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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Consolation

Forgotten Treasures Of The Ukrainian Soul

BIS 2222

1 CD/SACD stereo/surround • 76min • 2015

12.01.2017

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Dieses Album, eine Herzensangelegenheit der 1971 in der Ukraine geborenen und in Schweden lebenden Pianistin Natalya Pasichnyk, widmet sich ukrainischer Musik für Klavier solo, für Gesang und Klavier, und Kammermusik unter Mitwirkung des Geigers Christian Svarfar, des Cellisten Jakob Korányi und des Klarinettisten Emil Jonason. Diese Musik, die seit jeher im Schatten der russischen und der polnischen Musik stand und sicherlich auch weitgehend bleiben wird, ist überwiegend durch lyrische Melancholie, anrührende Wärme und Nähe zur Folklore charakterisiert. Am Anfang steht symbolträchtig Mykola Lysenko (1842-1912), der große ukrainische Nationalromantiker – ein unbeugsamer Nationalist, dessen Bedeutung für die ukrainische Musik derjenigen Michail Glinkas für Russland oder Edvard Griegs für Norwegen vergleichbar ist –, mit seiner populären Klavierrhapsodie Dumka-Shumka über ukrainische Volksweisen (durchaus vergleichbar den Rhapsodien Liszts, auch den Rumänischen Rhypsodien Enescus oder der Vardar-Rhapsodie des bulgarischen Meister Pancho Vladigerov). Der innige Tonfall setzt sich auch in Lysenkos Sum, einer Elegie für Cello und Klavier, und seiner Vertonung von Shevchenkos Es macht keinen Unterschied für mich fort, die hinreißend von dem Bariton Luthando Qave vorgetragen wird. Mit einem kurzen Lied ist auch Lysenkos Meisterschüler Kyrylo Stetsenko (1882-1922) vertreten, und diesmal singt die Sopranistin Olga Pasichnyk, die prominente Schwester der Pianistin (für Naxos haben die beiden eine sehr schöne CD mit Chopin-Liedern aufgenommen). Olga und Natalya Pasichnyk sind außerdem mit zwei Liedern von Viktor Kosenko (1896-1938) zu hören, jenem verfeinerten Meister der lyrischen Miniatur, der auch gerne als „ukrainischer Chopin“ bezeichnet wird, und natürlich spielt Natalya Pasichnyk zwei seiner wundervollen Kleinode.

Ganz in der folkloristischen Linie steht Myroslav Skoryk (geb. 1938), dessen zündende Karpathische Rhapsodie, hier in der Fassung für Klarinette und Klavier, mit ihren offenkundigen Klezmer-Anklängen all denjenigen, die Schostakowitsch und Weinberg lieben, vertraut erscheinen dürfte. Sehr schön auch seine Melodie aus der Musik zum Film ‚Hochgebirgspass’ in der Fassung für Sopran-Vocalise, Violine und Klavier. Auch Mykola Kolessa (1903-2006), der ein biblisches Alter erreichte und noch mit 100 in Lwiw Dirigieren unterrichtete, hat mit seinen Karpathischen Tänzen für Klavier eine sehr schöne Hommage an die heimische Folklore geschaffen. Mit weiteren Miniaturen sind vertreten: Vasyl Barvinsky (1888-1963) mit einem romantisch verträumten Klavier-Prélude, Yuliy Mejtus (1903-97) mit einem fast bartókisch schwunghaften Allegro für Violine und Klavier, und zum Schluss Valentin Silvestrov mit einer nostalgischen Bagatelle von 2005 und Arkady Filippenko (1912-83) mit einer reißerischen Toccata im Gefolge von Prokofieff und Chatschaturian.

Neben dem wirklich sehr feinen Kosenko möchte ich zwei Komponisten besonders hervorheben: Levko (Lew) Revutsky (1889-1977) mit zwei emphatisch tief empfundenen, seelisch reichen Klavier-Préludes, und den großen ukrainischen Symphoniker der Sowjetära Boris Liatoschinsky, der mit einem getragenen Satz aus der Shevchenko-Suite für Klavier und einer herrlichen Melodie für Geige und Klavier die Flügel seiner Imagination weit aufspannt und den Hörer in eine ganz eigene Welt jenseits von Sentimentalität und Schwermut entführt – nicht, dass nicht auch hier Melancholie zu spüren wäre, doch wird sie von einem großen Geist transzendiert. Einen Komponisten vermisse ich, aber vielleicht hat er keine Kammermusik geschrieben? Yevgeni Stankovich, der große Symphoniker der heutigen Ukraine, ist hier außen vor geblieben.

Die Aufführungen bezeugen allesamt intensive Hingabe an die überwiegend kleinen Stücke dieses Programms, das den Titel ‚Consolation’ trägt. Wenn ich Natalya Pasichnyk als hochkultivierte, niemals dem Instrument Gewalt antuende, höchst einfühlsame, kantabel feinschattierende und auch mühelos virtuose Pianistin besonders hervorhebe, so ganz einfach, da sie durchweg mitwirkt und ungefähr die Hälfte des Programms alleine bestreitet. Die Klangtechnik ist auf der bei BIS üblichen, makellos bestechenden Höhe; der Booklettext von Sofia Nyblom informiert ordentlich, wobei es eine geschmacklose Entgleisung ist, die russische Annexion der Krim 2014 in eine Reihe mit den schrecklichen Pogromen, denen die Ukrainer durch Stalin und Hitlers Truppen ausgesetzt waren, in eine Reihe zu stellen. Wer die Musik der Ukraine kennenlernen will, sollte hier unbedingt zugreifen – und sich dann noch bei Naxos Aufnahmen der Symphonien von Liatoschinsky und Stankovich besorgen.

Christoph Schlüren [12.01.2017]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Mykola Lysenko
1Dumka-Shumka op. 18 (Zweite Rhapsodie über ukrainische Volkslieder) 00:08:49
Viktor Kosenko
2Étude op. 8 Nr. 8 00:03:42
3Consolation op. 9 Nr. 1 00:02:25
Mykola Lysenko
4Sorrow op. 39 for Violoncello and Piano (Elegy) 00:07:23
5Meni odnakovo 00:04:54
Myroslav Skoryk
6Carpathian Rhapsody für Klarinette und Klavier 00:06:02
Yuliy Mejtus
7Allegro für Violine und Klavier 00:02:54
Lewko Revuzkij
8Prélude op. 4 Nr. 1 00:02:56
9Prélude op. 7 Nr. 2 00:01:24
Boris Lyatoshynsky
10Shevchenko Suite op. 38 00:05:48
11Melody für Violine und Klavier 00:03:26
Viktor Kosenko
12Vony stojaly movchky op. 7 Nr. 2 für Sopran und Klavier 00:02:17
Kyrylo Stetsenko
13Stojala ja i sluhala vesnu für Sopran und Klavier 00:01:46
Viktor Kosenko
14Sumnyj ja op. 7 Nr. 10 für Sopran und Klavier 00:02:32
Myroslav Skoryk
15Melody für Sopran, Violine und Klavier (Vocalise) 00:03:47
Mykola Kolessa
16Drei Karpatische Tänze 00:05:55
Vasyl Barvinsky
19Prélude op. 1 Nr. 2 00:03:20
Valentin Silvestrov
20Bagatelle op. 1 Nr. 1 00:02:17
Arkady Filippenko
21Toccata 00:02:50

Interpreten der Einspielung

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