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Kompass

Sinfoniae da Requiem

Hartmann • Britten • Hanson • Suk

An sich sind Totenmessen in Kirchen zu Hause. Es gibt aber viele prominente Vertonungen der Requiemsliturgie, die so populär geworden sind – etwa die Beiträge Mozarts, Verdis oder Faurés –, daß sie wohl öfter im Konzertsaal als in der Kirche aufgeführt werden. Andererseits haben sich aber auch einige Komponisten für ihre sinfonischen Werke vom Requiem-Themenkreis inspirieren lassen, ohne einen Chor zu beschäftigen. Einige beziehen sich ausdrücklich auf die Teile der Liturgie, andere bringen den Requiem-Gedanken in einen poetischen Kontext. »KLASSIK HEUTE« stellt vier davon vor.

Josef Suk (1874-1935)

Wenn auch Josef Suk seine 1907 beendete zweite große Sinfonie nach dem Engel des Todes ,Asrael’ benannt hat, so handelt es sich dabei doch unzweifelhaft um ein Requiem. Suk begann das von Beginn an in fünf Sätzen konzipierte Werk im Januar 1905 unter dem Eindruck des Todes seines langjährigen Lehrers, Mentors und Schwiegervaters Antonín Dvořák. Am 6. Juli hatte er bereits den vierten Satz zu skizzieren begonnen, als völlig überraschend seine Frau Otylka starb, die Liebe seines Lebens, gerade 27 Jahre alt. Restlos erschüttert, konzipierte Suk das Werk um und widmete die letzten beiden Sätze dem Andenken Otylkas. „Weißt Du, was ich durchmachen mußte, bis ich dieses letzte C-Dur erreichte?“ schrieb Suk an einen Freund. „Es ist kein Werk des Schmerzes – sondern eines von übermenschlicher Kraft.“ Das am 3. Februar 1907 in Prag uraufgeführte Werk ist die wohl größte je geschriebene tschechische Sinfonie, in der einstündigen Dauer und großen Besetzung an Gustav Mahler erinnernd. Seit einiger Zeit findet sie erfreulicherweise öfters das Interesse auch bedeutender Dirigenten, ist aber immer noch zu selten in den Konzertsälen zu hören.

Karl Amadeus Hartmann (1905-1963)

Ein Schmerzenskind war auch die erste Sinfonie für ihren Schöpfer Karl Amadeus Hartmann, der erst in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens daran ging, seinen insgesamt acht numerierten Sinfonien die endgültige Form und Ordnung zu geben. Lange Zeit scheint er seine einsätzige große Tondichtung Miserae (1934) als eigentliche erste Sinfonie angesehen zu haben. Erst 1955 benannte er seine 1936 als Walt-Whitman-Kantate entstandene, 1950 umgearbeitete Sinfonie als Erste. Das Werk für Alt und Orchester zählt zu dem Kreis von Werken, mit denen sich Hartmann ausdrücklich gegen das Nazi-Regime wandte. Nicht von ungefähr wählte er Worte aus verschiedenen Texten von Walt Whitman, dem großen demokratischen Freidenker des 19. Jahrhunderts, der im 20. Jahrhundert bei europäischen Komponisten ungemein beliebt war. Auch Paul Hindemith hat später in seinem Requiem For Those We Love Whitmans Requiem auf Präsident Lincoln „Als Flieder jüngst mir im Garten blüht“ vertont (1946). „Ich glaube in diesem Werk einen Fortschritt gemacht zu haben, in Musik, die alle Menschen angeht,“ schrieb Hartmann bereits 1936 dazu. „Die Gedichte, die ich sehr geändert habe, bringen das gesamte schwere, hoffnungslose Leben, und doch wird keine Idee vom Tode erstickt.“ Die Sinfonie wurde in ihrer endgültigen Form am 22. Juni 1955 in Wien uraufgeführt.

Benjamin Britten (1913-1976)

Die 1940 komponierte Sinfonia da Requiem ist das wichtigste frühe Instrumentalwerk von Benjamin Britten. In drei knappen Sätzen beschreibt sie drei Haupt-Anliegen der Totenmesse: Totenklage (Lacrymosa), Jüngstes Gericht (Dies irae) und Ewige Ruhe (Requiem aeternam). Sie entstand in der Zeit des amerikanischen Exils (1939- 1943), während der Britten mit W. H. Auden zusammenlebte, jenem Dichter, der etwa zu dieser Zeit das „Zeitalter der Angst“ in eindrucksvollen Worten ausgedeutet hat, die Leonard Bernstein zu seiner zweiten Sinfonie inspirierten. Die Sinfonia da Requiem verwendet bestimmte Techniken der Darstellung, die Britten mit seinem Freund und Mentor Auden erarbeitet hat. Zugleich ist sie in mehrerer Hinsicht ein Schlüsselwerk: Zum einen kehrte Britten später immer wieder zur Requiems-Thematik zurück (War Requiem, Cantata Misericordia, Winter Words); zum anderen verdanken wir ihr die Entstehung der Oper Peter Grimes. Nach einer Aufführung der Sinfonia im Jahr 1942 gewährte der von dem Stück begeisterte Dirigent Sergej Koussevitzky dem jungen Komponisten kurz vor seiner Rückkehr nach England ein Stipendium zur Fertigstellung der Oper.

Howard Hanson (1896-1981)

Nur wenig später komponierte der nordamerikanische Sinfoniker Howard Hanson mit seiner vierten Sinfonie ebenfalls eines seiner Schlüsselwerke. Und wie Britten beziehen sich die einzelnen Sätze auf Teile der Totenmesse – die Bitte um Erbarmen (Kyrie), die Bitte um Ruhe für die Toten (Requiescat), das jüngste Gericht (Dies irae) und Ewigkeit (Lux aeterna). Hanson zählte es zu seinen besten Stücken. Er selbst leitete die Uraufführung am 3. Dezember 1943 mit dem Boston Symphony Orchestra (also dem Orchester Koussevitzkys!). Möglicherweise hatte er sogar ein Jahr zuvor die Aufführung von Brittens Komposition miterlebt und so eine direkte Anregung empfangen. Publikum und Kritiker waren begeistert; 1944 bekam die Sinfonie Requiem sogar den ersten Pulitzer-Preis, der je einem Musikstück verliehen wurde! Auch die Sinfonien Hansons werden, nur 50 Jahre nach ihrer Entstehung, zunehmend interessanter für das Repertoire; leider sind die schwächere Erste und Zweite seine bevorzugten Werke. Die besseren Sinfonien Nr. 3-6 bleiben hierzulande noch zu entdecken.

Historische Requiem-Tradition

Howard Hanson und Benjamin Britten finden einen spezifischen Ausdruck liturgischer Inhalte in sinfonischer Musik. Die beiden Stücke sind das, was man einem Anton Bruckner wohl weitestgehend zu Unrecht vorwarf – Messen ohne Worte. Gemeinsam haben die etwa gleich langen Werke zunächst ein Scherzo, das die Schrecken des jüngsten Gerichts in Töne malt. Das Dies irae von Britten ist mit etwa fünf Minuten doppelt so lang wie das von Hanson. Bei Britten sieht man die toten Seelen förmlich zum letzten Gericht eilen, wie die gespenstischen Flatter-Töne der Bläser zu Beginn zeigen (Flöten, Hörner, Trompeten, Posaunen). Die Streicher spielen dazu einen unablässigen Rhythmus, und das hölzerne Xylophon sorgt immer wieder für ein Klappern der Knochen-Skelette. Toten-Engel gesellen sich hinzu (absteigende Tonleitern der gedämpften Trompeten) und schließlich rufen immer mehr Fanfaren von Blech- und Holzbläsern im Wechsel zum Gericht – eine Musik, die Britten im War Requiem an gleicher Stelle wiederholte. Eine klagende Stimme zählt das Sündenregister auf (Saxophon), kommentiert von ironischen, grimmigen Bläser-Einwürfen. Jammern und Wehklagen steigern sich immer mehr zu ohnmächtiger Wut, was sich darin ausdrückt, daß die letzten Takte hilflos wiederholt werden und fassungslos stammelnd verstummen – ein apokalyptisches Bild.

Auch bei Hanson finden wir nach einer kurzen Gerichtsfanfare Hektik, ausgedrückt durch wiederholte Rhythmen, Klappern des Xylophons, klagendes Gejammer – hier durch gedämpfte Streicher –, danach gesteigerte Hysterie. Die Musik klingt archaisch, vielleicht indianisch inspiriert, und läuft wie bei Britten am Ende ins Leere. Die Schrecken des Todes und der Zerstörung finden auch zu Beginn der Sinfonie Gehör. Bei Britten donnern Schlagwerk und Klavier herunter wie Fliegerbomben und Granateneinschläge, daraus entwickelt sich ein Trauergesang von Klarinetten und Celli, begleitet von einer schleppenden Prozession. Hanson nannte seinen ersten Satz Kyrie; der Gebetscharakter wird durch gesangliche, an den gregorianischen Choral erinnernde solistische Bläserpassagen unterstrichen. Der zweite Satz Requiescat fängt mit dem gleichen Hornmotiv an und entspricht im Charakter der Trauerprozession Brittens, ist aber hymnischer und weniger schmerzvoll gehalten. Im Finale, Lux aeterna, werden die Gebete des ersten und zweiten Satzes erhört, in dem die hoffnungsvollen Elemente noch einmal zusammengefaßt werden. Sein Anfangsthema tauchte in Umkehrung schon einmal in der Mitte des ersten Satzes und zu Beginn des Zweiten auf. Insgesamt ist die Sinfonie von Hanson ruhiger und klingt auch entsprechend aus – bezeichnenderweise mit einem wörtlichen Zitat vom Schluß der Sea Symphony von Vaughan Williams, wo das Schiff des Entdeckers am Horizont verschwindet... Wie Hanson endet auch Britten im Requiescat-Finale mit einer Vision des Paradieses, besonders schön übergeleitet vom Ende des Jüngsten Gerichts, dessen Marsch-Musik einfach verlangsamt weitergeführt wird; auch hier erklingen sirenenhafte Gesänge, begleitet von äonenlangem Harfengezupfe: Eigentlich ziemlich langweilige Aussichten, wäre da nicht der große Schlußgesang, der auf einen überwältigenden, visionären Höhepunkt hinsteuert – wahrhaft das ewige Licht, das bei Hanson auch explizit im Titel steht, aber dort weniger ein Gleißen als beständige Glut entfacht.

Biographische Bekenntnis-Musik

Suk und Hartmann wenden sich zumindest im Titel von der christlichen Requiems-Tradition ab. Hartmann spricht von dem Versuch eines Requiems, und Asrael ist der Totenengel in den vorderorientalischen Kulturen. Die Sinfonie sollte zunächst ein Monument für einen großen Komponisten werden. Suk zitiert zu Beginn des zweiten Satzes deutlich das Anfangsmotiv aus Dvořáks Requiem – ein auch an Mahler gemahnendes Trauermarsch-Intermezzo – in den Flöten und der Trompete. Interessant ist auch, daß das Hauptthema des ersten Satzes ganz unverhohlen das Eingangsthema von Anton Bruckners Neunter Sinfonie zitiert, welche dem lieben Gott gewidmet ist – vielleicht eine Erinnerung an den März 1894, als Suk und Dvořák den greisen Komponisten gemeinsam in Wien besucht hatten, der ihnen aus seinem im Entstehen begriffenen letzten Werk am Klavier vorspielte.

Von der Tonsprache her lassen sich die Sinfonien von Suk und Hartmann kaum vergleichen. Beide sind jedoch fünfteilig und folgen einer ähnlichen Struktur wie die Messe (Requiem/Kyrie, Dies irae-Sequenz, Offertorium, Sanctus, Agnus Dei/Lux perpetua). Bei Hartmann heißen die Abschnitte Introduktion: Elend, Frühling, Thema mit vier Variationen, Tränen sowie Epilog: Bitte. Die Bezüge zur Requiems-Liturgie stellen sich über den Text Whitmans ein. Um die Kreuzigungsszene für Orchester in der Mitte herum steht zu Beginn das Leid – wie in allen vier Werken: „Ich sitze und schaue aus auf alle Plagen der Welt und auf alle Bedrängnis und Schmach,“ heißt es in dem erschütternden Gesangssolo des ersten Satzes. Es folgt ein Hinweis auf die Kraft der Erneuerung, Leben folgt auf den Tod: „Als Flieder jüngst mir im Garten blühte“. Nach der Kreuzigung dann, wie in Brittens Lacrymosa, „Tränen! In der Nacht der Einsamkeit, tropfend herab auf den weißen Strand,“ und im Finale wird die tröstende Geborgenheit im Schoß der Erde heraufbeschworen.

Einer ähnlichen Dramaturgie folgt Suk: Nach einem ausgedehnten Sonatensatz voll heftigster Schmerzen steht ein Trauermarsch, in dem die Haltetöne der Trompete wie ein flackerndes, ewiges Licht leuchten. Das Scherzo in der Mitte greift zurück auf das Hauptthema und ist ein ausgesprochener Totentanz (Dies irae). Der vierte Satz ist ein Liebeshymnus auf Otylka, und das Finale mit seinen apokalyptischen Pauken zu Beginn knüpft, wie bei Hanson, spiegelbildartig verklärend an die Themen des ersten Satzes an. Die vier Requiem-Sinfonien sind entstanden aus dem Bedürfnis heraus, der Toten zu gedenken, vor allem jedoch auch die Schrecken zu bannen und Frieden zu finden – drei davon wurden innerhalb kurzer Zeit während des zweiten Weltkriegs geschrieben. Nur wer den eigenen Tod akzeptiert, kann das Leben umarmen. Davon legen diese sinfonischen Requiem-Kompositionen beredt Zeugnis ab.

Dr. Benjamin G. Cohrs

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30.09.2010
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