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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

Ein Fenster zu...

Carl Maria von Weber

Hör-Tipps anhand von ausgewählten Werken

„Die verschiedenen Richtungen des politischen Lebens trafen hier in einem gemeinsamen Punkt zusammen: von einem Ende Deutschlands zum anderen wurde der ,Freischütz‘ gehört, gesungen, getanzt.“ So Richard Wagner über seinen älteren Kollegen Carl Maria von Weber. Der Freischütz, mit dem Weber die eigenständige deutsche Oper der Romantik entscheidend zu begründen half, wurde so wichtig, daß man den Komponisten schnell auf dieses Spitzenwerk reduzierte. Doch Weber, der auch als Pianist, Dirigent und Musikschriftsteller ein Virtuose war, fungierte nicht nur als Erfüller einer musikgeschichtlichen Aufgabe. Wenn man sich in seinem reichhaltigen Werk umsieht, entdeckt man einen Komponisten, der sich in vielen Gattungen bewegte. Und das Talent zum Theater muß sich ja nicht immer nur in der Oper zeigen. Diese „Fenster“ in Webers Werk kulminieren also nicht im Freischütz, sondern sie versuchen, eine bühnenhafte Grundhaltung auch in theaterunverdächtigen Werken zu entdecken.

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Handlungen mit und ohne Oper

Was Weber zu einem genuinen Dramatiker macht, ist seine Fähigkeit, innerhalb von Augenblicken eine Atmosphäre zu schaffen, die den Zuhörer nicht mehr losläßt. In der Ouvertüre zu seiner späten „romantischen Feenoper“ Oberon sind es allein drei Töne, eine aufsteigende „dolce“-Phrase des Solohorns, die sofort ein ganzes Zauberreich heraufbeschwören. Dieses Motiv wird von Weber nun dazu benutzt, Form zu schaffen. Es kündigt das zweite Thema an, dessen Klangfläche regelrecht aus ihm heraus erwächst, und es erscheint ganz zum Schluß der Coda in der Umkehrung, als ob das ganze Stück nun wieder auf seinen Keim zurückgeführt, gleichsam zusammengefaltet werden sollte. Das Zaubermotiv hält also die einzelnen Elemente zusammen, und diese wiederum beziehen sich auf die Oper: wir hören ein Vorausecho der Elfen, die später in einem Chor auftreten; das erste Thema, das plötzlich, wie ein Wirbelwind, hereinbricht, wird im zweiten Akt die beiden Paare Hüon/Rezia und Scheramsin/Fatime begleiten, wenn sie zur Schiffsreise aufbrechen. Das lyrische Seitenthema der Klarinette kehrt später als Tenorarie wieder. An ihm zeigt sich jedoch, daß Weber keineswegs die Ouvertüre aus Bruchteilen der Oper zusammenstückelt: Es erscheint über dem Akkord, der aus dem Motiv entwickelt wurde, und hat genau dessen Akkordtöne als Thema. Die Ouvertüre ist nicht nur ein Spiegel der Oper – die Durchführung kann man sozusagen als Haupthandlung hören –, sie ist auch für sich genommen eigenständig.

Daß auch dem Konzertstück für Klavier und Orchester f-Moll eine poetische Idee zugrundeliegt, kann man schon der klagenden, brütenden Einleitung anhören. Ihr ist, einer Überschrift gleich, ein sarabandenartiges Thema in den Holzbläsern vorangestellt; erst dann beginnt die Streichereinleitung voranzuschreiten, aber sehr gleichmäßig, wie ein Erzählfluß. Wenn Weber, wie in einem Sonatensatz eines Konzertes, das Klavier das Thema des Beginns wiederholen läßt, wiederholt er doch nicht die Überschrift, was ja keinen Sinn ergeben würde: Denn eingesetzt hatte das Klavier mit Arpeggien, so daß das wiederholte Hauptthema in die Betrachtungen des Soloklaviers eingebunden ist. Was vorher die Überschrift war, wird nun zum Bild dessen, worum es sich in der Geschichte handelt: Eine einsame Klage. Es sind wiederum jene betrachtenden Arpeggienfiguren, die den zweiten Satz einleiten, ein „Allegro passionato“. So scheint Weber deutlich zu machen, daß es um die Gedanken oder Gefühle der Solofigur geht, die nun in einem wilden, synkopierten Allegro geschildert werden. Und das Orchester reagiert mit einer tröstenden Bewegung; es beruhigt mit einer Modulation den Musikverlauf. Und es ist wiederum das Orchester, das der Geschichte eine Wende gibt: Ein schüchterner Fagottruf wird von Streichertremoli beantwortet und es erscheint ein lustiger Marsch. Warum die Erzählung nun doch gut ausgeht, hat Webers Sohn überliefert. Die nicht ausgesprochene Vorlage des Werkes war nämlich die Geschichte von der „Burgfrau“, die lange auf ihren Ritter warten muß, der dann doch triumphal zurückkehrt. Etwas abstrakter aber erzählt das Stück sich auch selbst, wenn man den konkreten Inhalt nicht kennt.

„Und was nun?“ fragt das Streichquintett

Zur Kammermusik scheint es Weber nicht besonders hingezogen zu haben. Für ein Klarinettenquintett gab es jedoch einen besonderen Anlaß: die Freundschaft zu dem Ausnahmeklarinettisten Heinrich Joseph Baermann, dem Weber insgesamt fünf Stücke schrieb, unter anderem die beiden Klarinettenkonzerte. Auch im Quintett setzt Weber das Streichquartett stärker begleitend ein, als daß er es mit der Klarinette verwebt. Obwohl im witzigen Schlußsatz, dem „Rondo. Allegro giocoso“ die Klarinette eindeutig der Solist ist, schaltet sich das Quartett des öfteren ein, auch in kritischer Absicht, wie man etwa den Störtönen der Bratsche noch im Rondothema anhört. Auch die Einleitung des Themas wird beibehalten, sogar in dessen späterer Wiederkehr nach der ersten Episode. Wenn das Quartett jedoch auf sich allein gestellt ist, etwa in der Fugettenepisode, verstrickt es sich – in einen verminderten Septakkord, der wirkt wie die Frage: „Und was nun?“ Hier nun setzt wieder die Klarinette ein und führt aus der Bredouille. Es sind solche instrumentale Situationen, die den Opernkomponisten verraten. Eine Szenenfolge wie diese braucht natürlich auch einen brillanten Schluß, eine richtige Stretta. Die Klarinette stürzt sich wie ein wildgewordener Koloratursopran in emphatische Kaskaden und läßt am Schluß den Vorhang niederstürzen.

Ein Andante und eine Wolfsschlucht

Als Weberns beide Sinfonien entstanden, lebte Haydn noch und Beethovens drei letzte Sinfonien waren noch nicht geschrieben. Die Sinfonie als Gattung stellte für die Komponisten noch nicht die Bürde dar wie nach Beethoven. Webers beide Beiträge sind knapp gehalten; sein Modell ist noch die Sinfonie Haydns, und, vielleicht mehr noch, die ursprüngliche Nähe der Sinfonie zur Ouvertüre. Dennoch zeigt der langsame Satz, das Andante der ersten Sinfonie, einen 20jährigen Komponisten, der die Instrumente weniger schulgerecht einsetzt als sie vielmehr auf ihre Charakteristik, auf Effekte hin befragt. So ist schon der einleitende Bläserakkord, der den Puls etabliert, dadurch eigenwillig instrumentiert, daß die Trompeten sowohl den höchsten als auch den tiefsten Akkordton spielen. Die Streicher deuten unruhige Tremoli schon zu einem Zeitpunkt an, an dem noch keine Entwicklung statt gefunden hat. Die Oboen beginnen mit einem einsamen Schrei im hohen fortissimo einen neuen Teil, aber nicht unmerklich, plausibel, sondern grell, gewaltsam. Ein Durchbruch in ein rauschendes C-Dur, ungute Tremoli in Moll und ein tröstender Choral der Fagotte und Hörner stehen auf engstem Raum nebeneinander. Der Satz wird nicht sinfonisch entwickelt, sondern ruft einzelne Szenen auf. Man muß Webers Theaterhaltung nicht übertreiben und an allen Ecken und Enden suchen, doch Streichertremoli und Bläserchoräle sind Bedeutungsträger, die sich auch und vor allem in Opern finden.

Wenn Webers Freischütz nur seine eingänigen Melodien gehabt hätte, wenn er nur der Beginn der modernen deutschen Oper gewesen wäre, hätte er vielleicht veralten können. Doch diese romantische Oper ist wie keine zweite doppelbödig und abgründig, und es gibt keine kühnere, auch heute noch verstörendere Szene als das berühmte Finale des 2. Aktes, die „Wolfsschluchtszene“. Kaspar und Max gießen dort, unter Erscheinen des schwarzen Jägers Samiel, die Freikugeln. Der Reichtum dieser Szene kann nur angedeutet werden. Weber verwendet das orchesterbegleitete Melodram; dem Dämonen Samiel wird keine Musik zugestanden. Die textlichen Extravaganzen („Spinnweb ist mit Blut betaut! Uhui!“ singt der Chor) finden ihre Entsprechung in unerhörten Neuheiten der Partitur. Wenn die sieben unheilvollen Freikugeln gegossen werden, erscheinen schreckliche Spukgestalten, die innerhalb des Melodrams mit Orchesterbildern dargestellt werden: ein schwarzer Eber mit hohlen Klarinetten und fürchterlicher Baßposaune, funkenwerfende Räder in einem Streicherfurioso und das wilde Heer mit fast atonalen Hörnern. Dieser Aufmarsch von Bildern erinnert an das Schöpfungsrezitativ aus der Schöpfung von Haydn. Doch was bei Haydn den harmonischen Gang der Schöpfung gemeint hat, ist nun ins Dunkle verkehrt. Dieses Dunkle hat Weber freilich mit einem genialen Tonartenplan organisiert: Samiel erscheint in c-Moll, Max mit Es-Dur, der Kugelsegen steht in a-Moll und das Ende erreicht die Ausgangstonart fis-Moll bei. Diese vier Haupttonarten nun ergeben eben jenen verminderten Septakkord c-a-fis-es, der in der Ouvertüre schon das Dunkle der Handlung angedroht hatte. In der Wolfsschluchtszene nun ist es dieser ambivalente und instabile Klang, der sich in vier verschiedene Akkorde auflösen läßt, nach c-Moll und nach a-Moll, der als ein Zentrum des Dämonischen die unterschiedlichsten Musikteile zueinander in Beziehung setzt. Das verstörend Disparate der Wolfsschluchtszene, das freie und nicht zu ahnende Erscheinen von nie gehörten Schreckgespinsten, wird über ein Prinzip geordnet und ist damit frei von jeglicher Beliebigkeit. Mit Weber hat die Haydn’sche Aufklärung ihr Ende erreicht, das Licht wird verlassen, eine Gegenwelt zeigt sich auf der Bühne. Doch das neue Dunkel wird von Weber mit geradezu aufklärerischem Ernst präzise erforscht.

Prof. Michael B. Weiß

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