pluta [23.04.2014]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Francesco Cilèa
1L' Arlesiana (Oper in drei Aufzügen)

Interpreten der Einspielung

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