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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

Ein Fenster zu...

Camille Saint-Saëns

Hör-Tipps anhand von ausgewählten Werken

Das bekannteste Werk von Camille Saint-Saëns’, der Karneval der Tiere, muß bei diesem Blick auf den französischen Komponisten nicht unbedingt besprochen werden. Diese Musiksatire zählt nicht zu seinen charakteristischsten Stücken. Unser Bild dieses Komponisten, Pianisten, Organisten und Gelehrten, der – 1835 geboren, 1921 gestorben – wie kein anderer durch sein Lebensalter eine Brücke zwischen Romantik und Moderne schlägt, ist ohnehin einseitig. Die Fülle seiner Interessen, die unter anderem Alte Musik, die außereuropäische Klangwelt seiner späteren Wahlheimat Algerien und den gerade entstehenden Film umfaßte, ist kaum überblickbar. In seinem Werk finden sich nahezu alle kompositorischen Gattungen.

Werk-Auswahl

Erneuerung der Sinfonik

Dass Saint-Saëns auch zur Gattung der Sinfonie Beiträge lieferte, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Im Musikleben des romantischen Frankreich, bestimmt von der Oper und gefälliger Kost, harrte dieses zentrale Genre der Erneuerung. Diese war Saint-Saëns, laut eigener Einschätzung, mit seiner dritten Sinfonie c-Moll geglückt. Ungewöhnlich an ihr ist die Verwendung der Orgel, die nach einem kämpferischen c-Moll-Allegro zu Beginn des Adagio-Abschnittes erscheint wie eine sanfte Trösterin. Obwohl nicht in Worten ausgedrückt, liegt der Sinfonie das Formschema „Durch Nacht zum Licht“ zugrunde. Zu Beginn des Allegro-Satzes erscheint ein unruhiges Motiv in den ersten Violinen, das an den Beginn der h-Moll-Sinfonie Schuberts erinnert, und zudem in den ersten vier Sechzehnteln die gregorianische Melodie des Dies irae zitiert. Dieses Thema wird zur Keimzelle der ganzen Sinfonie.

Schier unglaublich ist die Verwandlung, die es zu Beginn des Finales erfahren hat. Saint-Saëns wischt hier die unruhigen c-Moll-Zweifel des Scherzos mit einem kräftigen C-Dur-Orgelakkord einfach zur Seite – so, als ob man plötzlich das Licht anknipst. Die Orgel darf man hier sowohl als Anspielung auf die Religion als auch auf die musikalische Tradition verstehen. Das nervöse Begleitmotiv des ersten Satzes wird im Anschluß daran zu einem ruhig strömenden Choralthema verbreitert – ein flirrendes, vierhändig gespieltes Klavier umspielt es mit verwirrendem Reiz. Die Orgel wiederholt das Thema triumphal – der Sieg über die c-Moll-Gespenster ist eindrucksvoll und wird von Trompetensalven verkündet. Es folgen zusätzliche Untermauerungen dieses Triumphes; Saint-Saëns lehnt sich an die klassische Fugentechnik an. Den Schluß des gleichermaßen weltlichen wie sakralen Freudentaumels läutet eine monumentale, abwärtssteigende C-Dur-Tonleiter der Orgel ein: Saint-Saëns’ Bekenntnis zur Kraft der Tradition.

Ähnlich prekär wie das Bekenntnis zur Sinfonik war im 19. Jahrhundert die Pflege der konzertanten Musik; Saint-Saëns mußte 1904 als einer der wenigen Verfechter dieser Gattung einen „wochenlangen Pressestreit“ (M. Stegemann) ausfechten. Seine hohe Meinung von dieser Gattung führte zu Werken von unterschiedlichster Aussageintensität. Im zweiten Klavierkonzert g-Moll etwa wirkt das duftige Allegro scherzando als Gegenentwurf zum schweren ersten Satz. Zu Beginn wird die geistreiche Idee des Satzes vorgestellt: die Verwechslung der Pauke und ihren beiden Grundtönen Es und B mit dem Soloklavier – die Pauke spielt, lässig und leicht, den Grundrhythmus, das Klavier imitiert ihn, fügt jedoch den bloßen Gerüsttönen eine zierliche Melodie hinzu. Wenn das Klavier im tiefen Register die Pauke imitiert, wird wieder auf die Pointe des Satzes angespielt; die Pauke bestätigt sie durch einen trockenen Kommentar. Wie ein Gefährte des Hauptthemas taucht, vom Klavier begleitet, eine schwärmerische Melodie auf. Doch auch diese verspricht keine Stabilität – wenn sie vom Klavier wiederholt wird, weicht sie in eine andere Tonart aus. Der Satz gibt sich ungreifbar, so zart ist er gewebt. Dass nebenbei eine kleine Sonatensatzform entsteht, mit einer Durchführung und einer Reprise, ist hierbei fast unwichtig. Der Satz zerrinnt uns zwischen den Fingern, mit einer letzten Verwechslungspassage von Pauke und Klavier.

Konzertieren in Klarheit

Von Saint-Saëns’ Schüler Gabriel Fauré existiert eine Karikatur, welche die imposante Nase des Meisters in eine Harfe münden läßt – das dürfte eine Anspielung auf eine instrumentale Vorliebe Saint-Saëns vor allem seiner Spätphase sein. Die Harfe mit ihrer klanglichen Intimität einem großen Orchester gegenüber zu stellen, erforderte geschickte Planung. So setzt Saint-Saëns in seinem 1918 entstandenen Konzertstück G-Dur entweder auf Trennung, wie zu Beginn, wo die vollgriffige Harfe mit dem Tutti abwechselt; der rauschenden Vorstellung der Harfe folgen Einwürfe des ganzen Orchesters, die gleichsam zu Klimawechseln führen. Bei zurückgehaltenem Orchester können aber auch bezaubernde koloristische Effekte entstehen, wo die Harfe die von ihr vorgestellte Melodie mit märchenhaften Umspielungen begleitet. Saint-Saëns verband vielleicht gerade diesen leicht irrealen, kaum greifbaren Reiz mit der Harfe, wie auch eine schwebende Stelle oder ein sanfter Klangteppich zeigen.

Ein durchgehender Stil ist bei all diesen verschiedenartigen Werken schwer zu entdecken; vielleicht ist das einzige für das ganze Œuvre geltende Merkmal die Klassizität, die Klarheit, die wenig vom Bekennertum mancher romantischer Kollegen hat. Die Kritik des jüngeren Kollegen Debussys setzt hier an: Saint-Saëns habe sich zu wenig Freiheit von der Tradition zugestanden, um einen persönlichen Stil zu entwickeln. Das enthält eine richtige Beobachtung. Tatsächlich war Saint-Saëns eine Verquickung von Person und Werk, wie sie etwa Berlioz immer wieder provoziert hatte, zutiefst zuwider. Seine Ästhetik war die der „l’art pour l’art“, eine „einfache Folge von wohlgesetzten Akkorden“ zählt mehr als „leidenschaftliche Gefühle“. Am reinsten ist dieses objektive Ideal vielleicht in den drei Bläsersonaten verwirklicht, die in seinen letzten Lebensmonaten entstanden. Das einleitende Andantino der Oboensonate D-Dur beginnt mit dünnen Klängen des Klaviers und zarten, hingetupften Tönen der Oboe, die in eine lange Kantilene münden. Wie nebenbei imitieren sich die Stimmen; es entsteht ein reines Liniengeflecht, das seine Nähe zum Barock keineswegs leugnet. Wenn der Klaviersatz voller wird, scheint sich der Stilvorhang zu heben und das französische Konzertieren des 19. Jahrhunderts sichtbar zu werden; bei der Reprise scheint die barockisierende Melodie des Anfangs angereichert durch die Elemente aus Saint-Saëns' eigener Zeit.

„Femme fatale“ in Des-Dur

Von den 13 Opern des Komponisten konnte sich nur das Bibel-Drama Samson et Dalila auf den Bühnen halten, das eigentlich als Oratorium gedacht war. Von dieser ursprünglichen Konzeption hat sich im fertigen Werk etwas gehalten, eine gewisse Statik, vielleicht auch Prüderie: Der Höhepunkt der Handlung, Samsons symbolische Kastration nach der Verführung durch Dalila – sie schneidet ihm die Haare ab –, wird auf der Bühne nicht gezeigt. Dafür hält Saint-Saëns für die Verführung in der Arie Mon coeur s’ouvre à ta voix (Mein Herz öffnet sich deiner Stimme) schier die Zeit an. Geteilte Streicher lassen sanft die Luft zittern, die Singstimme bewegt sich nicht von ihrem Des-Dur-Klangraum weg: Dalila hat sich auf das Lager gebettet, und ihr Gesang zergeht, wie der Wiener Musikkritiker Julius Korngold bemerkte, „auf der Zunge – feinste Himbeercreme in Des“. Wollüstig gleitet die Melodie bei der Aufforderung an Samson, zu reagieren, herab, die Intensität steigert sich und gipfelt in der unwiderstehlichen Melodie auf Ah! Verse-moi l’ivresse!, etwa: „Laß mich der Leidenschaft verfallen!“ Samson kann darauf nur noch „Ich liebe dich“ stammeln. Der Musik hört man eine Gefühlsintensität an, die bei Saint-Saëns nicht die Regel ist. Der kühle Formkonstrukteur war wohl doch ein bißchen verschossen in sein Geschöpf Dalila.

Prof. Michael B. Weiß

Einspielungen zum Thema

12.10.2007
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 / Cyprés

04.10.2004
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Camille Saint-Saëns - Piano Concertos Vol. 1 / Audite
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