Sacrificium
Decca 478 1521
1 CD • 75min • 2009
24.11.2009
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Unter den Primadonnen unserer Tage nimmt Cecilia Bartoli als unermüdliche Opern-Archäologin eine Sonderstellung ein. Sie begnügt sich nicht damit, ihre stupende Kunstfertigkeit zur Schau zu stellen, sondern macht mit stets durchschlagendem Erfolg Kompositionen wieder lebendig, auf denen sich der Staub von Jahrhunderten abgelagert hatte. Ihre jüngste Zeitreise führt in die Welt der Kastraten und der heute großenteils vergessenen Meister, die für diesen Stimmtypus geschrieben haben. Wer kennt schon Leonardo Leo oder Francesco Araia?
Wie Kastraten wirklich geklungen haben, kann niemand mit Sicherheit sagen, auch wenn es Berichte von Augen- und Ohrenzeugen gibt. Legionen von Countertenören haben in den letzten Jahrzehnten versucht, sich diesem Klang anzunähern, die Ergebnisse waren respektabel, aber für empfindliche Ohren zumindest gewöhnungsbedürftig.
Die Bartoli betritt mit ihrem neuen Album also kein völliges Neuland, aber sie betritt es mit dem Anspruch der Eroberin. Technische Grenzen scheint sie nicht zu kennen, der Stimmumfang reicht von tirilierenden Höhen bis in orgelnde Tiefen. Ihre Triller und Koloraturen sind atemberaubend. Doch mit der Demonstration des rein Virtuosen gibt sie sich nicht zufrieden, sondern wirft sich mit dem Temperament eines echten Bühnentiers auf die Arien und stellt deren theatralische Lebendigkeit unter Beweis. Bewußt einer Kontrastdramaturgie folgend setzt sie furiose Rachearien neben elegische Liebesgesänge. Die Kunst der Exaltation verbindet sie mit der Fähigkeit zu konzentrierter Verinnerlichung.
Das Ensemble Il Giardino Armonico unter Giovanni Antonini ist ihr ein adäquater Partner. Fasziniert verfolgt man, wie die instrumentalen Finessen den gesanglichen Höhenflügen Paroli bieten. Welche Möglichkeiten schon dem barocken Orchester zur Verfügung standen, um das Wirken der Naturgewalten lautmalerisch in den Griff zu bekommen, kann man insbesondere bei Nicola Porpora studieren, der in Adelaide und Siface peitschende Stürme wie ruhigen Wellengang musikalisch Ereignis werden läßt.
Das üppige Booklet wird dem Anlaß gerecht. Es enthält nicht nur eine längere Studie über die Kunst der Kastraten, sondern auch ein reich bebildertes, nach Stichworten geordnetes Lexikon zum Thema sowie einige computergenerierte Fotomontagen, in denen die Bartoli zum Androgyn stilisiert wird. Etwas aufreißerisch wird der Vorgang der Kastration selbst thematisiert: „Evviva il coltellino!” (Es lebe das Messerchen). Gut, dass uns dieses neue Bartoli-Album die frohe Botschaft vermittelt: Es geht auch ohne!
Ekkehard Pluta [24.11.2009]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Nicola Antonio Porpora | ||
1 | Come nave in mezzo all'onde (aus: Siface) | 00:04:05 |
Antonio Caldara | ||
2 | Profezie, di me diceste (aus: Sedecia) | 00:07:39 |
Francesco Araia | ||
3 | Cadrò, ma qual si mira (aus: Berenice) | 00:06:17 |
Nicola Antonio Porpora | ||
4 | Parto, ti lascio, o cara (aus: Germanico in Germania) | 00:10:49 |
5 | Usignolo sventurato (aus: Siface) | 00:05:12 |
Carl Heinrich Graun | ||
6 | Misero pargoletto (aus: Demofoonte) | 00:10:08 |
Nicola Antonio Porpora | ||
7 | In braccio a mille furie (aus: Semiramide riconosciuta) | 00:02:53 |
Leonardo Leo | ||
8 | Qual farfalla (aus: Zenobia in Palmira) | 00:05:30 |
Nicola Antonio Porpora | ||
9 | Nobil onda (aus: Adelaide) | 00:04:56 |
Carl Heinrich Graun | ||
10 | Deh, tu bel Dio d'amore ... Ov'è il mio bene? (aus: Adriano in Siria) | 00:03:43 |
Leonardo Vinci | ||
11 | Chi temea Giove regnante (aus: Farnace) | 00:06:16 |
Antonio Caldara | ||
12 | Quel buon pastor son io (aus: La morte d'Abel figura di quella del nostro Redentore) | 00:10:26 |
CD/SACD 2 | ||
Riccardo Broschi | ||
1 | Son qual nave (aus: Artaserse) | 00:07:32 |
Georg Friedrich Händel | ||
2 | Largo Ombra mai fu (aus: Xerxes) | 00:03:30 |
Geminiano Giacomelli | ||
3 | Sposa, non mi conosci (aus: Merope) | 00:10:11 |
Interpreten der Einspielung
- Cecilia Bartoli (Mezzosopran)
- Il Giardino Armonico (Orchester)
- Giovanni Antonini (Dirigent)