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Besprechung CD

Georg Philipp Telemann

Michaelis-Oratorium

cpo 555 214-2

1 CD • 72min • 2018

11.02.2019

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Es gibt wenige Komponisten, deren Charakterbild, von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, so in der Geschichte schwankt wie das von Georg Philipp Telemann. Früher wurde er als Vielschreiber geschmäht, dessen „Fabrikware“ (so das „Musicalische Coversationslexikon“ 1878) alleine wegen seiner Opus-Vielzahl als gering geschätzt wurde, schließlich habe er mehr produziert als Bach und Händel zusammen, Robert Eitner meinte 1884, Telemann „kann entsetzlich bummelich schreiben, ohne Kraft und Saft“, August Halen bezeichnete seine Musik als „gärtnerische Musik“, und vorgeworfen wird ihm immer wieder das Fehlen einer kontrapunktischen Arbeit wie die seiner großen Kollegen Bach und Händel. Und in der Tat resümiert dazu Karl Grebe in seiner rororo-Monografie von 2002, Telemann praktiziere den Kontrapunkt „wie jemand, der ihn zwar auch beherrscht, aber gar keine Lust dazu hat.“ Aber die ausübenden Musiker lieben Telemann und auch die heutige Musikwissenschaft schätzt seine melodische Erfindungsgabe, seine Anverwandlung außerdeutscher Nationalstile und die „physiognomische Ausdruckskraft seiner Musik“ (so wieder Karl Grebe).

Und in der Tat muss man, wenn man den Titel dieser CD liest, bei dem Wort „Oratorium“ die Namen Bach und Händel einfach vergessen. Dann aber hört man ein entzückend einfallsreiches und effektvolles Werk, das Telemann zur Einweihung der neuen Michaeliskirche in Hamburg 1762 komponiert und in dem er genau die liturgischen Vorgaben dieser Feier-Dreier-Stunde beachtet hat, nämlich die Einbettung zwischen zwei große Predigten. Im Booklet beschreibt Wolfgang Hirschmann, der Editionsleiter der Telemann-Ausgabe im Bärenreiter-Verlag, sehr kundig und anschaulich den Ablauf des damaligen Festaktes: Hier wird Geschichte lebendig.

Und höchst lebendig, farbig, festlich beschwingt und schwungvoll-mitreißend ist die Wiedergabe dieses Michaelis-Oratoriums durch die Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens. Die Pauken und Trompeten, diese majestätischen, früher eben nur Majestäten vorbehaltenen Instrumente, gliedern in ihrer Verwendung das Oratorium: königlich-festlich am Beginn, die Brandkatastrophe, biblisch interpretiert: den Weltenbrand, ausmalend am „Tag des Getümmels“ (Track 7), feierlich-majestätisch bei der musikalischen Verbeugung vor der göttlichen Majestät (Track 20) und im festlich feurigen Schlussjubel mit zwei gewitterhaft schmetternden Trompetenchören samt Stereo-Effekt, der den Tag, an dem „die Posaune die Gräber enthüllet“, beschwört (Track 25): Telemann, weiß, wie jubeln geht.

Telemann komponiert bestrickend wortausdeutend: Den „Dank“ gestaltet er immer wieder aufwendig melismatisch oder elegant-beschwingt im Dreier-Takt, das Gemeinde-„Amen“ ist auch musikalisch das Echo auf Gottes Wort (Track 18), das Adjektiv „herrlich“ (Track 20) ist mit Koloraturen geschmückt wie eine Barock-Kirche stuckiert ist, das Solisten-Quartett, das den „Tempel, den die Lieb erbauet“ besingt, wird mit entzückenden Flötentönen im heiter-amoresken Dreier-Takt begleitet (Track 23) und in instrumentalem Sfumato, gemacht mit sordinierten Trompeten im wohligen Piano, fließt die „Ruhe-Arie“ dahin, die die Gebeine auf dem nahen Friedhof benennt (Track 25).

Michael Alexander Williams treibt seine Instrumentalisten zu hervorragend plastischem Musizieren, zu zündenden Orchesterschlägen und zu wohlausformulierten orchestralen Verzierungen. Die Solisten singen eindringlich deklamierend, sehr wortverständlich und begeisterungsfähig, allen voran der in fast 200 Einspielungen oratoriums- und kantatengestählte Klaus Mertens, der in hervorragend klarer Diktion mit hell-schlankem Bariton die meisten Arien singt. Den verlangten Bass 2 übernimmt Mauro Borgioni, der sich leider stimmlich nicht sehr vom Bass 1 unterscheidet, so dass die verlangte Unterscheidung leidet: Wenn er die Apokalypse besingt, sollte dies wohl gefahrdrohend-wuchtiger klingen. Hochengagiert und leidenschaftlich, nur manchmal angestrengt wirkend, agiert der Tenor Julian Podger, mädchenhaft schlank die Sopranistin Rahel Maas und gefühlvoll-warm die Altistin Marian Dijkhuizen, die leider nur eine Arie hat. In manchen Rezitativen dürfen alle vier Solisten mitwirken, was diese Rezitative viel abwechslungsreicher macht. Der vielstrophige Choral „Herr Gott, dich loben wir“ wird zwar von einem Chor gesungen, aber ein größerer Chor, der sich nicht so solistenhaft anhört, wäre als „Gemeinde“ passender.

Alles in allem ein melodisch höchst einfallreiches Oratorium, bei dessen Begriff man wohl auch an Telemann denken darf.

Rainer W. Janka [11.02.2019]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Georg Philipp Telemann
1Komm wieder, Herr, zu der Menge der Tausenden in Israel TWV 2:12 01:11:40

Interpreten der Einspielung

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