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Besprechung CD

Messiaen

Vingt Régards sur l'Enfant-Jésus

OUR Recordings 6.220677-78

2 CD • 2h 18min • 2021

06.05.2023

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Man darf die Musik Olivier Messiaens sicherlich zu den Schwerpunkten des dänischen Labels OUR Recordings zählen, und auch der 1982 geborene Pianist Kristoffer Hyldig, ebenfalls Däne, hat sich schon länger den Ruf eines Messiaen-Spezialisten erworben. Insofern besitzt es fast eine gewisse Zwangsläufigkeit, dass Hyldig nun für OUR Recordings auf einem 2 SACD-Album Messiaens monumentalen Zyklus Vingt Regards sur l’Enfant-Jésus eingespielt hat.

Meditative Versenkung und archaische Urgewalt

Bei den Vingt Regards, 1944 innerhalb eines halben Jahres entstanden, handelt es sich um eine Art Weihnachtsmusik, 20 Klavierstücke mit einer Gesamtspielzeit von gut zwei Stunden, die in mannigfaltiger Weise und aus verschiedenen Perspektiven die titelgebenden Blicke auf die Geburt Christi werfen. Die expressive Spannbreite des Zyklus ist gewaltig, ausgehend von und immer wieder zurückkehrend zu meditativer Versenkung, manchmal fast naiver Gläubigkeit, scheinbar gelöst von der Zeit, anderenorts enorm eruptiv, von ekstatischer Freude oder donnernd-archaischer Urgewalt geprägt. Dabei kreist die Musik um eine Hand voll Themen und Motive, die Einheit stiften und vom Komponisten mit einer speziellen Bedeutung versehen sind, allen voran das „Thème de Dieu“, das den Zyklus beginnt und apotheotisch beschließt. Tonale, modale Passagen und Chromatik bis hin zur Atonalität wechseln sich ab, wobei manchen tonalen Zentren eine Schlüsselfunktion zukommt, insbesondere Fis-Dur, das hier als eine Art „Tonalité de Dieu“ fungiert. Und natürlich spielen auch eine höchst differenzierte Rhythmik und Messiaens enormer Sinn für Klangfarben eine zentrale Rolle. Dies alles und die erheblichen spieltechnischen Herausforderungen machen die Vingt Regards zu einem der großen klassischen Klavierzyklen des 20. Jahrhunderts, eine Herausforderung, mit der sich gerade in jüngerer Zeit eine ganze Reihe von Pianisten im Rahmen von Neueinspielungen beschäftigt hat.

Mysterium und Zeit

Hyldigs Interpretation nimmt das Mysterium, die Spiritualität von Messiaens Musik sehr ernst. Dies beginnt bereits mit der Wahl der Tempi: Hyldig nimmt sich viel Zeit, bleibt in der Tendenz eher etwas unter Messiaens Metronomangaben und kommt so auf eine Gesamtspieldauer von 138 Minuten. Diese Zeit nutzt er, um etliche Details, Nuancierungen und dynamische Feinabstufungen sehr sorgfältig zu realisieren, verliert dabei aber nicht die melodische Linie aus dem Blick: seine Interpretation atmet – gerade in den langsamen Stücken – in großen, ruhigen Zügen. Exemplarisch zu beobachten ist dies gleich in Regard du Père (Nr. 1), wenn das Thème de Dieu in Hyldigs Händen fast an Glockenklänge gemahnt, wie überhaupt sein Anschlag in der Regel sehr voll, sonor, und warm klingt. Sehr schön differenziert z.B. die drei unterschiedlichen Schichten in Regard du Fils sur le Fils (Nr. 5), das Vogelkonzert in Regard des Hauteurs (Nr. 8) klingt ausgesprochen beredt, die Vogelstimmen bemerkenswert direkt evozierend, und wenn am Ende von Par lui tout a été fait (Nr. 6) eine lange Fermate steht, dann dauert sie bei Hyldig eine volle Minute: die Musik schwingt hier wahrlich aus.

Klangfülle und Wucht

Diese spezifische Atmosphärik wird noch intensiviert durch das Klangbild der Aufnahmen, die in der Kopenhagener Erlöserkirche (Vor Frelsers Kirke) entstanden; ein gewisses Maß an Nachhall und Volumen gehören hier dazu. Hinzu kommt, dass auch Hyldig selbst eher großzügig pedalisiert. Es handelt sich also um keine Aufnahme, die in erster Linie die Klarheit, die Messiaens Musik auch auszeichnet, in den Vordergrund stellt, wohl aber eine, die den Moment extrem ausreizt, ihm Fülle und Wucht verleiht. Dabei bleibt Hyldig seiner Linie auch dann treu, wenn die Musik eher perkussiv orientiert ist, so etwa in den Tam-Tam-Schlägen in Nr. 12 und Nr. 16, die bei ihm nicht mit allerletzter Gewalt, aber klangmächtig erscheinen, oder in den tumultösen Höhepunkten in Nr. 6 und Nr. 10, die bei ihm machtvoll, aber nicht so stürmisch anmuten wie etwa in Michel Béroffs klassischer Aufnahme. Eher innig als affirmativ begreift er den „Baiser“ in Le Baiser de l’Enfant-Jésus (Nr. 15), womit er der Gefahr einer gewissen Übersüße, die dieser Musik sicherlich innewohnt, überzeugend begegnet.

Eine schlüssige und hochklassige Interpretation

Das Beiheft bietet Messiaens eigene Kommentare zu den 20 Stücken, eine kurze Einführung in den Zyklus und einen Text von Kristoffer Hyldig selbst, in der er seine Sicht auf die Musik und die Genese seiner Interpretation und dieser Einspielung darstellt. Selbstverständlich erlaubt ein derart vielfältiger und herausfordernder Zyklus wie dieser eine Vielzahl von Herangehensweisen und Deutungen, mit Präferenzen, die wenigstens teilweise subjektiv geprägt sein müssen. So wird man schwerlich von einer definitiven Lesart sprechen können; Hyldig gelingt es aber, innerhalb der Phalanx von Einspielungen, die es mittlerweile von den Vingt Regards gibt, eine sehr persönliche, schlüssige, lohnenswerte und hochklassige Interpretation vorzulegen.

Holger Sambale [06.05.2023]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Olivier Messiaen
2II. Regard de l'étoile, Modéré (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:03:24
3III. L'échange, Bien modéré (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:03:55
4IV. Regard de la Vierge, Bien modéré (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:06:02
5V. Regard du Fils sur le Fil, Très lent (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:07:52
6VI. Par Lui tout a été fait, Modéré, presque vif (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:11:42
7VII. Regard de la Croix, Bien modéré (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:04:54
8VIII. Regard des hauteurs, Vif (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:02:37
9IX. Regard du temps, Modéré (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:02:54
10X. Regard de l'Esprit de joie, Presque vif (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:09:25
CD/SACD 2
1XI. Première communion de la Vierge, Très lent (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:08:26
2XII. La parole toute puissante, Un peu vif (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:02:29
3XIII. Noël, Très vif, voyeux (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:04:25
4XIV. Regard des Anges, Très vif (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:05:02
5XV. Le baiser de l'Enfant-Jésus, Très lent, calme (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:12:24
6XVI. Regard des prophètes, des bergers et des Mages, Modéré (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:03:25
7XVII. Regard du silence, Très modéré (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:06:38
8XVIII. Regard de l'Onction terrible, Modéré (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:07:01
9XIX. Je dors, mais mon cœur veille, Lent (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:11:31
10XX. Regard de l'Eglise d'amour, Presque vif (aus: Vingt régards sur l'enfant-Jésus) 00:15:24

Interpreten der Einspielung

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