Brahms
The Symphonies
DG 483 5251
4 CD • 3h 00min • 2017
14.11.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Seit mehr als einem Vierteljahrhundert, seit 1991, ist Daniel Barenboim Chefdirigent der Staatskapelle Berlin (vom Orchester auf Lebenszeit gewählt), also mittlerweile so lange wie sein unmittelbarer Vorgänger Otmar Suitner, womit auch schon die höchst ungewöhnliche Kontinuität des Orchesters seit 1964 in den Fokus rückt – Zustände „wie vor 100 Jahren“, im positiven Sinne… Der Klang der Staatskapelle ist dunkel leuchtend, von großer Wärme, das Zusammenspiel von kammermusikalischem Aufeinanderhören geprägt – ein wirklich eigener Klang, eine eigene Kultur, eine extreme Seltenheit heute. Oft wurde hier schon – wie auch bis 1996 in München unter Sergiu Celibidache – vom edlen ‚deutschen Klang‘ gesprochen, und wenn man dann Beethoven, Schumann oder Brahms hört, bestätigt sich das auf sehr angemessene und facettenreiche Weise. Nun also Barenboims jüngster Brahms-Symphonien-Zyklus, aufgenommen im Oktober 2017 im Pierre Boulez-Saal (was bedeutet, dass man nun nicht mehr im großen Sendesaal in der Nalepastraße aufnimmt, der nicht weniger exzellente klangliche Voraussetzungen erfüllt) – und herausgekommen ist einer der feinst gestalteten, klanglich reichsten, ausdrucksmäßig mannigfaltigsten Brahms-Zyklen der letzten fünfzig Jahre. Barenboim folgt dabei einer kreativen Vision, die zu einem nicht geringen Teil von seinem großen musikalischen Vorbild Wilhelm Furtwängler geprägt ist und sich zumal auf die sehr dramatische Psychologie der freien Temporelationen auswirkt, also eine Kunst des Rubatos, wie sie heute sehr selten geworden ist und doch zu Brahms’ Zeit absolut stilbildend war. Es darf angenommen werden, dass Barenboim auch die Mitschriften zur Aufführungspraxis von Brahms’ befreundetem Dirigenten Fritz Steinbach kennt, und insbesondere aus den authentischen Beschreibungen zur Gestaltung der 1. Symphonie scheint sich hier das eine und andere niedergeschlagen zu haben.
Am besten gelingt das in den Symphonien Nr. 1, 2 und 4. In der Dritten gibt es eine gewisse Gefahr, in den Untiefen der introvertierten Intimität der Tendenz zum Verweilen etwas zu sehr nachzugeben, was verständlich ist, jedoch beispielsweise im 3. Satz den potenziellen verhaltenen Schwung hinter der Melancholie ausmanövrieren kann. Insgesamt allerdings ist dieser Zyklus der bisherige orchestrale Brahms-Meilenstein des 21. Jahrhunderts und allen Kennern und Liebhabern des großen Melancholikers unbedingt zu empfehlen, zumal auch die Aufnahmetechnik exzellent ist und das Booklet (mit Haupttext von Wolfgang Rathert und einer flammenden Post-Schönberg-Rede von Jörg Widmann) Lesenswertes bietet. Ein Dokument seriöser und leidenschaftlicher musikalischer Größe ohne modischen Schnickschnack, ein Dokument harmonisch bewusster Gestaltung, wo die Musik so scheinbar ‚unzeitgemäß‘, also mit zeitloser Klasse, endlich einmal nicht oberflächlich temperamentvoll nach vorn getrieben wird.
Christoph Schlüren [14.11.2018]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
1 | Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68 | 00:48:57 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73 | 00:43:32 |
CD/SACD 3 | ||
1 | Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90 | 00:42:51 |
CD/SACD 4 | ||
1 | Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98 | 00:44:25 |
Interpreten der Einspielung
- Staatskapelle Berlin (Orchester)
- Daniel Barenboim (Dirigent)