Musik aus Schloss Wolfenbüttel VI
Michael Praetorius • Heinrich Schütz
Sacred Works in Parallel Settings
cpo 555 503-2
1 CD • 68min • 2021
20.06.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Heinrich Schütz kennt jeder Musikinteressierte, Michael Praetorius kennen die meisten nur von seinem Weihnachtslied-Satz „Es ist ein‘ Ros‘ entsprungen“, sonst vor allem die Kirchenmusiker. Deshalb ist es nicht nur eine hübsche, sondern auch äußerst reizvolle Idee, die beiden Großmeister der evangelischen Kirchenmusik im 17. Jahrhundert auf einer CD gegenüberzustellen, ja hier sogar in edlem Komponier-Wettstreit gegeneinander antreten zu lassen: Fünf Psalmvertonungen bzw. Geistliche Lieder erklingen wechselweise von Schütz und von Praetorius. Dabei kann Praetorius durchaus bestehen.
Praetorius der erste „Importeur“ des neuen italienischen Stils
Schon das erste Stück, der Psalm 6 Ach mein Herre, straf mich doch nicht, zeigt, dass man Michael Praetorius, wie Manfred Cordes im ausführlichen Booklet schreibt, „damit als den eigentlichen und ersten ‚Importeur‘ des neuen Stils im Norden bezeichnen“ kann mit seinen heftigen Affekten, dem stile acetato, Echowirkungen, lento-presto-Effekten, Verzierungen der Gesangslinien, die wie der Stuck in barocken Kirchen wirken, und expressiven Einzelwortausführungen: „müde vom Seufzen“ ist ganz lang gezogen und „schwemmen mein Bette mit Tränen“ ist überschwemmt mit Koloraturenfülle. In Das ist mir lieb (Ps. 116) ist Praetorius emphatischer und beschwörender als Schütz. Und auch das letzte Wort auf dieser CD hat Praetorius mit seiner prachtvollen Version von Verleih uns Frieden gnädiglich mit einer kontrastreichen Gegenüberstellung von Einzelstimmen mit allen Sängern und Instrumenten.
Eindringlicher bis inbrünstiger Gesang
Das vierzehnköpfige Instrumentalensemble der Weser-Renaissance Bremen produziert – hörbar vor allem in den wenigen Sinfonien – einen ungemein dichten, strengen und doch zugleich weichen Klang und phrasiert fein. Die bis zu neun Sängerinnen und Sänger singen nahezu vibratolos und instrumental, dabei eindringlich, ja bisweilen inbrünstig erregt, prononciert immer deutlich am Text entlang, immer geschmeidig bewegt: Manfred Cordes, der höchst kenntnisreiche Professor für Alte Musik, ist eminent stilsicher, aber nie bloß akademisch.
Mehr Sänger gäben mehr Klangpracht
Die Tonregie fängt den mit leichtem Nachhall versehenen Kirchenraum gut ein, das Hörbild ist klar, trennscharf und transparent, aber etwas hochfrequenzig scharf, nicht so ohrenwohltuend abgerundet.
Praetorius hatte als Hofkapellmeister in Wolfenbüttel 18 Sänger zur Verfügung, an Festtagen vielleicht auch mehr. Hier sind es höchstens 9. Und das mindert doch die chorische Klangpracht. Gewiss: Die 5 Sängerinnen und Sänger agieren zum Beispiel in Schütz‘ Das ist mir lieb rhythmisch wendig und deklamieren emphatisch – aber ein größeres Ensemble oder ein größerer Chor würden den melodischen Aufstieg der Seele aus der Höllenangst noch wesentlich klanggewaltiger gestalten. Ein Vergleich mit der Aufnahme durch den Dresdner Kammerchor zeigt das. Wenn Praetorius seinen Psalm Aus tiefer Not für zwei Doppelchöre komponiert, möchte man auch Chöre hören, erst recht bei der Version von Schütz. Im Vergleich mit dem Dresdner Kreuzchor unter Rudolf Mauersberger (1967), den wie entflammt in südlichem Temperament singenden Regensburger Domspatzen unter Hanns-Martin Schneidt (1972) oder dem Kammerchor Stuttgart unter Frieder Bernius (1992) hört sich Schütz hier ausgedünnter an. Am deutlichsten wird das beim doppelchörigen und mit verdoppelten Instrumentalensembles ausgestatteten Nun lob mein Seel' von Schütz: Das ist so prachtvoll und geradezu prunkliebend komponiert, dass man Pracht und Prunk auch akustisch genießen möchte.
Schön aufgelichtet im Klang ist dafür derselbe Psalm bei Praetorius, da genießt man die Transparenz der Kleinbesetzung. Also steht es unentschieden im edlen Komponier-Wettstreit.
Rainer W. Janka [20.06.2022]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Michael Praetorius | ||
1 | Ach, mein Herre, straf mich doch nicht (Polyhymnia III, Psalm 6) | 00:08:55 |
Heinrich Schütz | ||
2 | Ach, Herr, straf mich nicht in deinem Zorn SWV 24 (Psalmen Davids, Psalm 6) | 00:04:28 |
3 | Das ist mir lieb SWV 51 (Psalm 116, à 5) | 00:12:11 |
Michael Praetorius | ||
4 | Das ist mir lieb (Psalm 116, à 10) | 00:14:34 |
5 | Aus tiefer Not schrei ich zu dir (Psalm 130, à 8) | 00:04:46 |
Heinrich Schütz | ||
6 | Aus der Tiefe ruf ich, Herr, zu dir SWV 25 (Psalmen Davids, Psalm 130 à 8) | 00:03:42 |
Michael Praetorius | ||
7 | Nun lob, mein Seel, den Herren (Polyhymnia III 1619 Nr. 2, à 3 & 4) | 00:03:02 |
Heinrich Schütz | ||
8 | Nun lob, mein Seel, den Herren SWV 41 (Psalmen Davids Nr. 20) | 00:07:43 |
9 | Verleih uns Frieden gnädiglich SWV 372/373 (Geistliche Chormusik) | 00:03:56 |
Michael Praetorius | ||
10 | Verleih uns Frieden gnädiglich (Polyhymnia III Nr. 29) | 00:03:32 |
Interpreten der Einspielung
- Weser-Renaissance (Ensemble)
- Manfred Cordes (Dirigent)