hänssler CLASSIC 98.538
1 CD • 76min • 2008
04.03.2009
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Bei allem Respekt, den die Darbietungen der vorliegenden Haydn-Messen angesichts der schon sprichwörtlichen Vollkommenheiten der „Gächingerì Aufführungen verdienen, verbirgt die Wiedergabe keineswegs ihre Tüücken. Deren Ursachen sind vielfältig. Ein grundsätzliches Problem ist einerseits das Stilverständnis der Kirchenmusik um 1800 angesichts der Säkularisierungstendenzen, andererseits die grundsätzliche Distanz moderner Interpreten. Auch ein konfessionell anderes Rollenverständnis der heutigen Kirchenmusiker, Sänger und Instrumentalisten in ihrem Verhältnis zum Glaubensinhalt und zur liturgischen Bedeutung des katholischen Hochamtes, der heiligen Messe, mag dazugehören. Prallt beides aufeinander oder addiert sich gar, so kann die „konzertanteì Aufführung durchaus bestechend brillant, lebendig, notengetreu, dramatisch und bis auf das letzte i-Tüpfelchen ausgefeilt sein. Dies alles trifft auf die vorliegende Aufnahme zu. Dennoch „hat es die Teile in seiner Hand, fehlt leider nur das geistliche Bandì, möchte man dem Dirigenten mit dem leicht veränderten Mephistopheles-Wort zuflüstern.
Konkret musikalisch will das besagen: ein problematisches Tempo bewirkt u.a. bei den Gloria-Texten eine abstrus schnelle Sing-Sprech-Hochleistung an, während die „Erbarme-Dichì-Bitten des Kyrie in einem ungebührlichen Befehlston an den Allmächtigen gerichtet zu sein scheinen. Am allerwenigsten lassen die „Heiligì-Rufe des Sanctus vom vorangegangenen Mysterium des Glaubens in der Meßliturgie, der Wandlung, etwas ahnen. Das geht schlicht an der Religiosität Haydns vorbei, als seien von ihm außerkirchliche sinfonische Dichtungen geschaffen worden ? anstelle einer liturgischen Musik für den nachweislich praktischen Gebrauch. Tatsächlich gab es ja schon Deutungsversuche von Haydn-Messen als „klassisch-sinfonische Formì. Auch die vorliegenden Beiheft-Kommentare zu Harmonie- und Heilig-Messe scheinen Haydn als einen „zornigen alten Mannì zu sehen, der als revolutionärer Protestler in einst kriegerischer Zeit die Bitte um Frieden (dona nobis pacem) des Meßopfers umfunktioniert hat, um grimmig mit Gott zu rechten. Das ist absurd! Daß militärische Trompetensignale hier die Bedeutung des Gebetes und der Bitte aller Gläubigen aus aktuellem Anlaß illustrieren, steht auf einem ganz anderen Blatte. Was hier in Wort und Ton verlorengegangen ist, ist die überfällige, historisch fundierte Auseinandersetzung mit den „authentischenì Zeitmaßen und Tempobegriffen. Dies unter Verwendung des gegenwärtig meisterlichen Stand von Vokal- und Instrumental-Solisten in die Praxis umzusetzen, könnte ein angemessener Beitrag anläßlich des Gedenkens zum 200. Todestag von Joseph Haydn im Jahre 2009 sein.
Dr. Gerhard Pätzig [04.03.2009]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Joseph Haydn | ||
1 | Messe B-Dur Hob. XXII:14 (Harmonie-Messe) | 00:41:09 |
7 | Missa Sancti Bernardi de Offida Hob. XXII:10 (Heiligmesse) | 00:34:36 |
Interpreten der Einspielung
- Simona Saturová (Sopran)
- Daniela Sindram (Alt)
- James Taylor (Tenor)
- Michael Nagy (Bass)
- Gächinger Kantorei (Chor)
- Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR (Orchester)
- Helmuth Rilling (Dirigent)
- Sibylla Rubens (Sopran)
- Ingeborg Danz (Alt)
- Lothar Odinius (Tenor)
- Michael Nagy (Bass)
- Oregon Bach Festival Choir (Chor)
- Oregon Bach Festival Orchestra (Orchester)
- Helmuth Rilling (Dirigent)