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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

Ein Fenster zu...

Antonín Dvořák

Hör-Tipps anhand von ausgewählten Werken

Der alte Brahms mag ein schwieriger Mensch gewesen sein; seinen jüngeren Kollegen Antonín Dvořák jedoch förderte er nachhaltig mit seinem Einfluß und rührenden Angeboten, ihm finanziell auszuhelfen. Brahms hat so zu Dvořáks Durchbruch entscheidend beigetragen. Zumindest dem Idiom nach, der Nähe zur Volksmusik, muß Brahms in ihm einen verwandten Geist gesehen haben, wenngleich Dvořák formal andere Wege ging. Recht schnell war sein Renommée international: Der heimatverbundene Komponist wurde, heftig umworben von der kunsthungrigen New Yorker Mäzenin Jeannette Thurber, für drei Jahre Kompositions-Lehrer an ihrem Konservatorium.

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Fremde Neue Welt

Diese drei amerikanischen Jahre Dvořáks waren überaus folgenreich, sowohl für ihn als auch für Amerika. Die Neue Welt suchte nach einer musikalischen Identität, zu der Dvořák beitragen konnte, und er selbst war interessiert an fremden Traditionen. Die Sinfonie Nr. 9 wurde „Aus der Neuen Welt“ genannt, und es lassen sich afro-amerikanische Melodien sehr deutlich exponiert schon im ersten Satz (Tr. 1) finden. Die Soloflöte stellt eine Tonfolge vor, die mit der Melodie Swing Low, Sweet Chariot verwandt ist. Auch für den 2. Satz, ein Largo von geradezu epischen Ausmaßen, läßt sich ein amerikanischer Bezug auffinden. Es gibt Hinweise, dass Dvořák sich von der Vorstellung eines Indianerbegräbnisses anregen ließ. Der Satz erklärt sich jedoch auch ohne programmatische Hinweise, rein aus sich selbst heraus. Seine Hauptmelodie wird von einem Englischhorn intoniert, das sich über liegenden Streicherklängen völlig frei aussingt. Da dieses Thema nur aus fünf Tönen besteht, scheint es selbst keine Richtung zu besitzen, sondern ruhig in sich zu kreisen. In der Begleitung jedoch gibt Dvořák der Melodie ihre Spannung mit: der Streicherakkord strebt nach vorn und das Thema erreicht in einer edlen und sanften Steigerung seinen – sehr innigen – Höhepunkt. Dessen Verklingen mündet in eine Rückerinnerung der geheimnisvollen Akkorde des Beginns, die nun wie ein Kommentar von außen zu einem triumphalen Ausklang geführt werden. Diese Spannung von innen und außen durchzieht den ganzen Satz: Wenn an seinem Ende nur noch ein Streicheroktett, ja nur noch ein Trio die Melodie spielt, ist dieser Kontrast vollends ausgeführt: Die Melodie des Beginns hat sich nun ganz in sich zurückgezogen.

Die Ähnlichkeit, die Brahms zwischen sich und dem acht Jahre jüngeren tschechischen Kollegen erkannt hatte, erstreckte sich nicht auf die Formgestaltung. Brahms entwickelt und verwandelt seine Themen, Dvořák spielt mit ihnen, mitunter sehr frei. Es ist eine sehr kurze, rhythmisch scharf gezeichnete Phrase, direkt aus dem Violoncello kommend, die den ersten Satz (Tr. 1) des Violoncellokonzertes h-Moll durchzieht. Wenn sie jedoch zu Beginn von den tiefen Klarinetten vorgestellt wird, merkt man, dass das nicht die eigentliche Bestimmung dieses Motivs sein kann. Eine lauernde Bewegung erreicht einen Ausbruch des vollen Orchesters, doch auch hier scheint es nicht so, dass das Thema in seiner Endgestalt vorliegt. Es wirkt vielmehr so vom Instrument her gedacht, dass sich die Musik trotz der Fülle von Motiven bis zum Einsatz des Violoncellos wie eine Vorbereitung ausnimmt, in Erwartung des Solisten. Wenn der dann einsetzt, nimmt er das Geschehen sogleich in die Hand. Es ist nun der Solist, der den formalen Ablauf vorzugeben scheint. So ist das tanzartige Allegro, welches das Violoncello ab 5’04 in hoher Lage anstimmt, gleichsam eine Folge von dessen Triller-Initiative. Ohne den Solisten scheint das Orchester in Grübeleien zu verfallen: Ein „Grandioso“ endet in einer unentschiedenen Passage, in der Dvořák zeigt, wie wandlungsfähig sein kurzes Grundmotiv ist; es hält, um wenige Halbtöne ausgeweitet, die Musik vollkommen in der Schwebe. Und der dadurch vorbereitete einsame Gesang des Cellos scheint sich vom Grundtempo und damit vom Hauptsatz denkbar weit zu entfernen. Es ist wiederum das kurze Kernmotiv, das den Zusammenhang dieses Satzes garantiert. Er wirkt, als ob er eine einzige großartige Improvisation über die Möglichkeiten dieser drei Töne wäre.

Das Willkommen der Heimat

Als vorzüglicher Bratscher war Dvořák sehr an Kammermusik interessiert. Unter seinen 14 Streichquartetten etwa finden sich einige gewichtige Werke. Das letzte Quartett Nr. 14 As-Dur war noch teilweise in den USA entstanden; der nun wieder in Böhmen entstandene Mittelsatz Molto vivace mag ihm vielleicht wie ein Willkommensgruß an die alte Heimat vorgekommen sein. Statt eines an Beethoven angelehnten Scherzos schrieb Dvořák einen stilisierten Volkstanz, einen Furiant. Dessen Charakteristik ist der Wechsel zwischen Zweier- und Dreier-Metrum; so wird der Hörer als imaginärer Tänzer gehörig aus dem Schritt gebracht. Man stellt sich zunächst auf einen schnellen Dreier-Takt ein, dieser wird jedoch zu einem Zweier verkürzt, bevor über den schnellen Dreier-Takt ein verbreiterter Dreier gelegt wird – und das alles in wenigen Sekunden! Und es ist schließlich der letzte, breite Dreier, der den zweiten Teil bestimmt. Immense Energien werden frei, wenn dieser Teil dann wieder auf das so instabile Anfangsmetrum trifft. Die Verwirrung im Violoncello ist auskomponiert, und der Schlußton dieses Teils ist gleichsam die Vergewisserung der vier Spieler, dass man sich nun auf sicherem Boden befindet...

Tableau der Trauer

Als ehrgeiziger Opern-Komponist sah sich Dvořák in einer schwierigeren Lage: In welchem Maße sollte er auf die Musiksprache Wagners reagieren? Seine reife Oper Dimitrij etwa, deren Handlung den Boris Godunow Mussorgskys fortsetzt, arbeitete er später um, wobei er eine Umsetzung des Wagner’schen Musiktheater-Konzepts im Sinn hatte. Doch auch in der Originalfassung, auf der die hier empfohlene Aufnahme basiert, ist bereits Wagner’sches Gedankengut erkennbar. Als Xenia, Boris’ Tochter, tödlich verwundet auf die Bühne wankt, illustriert die Musik zunächst mit wütenden Streicherfiguren die Dramatik, sinkt dann jedoch chromatisch nach unten, wie um den Kräfteverfall Xenias zu zeigen. Während Fürst Shuiskij hinzukommt, wiederholt sich diese Prozedur: Aufregung weicht der Resignation. Diesmal jedoch entspinnt Dvořák nach den Worten „Xenia ist ermordet worden“ eine Trauermusik. Expressive Celli singen das Epitaph für Xenia, ein Kommentar des Orchesters, ähnlich wie bei Wagner. Bei Dvořák jedoch hat er noch die Aufgabe, Shuiskijs kurzes Arioso einzuleiten und abzuschließen. So übernimmt Dvořák Anregungen von Wagner, arbeitet diese jedoch selbständig um.

Wenn Dvořák einen Nationaltanz in ein Streichquartett übernimmt, aber auch, wenn er mit dem Stabat Mater das erste große geistliche Oratorium der tschechischen Musik schreibt, spielt der patriotische Aspekt sicherlich eine große Rolle. Doch gerade im Fall des Stabat Mater überlagert eine private Dimension die Entstehungsgeschichte: der Tod der drei Kinder Dvořáks innerhalb von nicht einmal zwei Jahren. Man merkt dem zwanzigminütigen ersten Satz des Stabat Mater (Tr. 1) die persönliche Verzweiflung an. Sie führt zu geradezu sogartigen Ausbrüchen. Wie ein Lichtstrahl durchmißt zu Beginn der einzelne Ton „fis“ in verschiedenen Instrumenten den Raum, bevor sich die absinkende Hauptmelodie herausschält. Einem Strom gleich, reißt sie immer mehr Stimmen mit sich, etwa die Orchesterbässe. Langsam rückt die Katastrophe näher, schließlich stellt sie sich ein. Nach Dur gewendet, spendet die Melodie etwas Trost, aber auch sie führt schließlich in den Schmerz: Diese klare Form mit ihrer Kulmination übernimmt auch der Chor, dessen Tenöre stammelnd, wie gelähmt einsetzen. Die Steigerung wiederum, die noch unmerklich einsetzt, ist in ihrer Energie kaum auszuhalten. Man meint, eine persönliche Katastrophe zu erleben. Selten ist Dvořák formal überzeugender als in diesem Stück – und es war wohl nicht zuletzt diese persönliche Betroffenheit, die den weltweiten Erfolg brachte.

Prof. Michael B. Weiß

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