Gity Razaz
The Strange Highway
BIS 2634
1 CD • 55min • 2010, 2021, 2011
11.09.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die aus Teheran stammende Komponistin Gity Razaz (Jahrgang 1986) zog 2002 in die USA. Hatte sie schon als Neunjährige „intuitiv“ – wie sie sagt – mit dem Komponieren begonnen, verfeinerte sie an der New Yorker Juilliard School ihre Kunst unter anderem bei Samuel Adler und John Corigliano. In den letzten 15 Jahren trat sie immer wieder durch Auftragskompositionen berühmter Solisten und Festivals hervor und schreibt Werke nahezu aller Gattungen.
Geschichten, die individuelle Metamorphosen durchlaufen
Abgesehen von der Tatsache, dass sich bei Frau Razaz, die sich als typische Einwanderin fühlt, natürlich Erfahrungen aus zwei unterschiedlichen Kulturkreisen irgendwie vermischen, fällt auf, dass ihre Werke meist durch poetische, literarische Vorbilder geprägt sind. Dabei erfahren allerdings bereits die darin erzählten „Geschichten“ höchst eigenwillige Interpretationen. Das musikalische Ergebnis sind dann schillernde Metamorphosen von großer Individualität. So erhält z.B. in Legend of Sigh (2015) für Cello, aufgezeichnetes Cello & Elektronik das aserbaidschanische Volksmärchen von einem Geist („Sigh“), dessen Erscheinen eben durch Seufzen evoziert wird, schon inhaltlich eine komplette Umdeutung in die Geschichte einer Witwe, die sich im Körper anderer Frauen inkarniert. Nur so versteht man auch, warum dieses Stück nicht etwa für zwei Cellisten komponiert wurde: Die hier dargestellten, quasi schizophrenen psychologischen Momente kommen natürlich mit einem Spieler plus Zuspielungen weitaus spannender zur Geltung – von Inbal Segev optimal vermittelt.
The Strange Highway und Metamorphosis of Narcissus
Ähnlich verhält es sich bei den beiden größer besetzten Stücken des Albums: The Strange Highway für Cello-Oktett basiert auf einem Gedicht des Chilenen Roberto Bolaño. Schon 2010 überzeugt die Komponistin durch eine dramatisch effektvolle Schreibweise mit gekonntem kontrapunktischem Handwerk. Noch farbiger ist freilich Metamorphosis of Narcissus für Kammerorchester & Elektronik (2011), welche recht unaufdringlich zum Einsatz kommt. Der Narziss-Mythos wird durch Begegnung mit Paul Coelhos Roman Der Alchemist und Salvador Dalis bekanntem Gemälde neu und kompakt interpretiert. Auffallend dabei Gity Razaz‘ einprägsame Melodik und ihr Sinn für sehr frei schwebende, gleichzeitig überaus schlüssige Harmonik. Die Aufnahmen enthalten die Mitschnitte der jeweiligen Uraufführungen.
Intensive, kontrastreiche Kammermusik
Das frühe Duo für Violine und Klavier (2007) besteht aus zwei kontrastierenden Sätzen, die beide auf demselben melodischen Grundmaterial aufbauen, das im Verlauf vielschichtig verarbeitet und hier von Francesca dePasquale und Scott Cuellar besonders im zweiten, Scherzo betitelten Teil hinreißend dargeboten wird. Katharina Kang Litton spielt Spellbound für Solobratsche (2020) dann ebenso differenziert wie eindringlich. In diesem Stück werden vielleicht am stärksten Erinnerungen an persische Streichinstrumente wachgerufen. Schade vielleicht, dass die Komponistin in den vorgestellten Werken – bis auf Legend of Sigh – oft recht unvermittelt zum Schluss kommt. Insgesamt kann Gity Razaz jedoch vielversprechend Fantasien, wie sie für den Mittleren Osten prägend sind, mit westlicher Klassikkultur zusammenführen – durchaus interessant.
Martin Blaumeiser [11.09.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Gity Razaz | ||
1 | The Strange Highway | 00:10:08 |
2 | Duo für Violine und Klavier | 00:10:11 |
4 | Legend of Sigh für Violoncello und Electronics | 00:19:07 |
6 | Spellbound für Viola | 00:06:49 |
7 | Metamorphosis of Nacissus für Kammerorchester und Electronics | 00:08:13 |
Interpreten der Einspielung
- All-American Cello Band (Violoncello-Ensemble)
- Francesca Pasquale (Violine)
- Scott Cuellar (Klavier)
- Ingbal Segev (Violoncello)
- Katharina Kang Litton (Viola)
- Metropolis Ensemble (Ensemble)
- Andrew Cyr (Dirigent)