Höchst unterschiedliche Ansätze
Semifinale Violoncello beim 73. ARD-Musikwettbewerb
Im Fach Violoncello waren 57 Bewerber aus 16 Nationen angetreten, an deren Spitze Südkorea und Spanien. Ins Semifinale im Prinzregententheater schafften es sechs Bewerber aus fünf Nationen. Gespielt werden mussten das erste Cello-Konzert C-Dur oder zweite D-Dur von Joseph Haydn oder das B-Dur-Konzert von Michael Haydn (das leider keiner gewählt hatte) sowie das Auftragswerk: Élégie pour violoncelle et piano von Marc-André Dalbavie. Das Münchener Kammerorchester unter dem Konzertmeister Daniel Giglberger begleitete alle Konzerte unermüdlich und immer animiert.
Zaghafter Solist
Ivan Sendetckii aus Russland (Haydn 1) nahm seine Solistenrolle nicht wirklich wahr, sondern bettete sich eher in den Orchesterklang ein, suchte auch immer Blickkontakt mit dem Konzertmeister. Erspielte elegant und flüssig und mit Anmut und Zartheit, kultivierte das Leise und glitt auch durch das Finale mit leichter Hand, wobei er nicht jeden Ton sauber erwischte. Kraft zeigte er dann doch in der Élégie, produzierte hier schwärmerische Töne, wirkte hier freier und überzeugender – als einziger spielte er diese Auftragskomposition ohne Noten.
Energie und Elan
Mehr Ausstrahlung und mehr Souveränität hatte Jeremias Fliedl aus Österreich (Haydn 2). Er hatte mehr Ton, mehr Saft, mehr Klang und eine größere Bandbreite in der Ausdruckskraft. Selbst die virtuosen Läufe belebte er noch und auch kleinen Phrasen schenkte er Bedeutung, baute Spannung und Entspannung auf. Immer wieder lächelte er verständnisinnig zum Orchester hin und führte Dialoge mit diesem. Schlackenlos und auch innig war sein Ton, Energie und Elan waren seine Markenzeichen. In der Élégie vereinte er Kraft mit Ästhetik und vermittelte die Architektur dieses Stückes, auch in den gezupften Passagen.
Grandezza und Dezenz
Mit Energie, Fülle und Wohllaut und einem vollen und doch auch feinen Ton erspielte sich Alexander Warenberg aus den Niederlanden (Haydn 1) sofort die Gunst der Zuhörer. Eine gewisse Grandezza prägte sein Spiel, vereint mit gefühlvoller Dezenz in den leisen Stellen und fast gesungenen Trillern. Fein und ebenmäßig waren seine Piani, rasant und mit technisch sicherem Vergnügen raste er durch das Finale. Mit der Élégie schien er aber zu fremdeln, sie klang unter seinen Händen bzw. unter seinem Bogen recht neutral.
Sonne im Spiel
Ausgesprochen sympathisch war das Auftreten von Charlotte Miles aus Australien (Haydn 2). Schon vor ihrem Einsatz freute sie sich sichtlich darauf und erfreute dann mit einem herrlich singenden und blühenden Ton und müheloser Leichtigkeit des Spiels. Sie spielte wirklich mit dem Orchester, lieferte sich immer wieder kleine Duette mit der ersten Geige und genoss selber die vielen kleinen Haydn’schen melodischen Kostbarkeiten. Während des Spiels strahlte sie nur vor Spielfreude und hatte überhaupt etwas Sonniges im Spiel. Ganz gezielt und wohldosiert setzte sie das Vibrato ein und bot ein geradezu zärtlich raunendes Piano. In der „Élégie“ verschmolz sie förmlich mit ihrem Cello, ließ die elegischen Töne vor Wonne überfließen und suchte überall nach schmerzlicher Schönheit. Für den Rezensenten wäre sie eine Favoritin gewesen.
Temperamentsbündel
Mit Maria Zaitseva aus Russland (Haydn 1) betrat ein kleines Temperamentsbündel das Podium. Außerordentlich tonschön war ihr Ton, federnd und legato-süchtig ihr Spiel. Immer wieder lächelte sie ins Orchester hinein und ließ förmlich aus dem Orchester heraus ihre Soli aufstrahlen. Lyrisch fließend war das Adagio, springlebendig und spritzig im Sprint-Tempo ging‘s durchs Finale. Hellauf jubelte das Publikum nach ihrem Haydn-Konzert. In der „Élégie“ scheute sie aus lauter Ausdruckslust nicht vor harten Bogengeräuschen zurück und gab sich der Musik mit Vehemenz voll hin.
Melodie auf dem Silbertablett
Den Schluss machte Krzysztof Michalski aus Polen (Haydn 2). Etwas zurückhaltend-bescheiden war sein Auftreten, er blühte erst beim Spielen selber auf. Fein und schön sonor war sein Ton, die Melodie des Hauptthemas servierte er wie auf einem Silbertablett. In den hohen Lagen verrutschten ihm einige Töne, seine ausgedehnte Kadenz war scheinbar von ihm auskomponiert. Schwellend sang er mit dem Cello im Adagio. In der Élégie blieb er immer im reinen Schönklang und bemühte sich, dieser Musik Sinn zu entlocken. Trotz allem gefiel der den heftig applaudierenden Zuhörern.
Die Jury unter dem Vorsitz von Frans Helmerson aus Schweden entschied sich für folgende Teilnehmer beim Finale: Alexander Warenberg, Maria Zaitseva und (für den Rezensenten überraschend) Krzysztof Michalski.
Rainer W. Janka (14.09.2024)