Gypsy Talich
Talich Quartet

la dolce volta LDV 129
1 CD • 60min • 2024
22.08.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„Hits“ sind kein Alleinstellungsmerkmal der modernen Popmusik. Gassenhauer, auf der Straße gesungen und vielfach bearbeitet, gibt es seit Jahrhunderten, viele beliebte Melodien haben in der slawischen Folklore ihren Ursprung und wurden dann von Komponisten aufs Notenblatt gebannt. Das Talich Quartett stellt Verbindungslinien zwischen Volks- und Kunstmusik in den Mittelpunkt seines neuen Albums. „Gypsy Melodies“, das beim französischen Indie-Label La dolce volta erscheint. Das traditionsreiche Streichquartett aus Prag ging in seiner Erstbesetzung bereits 1964 an den Start. Inzwischen spielt es in der dritten Generation. Primgeiger ist seit 1997 Jan Talich Junior, Sohn des Ensemble-Gründers.
Volksmusik im Streichquartett
Nach Referenzeinspielungen bedeutender Streichquartette wenden sich die vier Musiker nun dem volkstümlichen Repertoire aus Osteuropa zu. Neben Stücke von Dvořák, Janáček und Bartók begegent man auch unbekanntere Musikern. Ursprünglich handelt es sich um Lieder, Klaviermusik oder Geigenmelodien. Die Bearbeitungen für Streichquartett stammen überwiegend von dem erfahrenen tschechischen Arrangeur Jiří Kabát.
Zu Beginn gibt es Musik von Dvořák, dessen Amerikanisches Streichquartett das Talich Quartett vor drei Jahren mit großem Erfolg auf den Markt brachte. Nun wurden die beiden Zyklen Zigeunermelodien op. 55 und Mährische Duette op. 32 eingespielt. Sorgfältig entfalten die Musiker melodische und rhythmische Details; zugleich bewahren sie die Lebensfreude und die intensive Ausdruckskraft der Lieder. Die gelungenen Arrangements sind so strukturiert, dass die einzelnen Stimmen sowohl solistisch als auch im Zusammenspiel glänzen.
Leoš Janáček fing die Eigenheiten der tschechischen Sprache und Folklore in seinem Zyklus Mährische Volkspoesie in Liedern ein. Auch hier behalten die Talich-Streicher im kammermusikalischen Kontext die folkloristische Frische bei.
Feldforschung wird Kammermusik
Weiter geht es mit Bartók, der die Bauernmusik in den Weiten des ungarischen Reiches erforschte – ausgerüstet mit Wanderstab, Rucksack und Phonograph. Einige Volksmelodien aus Siebenbürgen fasste er 1915 zum Zyklus Rumänische Volkstänze zusammen. Hier wird das Streichquartett durch Filip Herák am Kontrabass und Ľubomír Gašpar an Hackbrett und der luftigen Balkan-Hirtenflöte Kaval ergänzt. Der Kontrabass sorgt für mehr Fülle und unterstreicht die rhythmische Kraft der Tänze; etwa in der Rumänischen Polka, die ständig zwischen Zweier- und Dreiertakt wechselt. Das Hackbrett, ohnehin in osteuropäischen Volksmusiken beheimatet, ergänzt den Klang um eine perkussive Wirkung.
Schließlich entführen einige Miniaturen in die Welt der folkloristisch eingefärbten Salonmusik. Roma-Geiger George Boulanger vereint Virtuosität und Leidenschaft in seiner Serenade Tzigane ebenso wie in Avant de mourir, das unter dem Titel My Prayer berühmt und vielfach gecovert wurde. Die Talich-Musiker legen hier ansteckende Spielfreude an den Tag. Ein rasant wirbelnder Tanz von Grigoraș Dinicu, einem weiteren Roma-Virtuosen, bringt feurige Energie ins Programm und lässt die Interpreten mit ihren virtuosen Fähigkeiten brillieren. Ein Paradebeispiel für eine „Gypsy Melodie“!
Ivan Vasilievs Deux Guitares erweist sich als Ausflug in die melancholische russische Salonmusik. Das Talich Quartett, das die beiden Gitarren des Originals durch Streicherfarben ersetzt, gibt sich hier nostalgisch schwelgend.
Die raffinierten Bearbeitungen sorgen für klangliche Homogenität und bringen satztechnische Feinheiten zur Geltung. Gerade die Folklore-typischen Verzierungen, Rhythmen und Synkopen treten im Quartett besonders klar hervor. In seiner kammermusikalischen Besetzung – verbunden mit dem hohen Anspruch bei Virtuosität, Ausdruck und Spielwitz – hebt das Talich Quartett auch diese kleineren Kompositionen auf eine neue Ebene.
Antje Rößler [22.08.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Antonín Dvořák | ||
1 | Mein Lied ertönt op. 55 Nr. 1 (aus: Zigeunermelodien op. 55) | 00:02:21 |
2 | Ei, wie mein Triangel wunderherrlich läutet op. 55 Nr. 2 | 00:01:18 |
3 | Rings ist der Wald so stumm und still op. 55 Nr. 3 | 00:03:07 |
4 | Als die alte Mutter mich noch lehrte singen op. 55 Nr. 4 | 00:02:16 |
5 | Reingestimmt die Saiten op. 55 Nr. 5 | 00:01:05 |
6 | In dem weiten, breiten, luft'gen Leinenkleide op. 55 Nr. 6 | 00:01:26 |
7 | Darf des Falken Schwinge op. 55 Nr. 7 | 00:01:50 |
8 | Die Gefangene D-Dur op. 32 Nr. 11 | 00:02:57 |
9 | Freundlich laß uns scheiden Es-Dur op. 32 Nr. 4 | 00:01:18 |
Leoš Janáček | ||
10 | Hájný - Koničky milého (aus: Mährische Volkspoesie in Liedern) | 00:01:11 |
11 | Ořišek léskový - Láska - Kouzlo | 00:03:03 |
12 | Kvítí milodějné - Pérečko - Loučení milou - Jindy a nyní - Obrázek milého | 00:04:28 |
13 | Belegrad - Milenec vrah - Pohřeb zbojníkův | 00:03:27 |
14 | Osamělý - Komu kytka - Pliajka - Kolín - Muzikanti | 00:03:15 |
trad. | ||
15 | Moravské lidové písně (Folkloristische Ballade) | 00:03:07 |
Béla Bartók | ||
16 | Der Tanz mit dem Stabe - Jocul cu bata, Molto moderato (aus: Sechs Rumänische Volkstänze Sz 56 für Klavier) | 00:01:23 |
17 | Gürteltanz - Braul, Allegro (aus: Sechs Rumänische Volkstänze Sz 56 für Klavier) | 00:01:41 |
18 | Der Stampfer - Pe loc, Moderato (aus: Sechs Rumänische Volkstänze Sz 56 für Klavier) | 00:01:45 |
19 | Horn-Tanz - Buciumeana, Andante (aus: Sechs Rumänische Volkstänze Sz 56 für Klavier) | 00:01:48 |
20 | Rumänische Polka - Poarga romaneasca, Allegro (aus: Sechs Rumänische Volkstänze Sz 56 für Klavier) | 00:00:46 |
21 | Schnell-Tanz - Maruntel, Allegro - Allegro vivace (aus: Sechs Rumänische Volkstänze Sz 56 für Klavier) | 00:01:41 |
Georges Boulanger | ||
22 | Serenade Tzigane | 00:02:18 |
23 | Avant de mourir | 00:04:08 |
Grigorasch Dinicu | ||
24 | Hora Mărtişorului | 00:03:47 |
Ivan Vasiliev | ||
25 | Deux Guitares | 00:05:18 |
Interpreten der Einspielung
- Talich Quartett (Streichquartett)