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Besprechung CD

Johann Pachelbel

Magnificat II
Himlische Cantorey, Jan Kobow

cpo 555 515-2

1 CD • 70min • 2021

18.11.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Fällt der Name Johann Pachelbel (1653-1706), denkt der Laie spontan an den Ohrwurm-Kanon über einen Romanesca-Chaconne-Bass, der Spieler besaiteter Tasteninstrumente womöglich an die Variationen des Hexacordum Apollinis, der Berufsorganist ganz sicher an die beiden großen Chaconnen und daran, dass er im Fach „Liturgisches Orgelspiel“ reihenweise Choralvorspiele mit Vorimitationen der einzelnen Choralzeilen vom sogenannten Pachelbel-Typus improvisieren musste. Vokalwerke wird jedoch kaum ein Mitglied dieser drei Gruppen benennen können.

Schätze, im 21. Jahrhundert wiederentdeckt

Wieso sind so wenige von Pachelbels Vokalkompositionen bekannt, obwohl die Tastenwerke seit über 120 Jahren in Gesamtausgabe vorliegen? Dies hängt mit der Überlieferungsgeschichte zusammen. Das Gros der Vokalkompositionen befindet sich im Tenbury-Manuskript, einem teilautographen Band mit Kompositionen der Pachelbel-Familie, den der jüngere der beiden komponierenden Söhne, Carl Theodor (1690-1750) nach England mitnahm, als er sich in die Neue Welt aufmachte, um später in Boston, New York und Charleston zu reüssieren. Offensichtlich fehlte für die Passage Southampton-Boston noch etwas Geld, weshalb er das Manuskript in England in Pfunden Sterling verwandeln musste. Über den englischen Komponisten William Boyce (1711-1779) gelangte es in die Oxforder Bodleian Library. Dort wurde es um die Wende zum 21. Jahrhundert wiederentdeckt – Merke: nicht nur Deborah Harkness entdeckt dort Interessantes – und seit 2009 in der Gesamtausgabe der Vokalwerke Pachelbels bei Bärenreiter veröffentlicht.

Pachelbels Satz ist sowohl gesangstechnisch und instrumentaliter als auch kompositorisch absolut virtuos und übertrifft die Anforderungen seiner Zeitgenossen Dieterich Buxtehude, Sebastian Knüpfer und Johann Kuhnau bei Weitem. Einzig Nicolaus Bruhns kann hier mithalten. Die Vertonung des Dritten Psalms Ach Herr, wie sind meiner Feinde so viel (Track 23) stellt sowohl an Violine als auch an den Bass-Solisten allerhöchste Ansprüche. Interessant auch die extreme Skordatur der Violine auf c‘,g‘,c‘‘,f‘‘ im Sopran-Concerto Mein Fleisch ist die rechte Speise (Track 17). Da sich Pachelbel zeitweilig in Wien aufhielt, könnte es zu einer Bekanntschaft mit H. I. F. Biber gekommen sein, der in seinen Rosenkranz-Sonaten ähnlich extreme und riskante Saitenstimmungen fordert.

Die beiden Magnificate gehören mit Sicherheit zu den interessantesten, bildhaftesten und phantasievollsten Kompositionen vor Pachelbel. Höchst originell auch die obligate Orgel im Gloria des B-Dur Magnificats (Track 36). Ob Herr Bach, dessen älterer Bruder ja bei Pachelbel studierte, diese Idee womöglich für sein Geist und Seele sind verwirret übernahm?

Brillante Interpretation mit kleinen Anmerkungen

Die Himlische Cantorey unter Jan Kobow macht ihre Sache über weite Strecken ausgezeichnet. Alle Mitwirkenden beherrschen die nötige Koloraturtechnik ohne H-Schummeleien, nutzen dies jedoch nicht durchgehend. Auch sind an einigen Stellen störende Italianismen durchgerutscht. Deutschlateinisch heißt es nun mal „suszepit“ und nicht „suschäpit“. Diese kleinen kritischen Anmerkungen sollen aber meinen Respekt vor der sehr guten Leistung des Ensembles, dem eine sehr konsistente, intonatorisch pieksaubere, rhetorisch überzeugende Interpretation gelang keinesfalls schmälern.

Die Aufnahmetechnik fängt das Klangbild präzise, transparent und ohne Härten, somit überzeugend, ein. Wenn man mit Wolfgang Hirschmann einen der Herausgeber dieser Werke für den höchst informativen Booklet-Text gewinnen kann, hebt das natürlich den Gesamteindruck.

Fazit: Eine Aufnahme, die Pachelbel als Vokalkomponisten rehabilitiert und das Anhören unbedingt lohnt. Sicherlich auch eine Fundgrube für Vokalensembles, die allerdings mit 3 Gamben unter den Streichern nicht ad hoc zu besetzen ist. Chöre mögen von diesem außerordentlich diffizilen Repertoire bitte die Finger lassen!

Thomas Baack [18.11.2024]

Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johann Pachelbel
1Magnificat in C PWV 1503 00:19:02
17Mein Fleisch ist die rechte Speise PWV 1222 für Sopran, Violine und B.c. (Kantate) 00:06:48
18Deus in adiutorium PWV 1407 00:11:01
23Ach Herr, wie ist meiner Feinde so viel PWV 1203 00:11:41
24Magnificat B-Dur 00:21:49

Interpreten der Einspielung

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