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Besprechung CD

Gomalan Brass Quintet

Alexander Tcherepnin • Victor Ewald

cpo 555 680-2

1 CD • 63min • 2022

16.09.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Vermutlich ist der russische Komponist Viktor Ewald (1860–1935) den meisten Musikliebhabern eher kein Begriff, und dies paradoxerweise, obwohl die auf dieser CD vorgestellten Werke für cpo-Verhältnisse eigentlich diskographisch ungewöhnlich gut erschlossen sind (teilweise mehr als ein Dutzend Einspielungen). Ewald gehörte dem Kreis um den russischen Musikmäzen Mitrofan Beljajew an und spielte lange Zeit auf dessen Freitagstreffen im Streichquartett den Cellopart. Hauptberuflich war er Bauingenieur, hatte jedoch am Petersburger Konservatorium eine gründliche musikalische Ausbildung genossen. Sein kompositorisches Schaffen ist sehr schmal, umfasst aber vier Blechbläserquintette, die zu den ersten überhaupt gehören und bei den Blechbläsern eben zum Repertoire gehören – nota bene: seine übrigen Werke, allesamt Kammermusik für Streicher, scheinen niemals eingespielt worden zu sein. Auf der vorliegenden CD stellt das Gomalan Brass Quintet drei dieser Quintette vor.

Russische Schule und deutsche Romantik

Das Blechbläserquintett Nr. 1 b-moll op. 5, um 1890 entstanden, ist das einzige, das zu Lebzeiten Ewalds publiziert wurde; ein Werk, das in drei kompakt gehaltenen Sätzen ganz eindeutig den Geist der nationalrussischen Schule atmet. Deutlich spürbar ist dies bereits ganz am Anfang im mottoartigen Hauptthema des ersten Satzes, ebenso charakteristisch der Scherzo-Einschub im 5/8-Takt im zweiten Satz oder die zyklische Rundung des Werks im Finale, dessen Hauptthema eine festliche Dur-Variante des Mottothemas des ersten Satzes darstellt. Rundum vergnügliche, unkomplizierte, unmittelbar eingängige Musik. Interessanterweise wählt Ewald in seinem Quintett Nr. 2 Es-Dur op. 6 (um 1905) einen anderen Ansatz, denn dezidiert russische Töne vernimmt man hier kaum. Viel eher denkt man an deutsche Romantik, Schumann ist sicher ein Einfluss, und am Beginn des dritten Satzes lässt Brahms’ Sinfonie Nr. 2 (zweites Thema des Finales) grüßen. Auch dies wiederum ein schön gearbeitetes, manchmal vielleicht eine Spur formelhaftes Werk. Wieder einen anderen Weg geht Ewald in seinem Quintett Nr. 3 Des-Dur op. 7 (um 1912), weniger im ersten Satz, der ähnliche stilistische Positionen einnimmt wie das Quintett Nr. 2 und übrigens auch gewisse (vermutlich zufällige) Parallelen zu Blechbläsermusik aus derselben Zeit aufweist (vgl. etwa die Kornettsonate op. 18 des Dänen Thorvald Hansen). Die Sätze 2 bis 4 sind dann aber eher suitenhaft angelegt, kleine Genrestücke, nun auch wieder mit durchaus slawischem Einschlag.

Lyrisch timbrierte, kammermusikalische Einspielungen

Das Gomalan Brass Quintet (das, wie manch andere Ensembles auch und in Einklang mit historischen Quellen, statt Trompeten etwas weicher klingende Kornette wählt) legt eine sehr gute, warm timbrierte, lyrisch grundierte Interpretation dieser Werke vor, die speziell ihre kammermusikalischen Seiten betont. In der Tat: über weite Strecken befinden sich die Instrumente in einem steten Dialog, und der Rahmen, in den man u.a. das Quintett Nr. 1 einzuordnen hat, sind insbesondere die Streichquartette (und anderes) des Beljajew-Kreises. Dies alles kommt in der vorliegenden Einspielung ausgezeichnet zur Geltung. Hervorzuheben ist daneben das sanfte, flexible Rubato des Ensembles und die durchdachte Wahl der Tempi, nachzuvollziehen etwa in der Durchführung des ersten Satzes des Quintetts Nr. 2: das Stockholm Chamber Brass-Ensemble, das auf BIS eine (technisch vorzügliche) Einspielung aller vier Quintette vorgelegt hat, interpretiert hier die Vortragsanweisung Più mosso geradezu als ein Quasi presto, brillant, aber letztlich zu Lasten des Gleichgewichts dieses Satzes. Das Gomalan Brass Quintet ist aus gutem Grund vorsichtiger und zieht erst gegen Ende des Satzes (an der Parallelstelle) deutlich an.

Alexander Tscherepnins launiges Quintett

Man mag etwas bedauern, dass das Gomalan-Quintett nicht noch das Quintett Nr. 4 eingespielt hat, das eigentlich chronologisch das erste ist und von Ewald aufgrund spieltechnischer Probleme einige Jahre später in ein Streichquartett umgearbeitet wurde (nicht umgekehrt, wie man hier und da noch liest). Dafür entschädigt das Quintett aber mit einer Einspielung des bislang diskographisch nur spärlich erschlossenen, ausgesprochen attraktiven Blechbläserquintetts op. 105 (1970) von Alexander Tscherepnin (1899–1977). Wie häufig bei Tscherepnin kommen hier einige Einflüsse zusammen, Neoklassizismus à la Strawinski, russische Tradition und französische Schule. Die nicht unerheblichen Dissonanzen dieser Musik wirken nie aggressiv oder schwer fasslich, sondern eher kess, grotesk, wie mit spitzer, exakter Feder gezeichnete Skizzen, vielleicht Karikaturen. Im Kontext dieses Albums besonders interessant, die Parallelen zwischen dem Scherzo-Mittelteil des langsamen Satzes von Ewalds Quintett Nr. 1 und der irregulären Metrik im 3. Satz von Tscherepnins Quintett zu beobachten – Kontinuitäten über 80 Jahre und vom zaristischen Petersburg bis ins französisch-amerikanische Exil hinweg. Begleitet wird diese schöne Produktion von einem knapp gehaltenen, launigen Begleittext, wobei sich hinter dem Kürzel EH aller Wahrscheinlichkeit nach einmal mehr Eckhardt van den Hoogen verbergen dürfte.

Holger Sambale [16.09.2024]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Victor Vladimirovich Ewald
1Blechbläserquintett Nr. 1 b-Moll op. 5 00:13:41
4Blechbläserquintett Nr. 2 Es-Dur op. 6 00:19:23
7Blechbläserquintett Nr. 3 Des-Dur op. 7 00:20:09
Alexander Tscherepnin
11Blechbläserquintett op. 105 00:10:00

Interpreten der Einspielung

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