Wagner-Zyklus
und andere erotische und animalische Extremi- und Perversitäten
Thorofon CTH26522
2 CD • 2h 28min • 2018
31.10.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Die Namen Richard Wagner und Robert Stolz wird kein Musikfreund unmittelbar in Verbindung bringen. Und doch war der österreichische Operettenkönig des 20. Jahrhunderts ein Kenner und wohl auch Verehrer von Wagners Musik. Nachzuhören in seinem Wagner-Zyklus, der 1916 in einem Sammelband „Brettl-Lieder“ erschien und von einem jüdischen Kaufmann handelt, der zum christlichen Glauben übergetreten ist und seine Kinder nach Wagner-Helden benennt.
Die Brettl-Kultur war zu diesem Zeitpunkt schon weit fortgeschritten. Angefangen hatte sie 1901, als Ernst von Wolzogen (der Librettist der Feuersnot von Richard Strauss) nach dem Vorbild des Pariser Kabaretts „Le chat noir“ in Berlin das „Überbrettl“ gründete, „eine Kleinbühne für anmutige Kleinkunst aller Art“, in der allerdings – anders als in Paris – während der Vorstellungen nicht getrunken und geraucht wurde. Führende Musiker und Dichter der Zeit waren sich nicht zu schade, für das „Überbrettl“ zu arbeiten. Unter den Autoren finden wir neben Otto Julius Bierbaum, dem geistigen Vater des Unternehmens, Namen wie Arno Holz, Detlev von Liliencron und Rudolf Alexander Schröder. Der noch unbekannte Arnold Schönberg war eine Zeitlang musikalischer Leiter des Theaters, eine Position, die erst Oscar Straus innehatte und für die auch Alexander v. Zemlinsky im Gespräch war.
Zwar ging das „Überbrettl“ (der Name ist ein ironisches Derivat von Nietzsches „Übermenschen“) trotz großer Erfolge, auch bei internationalen Gastspielen, nach zwei Spielzeiten pleite, aber nachfolgende Etablissements sprossen wie Pilze aus dem Boden. In der Musikgeschichtsschreibung ist von der Brettl-Kultur häufig die Rede. Aber zu hören bekommt man die dort kreierten Chansons, Lieder und Bänkelgesänge nur selten. Die jetzt bei Thorofon vorliegende Kassette füllt eine große Lücke. 32 der 40 eingespielten Stücke werden erstmals auf Tonträgern veröffentlicht.
Den Löwenanteil übernimmt dabei Oscar Straus, der Hauskomponist des „Überbrettl“, der später mit seiner Operette Ein Walzertraum Weltruhm erlangte. In seinen frühen Werken war er jedoch ein erklärter (und würdiger) Nachfolger von Jacques Offenbach und Arthur Sullivan. Sein bevorzugter Textdichter war zu dieser Zeit Rideamus (der Jurist Dr. Fritz Oliven). Straus war ein Virtuose der musikalischen Parodie und Travestie. Ob er in Herr Duncan alte schottische Balladen glossiert, in der humoristischen Phantasie Isadora Duncan Vorbilder von Gluck über Chopin bis zu Wagners Venusberg veralbert oder in Didel-Dudel einen eingängigen musikalischen Grundeinfall durch alle Musikstile jagt, von der Oper über den Militärmarsch bis zum Gassenhauer.
Die Texte der Lieder sind überwiegend witzig, locker, frivol (mitunter auch deftiger), aber nie vulgär oder banal, sie haben einen weltstädtischen, pariserischen Flair, der trotz seiner Zeitgebundenheit noch heute seinen unschuldigen Charme entfaltet, während er im wilhelminischen Preußen oft in Konflikt mit der Zensur kam.
Peter P. Pachl, der sich seit mehr als 20 Jahren mit der Brettl-Kultur befaßt und auch schon verschiedene Revuen auf die Bühne gebracht hat, agiert hier, begleitet von dem versierten Rainer Maria Klaas, als alleiniger Interpret und zeigt sich dabei als stimmlich variabler Sänger und ausdrucksstarker Textgestalter. Beide Künstler treffen den Stil der Gesänge und Klavierstücke genau und lassen den Geist der Entstehungszeit lebendig werden. Den Abschluß bildet das zeitkritische Melodram Mademoiselle Aschenbrödel von Rideamus, zu dem Klaas zu Pachls Rezitation den Klavierpart improvisiert.
Das an Informationen und Bildern reiche Booklet ist exzellent geraten. Eine Kassette zum Verschenken!
Ekkehard Pluta [31.10.2018]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Oscar Straus | ||
1 | Arabesque op. 13 | 00:03:03 |
Arnold Schönberg | ||
2 | Der genügsame Liebhaber (aus: Brettl-Lieder) | 00:02:30 |
Oscar Straus | ||
3 | Katerserenade op. 102 | 00:03:42 |
Ludwig Thuille | ||
4 | Urschlamm-Idyll (Ein Ichtyosaurus wälzte) | 00:05:45 |
Oscar Straus | ||
5 | Wohltätigkeitskonzert | 00:03:30 |
6 | Lied vom Tatzelwurm | 00:02:26 |
7 | Drachenlied | 00:05:23 |
Robert Stolz | ||
8 | Wagner-Zyklus op. 106 | 00:03:32 |
Alexander Zemlinsky | ||
9 | Herr von Bombardil | 00:01:38 |
Conradin Kreutzer | ||
10 | Lumpenlied | 00:02:51 |
Oscar Straus | ||
11 | Herr Duncan op. 87 | 00:03:45 |
Friedrich Hollaender | ||
12 | Mélodie perverse (Valse Boston) | 00:05:32 |
Oscar Straus | ||
13 | Der Teufel ist ein Mann von Wort op. 103 | 00:03:48 |
14 | Der Kavalier op. 119 | 00:02:09 |
15 | Moderne Treue op. 67 | 00:04:16 |
16 | Kleine Liebesflöte | 00:05:31 |
Hugo Schindler | ||
17 | Gigerlette | 00:01:58 |
Oscar Straus | ||
18 | Pierrette op. 65 | 00:02:15 |
Arnold Schönberg | ||
19 | Gigerlette (aus: Brettl-Lieder) | 00:02:09 |
Oscar Straus | ||
20 | Die Chansonette op. 76 | 00:01:36 |
21 | Valse hypermoderne op. 135 | 00:01:54 |
CD/SACD 2 | ||
Alexander Zemlinsky | ||
1 | In der Sonnengasse (I) | 00:01:43 |
2 | In der Sonnengasse (II) | 00:02:12 |
Oscar Straus | ||
3 | Die Wäscherin auf der Wiese op. 56 | 00:02:07 |
4 | Bettelbubenlied op. 68 | 00:01:45 |
5 | Müde op. 55 | 00:02:49 |
6 | Sausewind op. 70 | 00:03:02 |
7 | Donnerwetter op. 84 | 00:00:43 |
8 | Isidora Duncan op. 135 (Humoristische Phantasie) | 00:07:49 |
9 | Didel-Dudel op. 83 | 00:06:14 |
10 | Irgendwas | 00:01:30 |
11 | Mein-Dein-Sein op. 133 | 00:01:23 |
12 | Ach Hildegard op. 85 | 00:04:26 |
13 | Das erste Abenteuer op. 104 | 00:02:23 |
14 | Das Herz in der Linde op. 78 | 00:03:56 |
15 | Der verlassene Lehmann op. 66 | 00:03:01 |
16 | Das Blumenmädel op. 80 | 00:05:16 |
17 | Michel op. 120 | 00:04:41 |
18 | Das arme Fürstenkind op. 105 | 00:04:05 |
Rainer Maria Klaas | ||
19 | Mademoiselle Aschenbrödel | 00:17:48 |
Interpreten der Einspielung
- Peter P. Pachl (Deklamation, Tenor)
- Rainer Maria Klaas (Klavier)