Saxophon plus
Thorofon CTH2624
1 CD • 61min • 2014
21.07.2015
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik, Jazz, Musik, Literatur? Was tun schon Kategorien zur Sache, wenn man sich in einem reichen künstlerischen Kosmos frei bewegen will. Der Saxofonist Christian Segmehl agiertt in dieser Hinsicht sehr frei, und um eine solche Freiheit auch faktisch zu leben, hat er bei der Produktion seiner aktuellen CD „Saxofon Plus“ die Dinge selbst in die Hand genommen. Ein Herzensanliegen wurde Realität: Musiker, mit denen er enge Verbindungen hat, gehören hier zu seinen Partnern. Und dass seine Botschaften auch bei vielen Empfängern ankommen, hat Christian Segmehl bereits im Vorfeld ausgestet. Er rief eine Crowdfunding-Kampagne zur finanziellen Unterstützung der eigenen Produktionskosten aus – und dies mit gutem Erfolg! Eine sinnvolle Herangehensweise für aufstrebende Musiker, um schon im Vorfeld auszuloten, ob die eigene Botschaft beim „Empfänger“ ankommt und wie weit das eigene künstlerische Tun sozial verankert ist.
Zurück zur Musik: Segmehls Spiel auf Alt- und Sopransax ist von bestechender klanglicher und emotionaler Reichhaltigkeit. Der Sound strahlt und leuchtet. All dies lebt hier in erfrischend unkonventionellen Kontexten: Eine der Säulen ist die Begegnung dieses Instruments mit der Orgel. Segmehl hat hier mit dem Organisten Johannes Mayr einen hellhörigen Musiker an seiner Seite. Noch verdienstvoller ist, dass er sich mit sensiblen dynamischen Impulsen auf dem mächtigen Instrument als einfühlsamer Partner im richtigen Moment erweist.
Das ergibt einen grandiosen musikalischen Auftakt in einer bemerkenswerten Sonate von Denis Bédard. Französisch-neoklassizistischer Esprit paart sich hier mit anmutiger tänzerischer Geste, und es kommt auch eine gewisse sakrale Feierlichkeit zum Tragen. Segmehls Dialoge mit der Orgel führen später zu einem ganz und gar auftrumpfenden Finale am Schluss dieser CD – einem mitreißend temperamentvollen Stück des Briten James Whitbourn.
Aber Segmehl gewährt auf dieser CD Einblicke in noch viele weitere künstlerische Tummelplätze: Nur zu gerne improvisiert er zu gesprochen Worten, damit Musik und Literatur aufeinander reagieren können. Viel gelobt sind Segmehls Duoabende mit der Rezitatorin ChrisTine Urspruch. Sie kommt auf der CD auch ganz alleine zur Wort, wenn sie einen Text über die Erhabenheit von Natur aus der Feder von Rajzel Zychlinski vorträgt oder eine Kurzgeschichte von Joseph Roth liest.
Man muss schon in der Lage sein, hier von Musik zu reiner Wort-Kunst „umzuschalten.“ Eine gute Wahl für den musikalischen Gesamtfluss der CD ist auf jeden Fall Ernst Jandls Calypso. Jandls Sache ist der improvisatorische und gerne auch umstürzlerische Umgang mit Worten, Silben, Tönen – und daher ist er irgendwie auch ein Jazzer! Das hier vorliegende Stück Calypso nimmt brasilianische Exotismen aufs Korn und jongliert fröhlich-frech mit „Denglisch"-Sprachverhunzungen. Zu ChristTine Urspruchs Silben-Pointen zaubert Segmehl hinreißende Arpeggio-Ketten aus dem Instrument. Segmehl, der zwar großen Wert auf die Interpretation klassischer Stücke legt, ist auch ein profunder hellwacher Improvisator.
Das zeigt sich in phantasievollen Dialogen mit der Orgel. Da brechen Tumulte hervor, werden Töne und Skalen verspielt durch den Raum geschleudert, Luftströme verdichtet und Flächen ausgebreitet – Motor ist der reich assoziierte Ideenfluss. Sehr gelungen ist auch eine perkussive Studie aus der kompositorischen Feder von Viola Falb – hier erwachsen verblüffende Wirkungen vor allem aus drängende pochenden Stakkato-Ketten.
Und nun zu dem, was wirklich „großes Kino“ auf dieser CD ist: Enjott Schneider macht auch hier seinem Ruf als treffsicher agierender Film-Musik-Komponist alle Ehre. Hier eröffnet sich mittels Elektronik und Perkussionsinstrumenten ein aufwühlendes Breitwandpanorama. Voller sphärischer Flächen und brodelnder Subbässe sind jene imaginären Landschaften gesättigt, in denen Segmehls Saxofonspiel zum eindrücklichen Handlungsträger wird. Er formuliert große Themen, formt Klänge, die gellend, singend, manchmal auch rockend letztlich wieder zu einem großen melodischen Bogen. Horizonte zu überspannen ist nun mal das Anliegen des Christian Segmehl.
Stefan Pieper [21.07.2015]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Denis Bédard | ||
1 | Sonate I | 00:12:02 |
Rajzel Zychlinski | ||
4 | Ich liebe (Wort) | 00:01:03 |
Christian Segmehl | ||
5 | Improvisation EINS | 00:03:50 |
Viola Falb | ||
6 | INS:IST:ING (Christian Segmehl gewidmet) | 00:03:30 |
Darius Milhaud | ||
7 | Scaramouche op. 165c für Saxophon und Orchester (Suite) | 00:09:35 |
Ernst Jandl | ||
10 | Calypso | 00:01:37 |
Christian Segmehl | ||
11 | Improvisation ZWEI | 00:02:42 |
Norbert Jürgen Schneider | ||
12 | Gotham Scapes (Christian Segmehl gewidmet) | 00:12:53 |
Joseph Roth | ||
16 | Abschied vom Hotel (Wort) | 00:03:51 |
James Whitbourn | ||
17 | A brief Story of Peter Abelard | 00:08:51 |
Interpreten der Einspielung
- Christian Segmehl (Saxophon)
- Ingo Dannhorn (Klavier)
- Johannes Mayr (Orgel)
- Lars Rapp (Percussion)