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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Mrii

Ukrainian Hope
Violina Petrychenko

Ars Produktion ARS 38 357

1 CD/SACD stereo/surround • 69min • 2022

20.05.2023

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Schon seit Jahren engagiert sich die junge Pianistin Violina Petrychenko, eine Ukrainerin, die seit 2007 in Deutschland wirkt, für die Musik ihrer Heimat, und so liefert auch ihr neuestes Album ein Panorama ukrainischer Klaviermusik, durchaus in Anknüpfung und Ergänzung etwa ihrer vor einigen Jahren ebenfalls bei Ars Produktion erschienenen „Ukrainian Moods“. Der Schwerpunkt des neuen, „Mrii“ (Träume) betitelten Programms liegt diesmal auf der Zentral- und Ostukraine und der Musik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Lyssenko als der ukrainische Nationalromantiker schlechthin

So ist mit Mykola Lyssenko (1842–1912) die unzweifelhaft zentrale Figur des ukrainischen Musiklebens der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vertreten. Lyssenko, u.a. Schüler von Reinecke und Rimski-Korsakow, ist in erster Linie als Komponist von Vokalmusik (u.a. einer Reihe von Opern) anzusehen, hat aber auch eine nicht unbeträchtliche Menge an Klaviermusik hinterlassen, in der Mehrzahl kürzere Stücke. Seine Rêverie op. 13 (1876) und sein Chant triste (1909, also viel später entstanden, was man der Musik aber kaum anhört), mit denen das Programm beginnt, sind reizvolle kleine Elegien, die Lyssenko als einen Komponisten in der Tradition der Klaviermusik des 19. Jahrhunderts (wie Chopin und Schumann) zeigen. Gut vergleichbar sind diese Stücke auch mit der Klaviermusik Tschaikowskis (mit dem Lyssenko persönlich bekannt war), man denke etwa an dessen Opus 19 (Nr. 4). Größer angelegt ist seine mit Dumka – Schumka überschriebene Rhapsodie über ukrainische Themen Nr. 2 a-moll op. 18 (1876). Möchte man auf diesem Album ein Werk exemplarisch herausheben, das in besonderem Maße die spezifische Charakteristik ukrainischer (Klavier-) Musik repräsentiert, so bietet sich diese Rhapsodie ganz besonders an. Man beachte etwa die ausgeprägte Ornamentik, die Melismen der einleitenden Dumka, bei der man durchaus Parallelen z.B. zu rumänischer Folklore ziehen kann, oder das von der (für ukrainische Musik offenbar generell typischen) übermäßigen Quarte geprägte Melos der lebhafteren Schumka, die sich bis hin zu ausgelassener Heiterkeit steigert.

Ursprünge, Kontinuität und Weiterentwicklung

Eine Generation älter und um Längen nicht so prominent ist Alois Jedlička (oder Jedliczka; 1821–1894), ein Böhme, der ab 1848 als Lehrer in Poltawa wirkte und sich immens für die Volkslieder seiner neuen Heimat interessierte, die er sammelte, bearbeitete und publizierte. Seine Fantasie über ukrainische Volkslieder setzt drei Lieder effektvoll und in der Tradition brillanter Klaviermusik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Szene (wann genau die Fantasie entstand, war für mich nicht zu eruieren), wobei der ausgedehnte, variierte Mittelteil einen elegischen Kontrast bildet. Jakiw Stepowyj (1883–1921), dessen Geburtsname Jakymenko lautete ( Fjodor bzw. dem französischen Exil entsprechend Théodore Akimenko war sein Bruder), wiederum gehört zu den Komponisten, die sich auf Lyssenko beriefen. In der Tat zeigen die hier versammelten Miniaturen einen Komponisten, der sich insgesamt vorwiegend an Chopin (u.a. in der Wahl der Genres) und eben Lyssenko orientiert, Rachmaninow oder Skrjabin spielen eher ansatzweise eine Rolle. Sehr hübsch z.B. die beiden Stücke aus op. 9 (und schade, dass nicht auch noch op. 9 Nr. 3 eingespielt wurde), etwas größer angelegt, aber mit gewissen dramaturgischen Schwächen die Fantasie e-moll, gelungener in dieser Hinsicht das Präludium zum Gedenken an Schewtschenko. Das Programm schließt mit drei kleineren Stücken von Lewko Rewuzkyj (1889–1977), der ein schmales, aber sehr beachtliches Œuvre hinterlassen hat; ausgezeichnet etwa seine Sinfonie Nr. 2 und sein Klavierkonzert, die beide schon längst auf CD (von den Melodija-LPs wieder-) veröffentlicht hätten werden sollen. Interessant ist es, etwa im Lied op. 17 Nr. 1 (1929) die Parallelen im Tonfall zu Lyssenko zu beobachten bei gleichzeitig avancierterer Harmonik und klangvollem, grundsätzlich romantischem, aber z.B. durch Quintparallelen sehr reizvollen aufgerautem Tonsatz, also Kontinuität und Weiterentwicklung zugleich.

Besonderer Fokus auf den lyrisch-elegischen Momenten

Petrychenko ist dieser Musik eine engagierte, einfühlsame Anwältin, die gerade die lyrisch-elegischen Seiten dieser Musik liebt und etwa das Moderato assai der Dumka zu Beginn von Lyssenkos Rhapsodie als dezidiert langsame Tempovorschrift begreift; eine intensive, tief empfundene Darbietung. Eher zurückhaltend bleibt sie dabei auch an den Kulminationspunkten dieser Musik, und so wäre etwa im Falle der Rhapsodie sicherlich auch eine Deutung möglich, bei der die brillanten, energisch auftrumpfenden Passagen der Maggiore-Abschnitte stärker in den Vordergrund rücken. In ihrem Begleittext geht die Künstlerin besonders auf biographische und historische Umstände ausgiebig ein; hier hätte man die einzelnen Stücke, die für die meisten Hörer ja doch Neuland sein werden, etwas intensiver diskutieren können, auch bzgl. Details wie den Daten (z.B. ist der zauberhafte kleine Walzer von Rewuzkyj, mit dem das Programm sein Ende findet, ein sehr frühes Werk von 1908/09). Wie auch immer: Freunde romantischer Klaviermusik aus dem slawischen Raum werden an dieser gelungenen CD ihre Freude haben.

Holger Sambale [20.05.2023]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Mykola Lysenko
1Reverie d-Moll op. 13 (Visions of the Past) 00:04:56
2Chant triste d-Moll op. Posth 00:03:34
Alois Jedlička
3Fantasia on Ukrainian folk songs 00:10:23
Yakiv Stepovyi
4Mriya g-Moll 00:03:10
5Prelude b-Moll op. 9 Nr. 1 00:01:23
6Mazurka Es-Dur op. 9 Nr. 2 00:01:30
Mykola Lysenko
7Dumka-Shumka op. 18 (Zweite Rhapsodie über ukrainische Volkslieder) 00:09:23
Yakiv Stepovyi
8Prelude in Memory of Shevchenko a-Moll op. 13 00:04:04
9Valse h-Moll op. 5 Nr. 1 00:03:10
10Elegie a-Moll op. 5 Nr. 2 00:03:49
11Menuett G-Dur op. 5 Nr. 3 00:03:07
12Dance C-Dur op. 5 Nr. 4 00:02:56
13Prelude a-Moll op. 7 Nr. 4 00:02:27
14Fantasia e-Moll 00:05:16
Lewko Revuzkij
15Improvisation Es-Dur 00:04:26
16Song g-Moll op. 17 Nr. 1 00:02:53
17Valse B-Dur 00:02:54

Interpreten der Einspielung

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