
cpo 777 290-2
1 CD • 55min • 2006
16.04.2008
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
So widersprüchlich wie die philosophischen Aussagen des Komponisten, die der umfassende und mit vernehmlichem Engagement für die exotische Sache geschriebene Einführungstext zitiert – so widersprüchlich sind auch die beiden hier vorliegenden Konzerte für Violoncello (1987) und für Bratsche (1976/77). Sehr richtig hat Ahmed Adnan Saygun erkannt, dass unsere Gesellschaft in jeder Hinsicht die Extreme des Ego ansteuert und mit ihrem bessenen Individualitätswahn am Ende bis zur Halskrause im Dreck stehen wird: Man muss sich ja nur mal ansehen, was der Versuch, alles bis in seine Grundfesten erschüttern zu wollen, aus der einstmals so harmlos-unterhaltsamen Gattung des Kriminalfilms gemacht hat...
Andererseits verlängert Saygun just diesen Wahn, wenn er verkündet, dass man nur durch Leiden und Leidenswilligkeit Werte schaffen könne: Wer keinen Durst hat, wird keine Quelle suchen, wird also, wenn ich's recht besehe, nicht wie ein Besessener in die Tiefe bohren, sondern vielleicht eher wie ein Wolfgang Amadeus Mozart seine Werke schaffen, weil er vor lauter Mitteilungsbedürfnis aus den Nähten platzt, wenn er's nicht täte. Während der türkische Meister die Integration des Einzelnen in den Strom der historischen Entwicklung fordert, kapriziert er sich selbst auf eine Handvoll Emotionen, als hätte es die Affektenlehre und andere nützliche Dinge nie gegeben.
Die Ergebnisse sind dann eben auch durchaus disparat und zerfasert. Manches, wie etwa der langsame Satz des Cellokonzerts, vermag mich über weite Strecken zu fesseln, insbesondere, da Tim Hugh mit einer intensiven Glut spielt, die sein Instrument regelrecht zum Beben bringt; anderes hingegen ist mir schlicht zu wenig integriert, zu zerrissen, zu äußerlich auch insofern, als es mir wie die Reihung von Effekten erscheint, deren tiefere Wurzeln gewiß in nationalen und volkstümlichen Eigenarten zu finden sind, die aber keiner echten Zwangsläufigkeit zu unterliegen scheinen. Oder konkreter gesagt: Ich spüre diese Notwendigkeit nicht, sondern fühle mich irgenwie allein gelassen zwischen Elementen, die ich bei Aram Chatschaturjan, die ich bei Maurice Ravel und die ich bei Sayguns großem Vorbild Béla Bartók in Reinkultur entdecke. Dabei will ich gar nicht bestreiten, dass jemand, der auf einer anderen Wellenlänge empfängt, den unzweifelhaft vorhandenen Reizen erliegen kann; für mich sind es kunst- und anspruchsvoll gemachte Partituren, die angesichts ihrer vorzüglichen Ausführung und allseits spürbaren Bemühung hohe Punktzahlen verdienen.
Rasmus van Rijn [16.04.2008]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ahmed Adnan Saygun | ||
1 | Konzert op. 74 für Violoncello und Orchester | 00:24:19 |
4 | Konzert op. 59 für Viola und Orchester | 00:30:45 |
Interpreten der Einspielung
- Mirjam Tschopp (Viola)
- Tim Hugh (Violoncello)
- Howard Griffiths (Dirigent)
- Bilkent Symphony Orchestra (Orchester)