Gabriel Erkoreka
Cello concerto "Ekaitza", Tres Sonetos de Michelangelo, Piano Concerto "Piscis"
Ondine ODE 1442-2
1 CD • 72min • 2023
03.07.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Gabriel Erkoreka (Jahrgang 1969) gehört gemeinsam mit dem fast gleichaltrigen Ramon Lazkano zu den wichtigsten zeitgenössischen Komponisten des Baskenlands. Nach Studien in seiner Heimat bei Juan Cordero und Carmelo Bernaola vervollkommnete er seine Ausbildung in London bei Michael Finnissy, Brian Ferneyhough und Harrison Birtwistle. Mittlerweile unterrichtet er selbst Komposition an der erst vor gut 20 Jahren gegründeten Hochschule Musikene in Donostia‒San Sebastián. In der Stadt befindet sich ebenfalls das Hauptquartier des Baskischen Nationalorchesters, das nun drei zwischen 2009 und 2022 entstandene konzertante Werke mit den jeweiligen Uraufführungssolisten eingespielt hat. Wenn Erkoreka auch nicht zur Richtung der Hyperkomplexität gezählt werden sollte, ist seine Schreibweise gerade für großes Orchester dennoch höchst elaboriert, dafür aber von enormer Farbigkeit und Ausdruckskraft. In Deutschland beginnt sich der Spanier erst seit den letzten Jahren herumzusprechen.
Piscis – ein bombastisches Klavierkonzert
Erkoreka ist selbst ein versierter Pianist und hat inzwischen etliche spannende Klavierwerke komponiert, darunter vier wirkungsvolle Balladen. Einige der darin gezündeten Ideen gehen in sein erstes Klavierkonzert Piscis (2021-22) mit ein, welches eine extrem chromatische Schreibweise mit einer Vielzahl äußerst unterschiedlicher Texturen sowohl im Soloklavier – nicht nur in mehreren kadenzartigen Abschnitten gespickt mit höchsten technischen Schwierigkeiten – als auch im oft sehr dichten Orchestersatz demonstriert. In den drei durchgehend verbundenen Sätzen hört man im Klavier in den Extremlagen einerseits komplexe, clusterartige Bildungen, die dann jedoch meist ins gesamte Klangspektrum ausstrahlen und sehr lebendige, ungemein variable Bewegungsmuster generieren. Das brillant instrumentierte Orchester – auf derartigem Niveau fand man dies in Spanien zuletzt eigentlich nur bei Cristóbal Halffter – ist in der Regel ein massiver Gegenspieler des Solisten. Alfonso Gómez, der bereits eine CD mit Soloklaviermusik Erkorekas aufgenommen hat, leistet erneut Erstaunliches und kann mit seinem engagierten Auftritt absolut überzeugen. Für den Rezensenten gehört dieses Klavierkonzert zu den allerbesten Gattungsbeiträgen der letzten 25 Jahre.
Nicht ohne Einflüsse baskischer Folklore
Im zehn Jahre älteren, zum 30-jährigen Bestehen des Baskischen Nationalorchesters komponierten Cellokonzert – der Titel Ekaitza bedeutet Sturm – geht Erkoreka in der Tat Naturphänomenen nach, freilich ohne sie mimetisch zu imitieren. Das Solocello durchlebt eine große Entwicklung, die sich u.a. im Hochschrauben aus tiefster Lage bis zu extremen Flageolets manifestiert. Eine vielschichtige Kadenz hat der fantastische Asier Polo bereits im zweiten Satz zu bewältigen. Ebenfalls ohne auch nur in die Nähe direkter Zitate zu gelangen, bindet der Komponist in dem gelungenen Werk zudem Elemente baskischer Folklore mit ein: Gut zu hören bei entsprechenden rhythmischen Grundierungen und vor allem in mancher mediterranen Melodiebildung im letzten Satz. Insgesamt gibt es bei Ekaitza deutlich mehr Mikrotonalität oder Glissandoeffekte als im Klavierkonzert. Der Dirigent Juanjo Mena – nicht umsonst gerühmt für exzellente Probenarbeit – animiert das 90-köpfige Orchester in allen drei Werken zu Höchstleistungen, ist offensichtlich mit Erkorekas Musik innigst vertraut und realisiert die enorme Ausdrucksspannweite souverän.
Michelangelo-Vertonungen für Countertenor
Die Tres Sonetos de Michelangelo sind durch zwei – weit mehr als nur überleitende – Zwischenspiele verbunden und mit gut 20 Minuten deswegen ein durchaus respektables konzertantes Werk. Der Solopart ist für Countertenor geschrieben, und mit Carlos Mena – jüngerer Bruder des Dirigenten, Schüler u. a. bei René Jacobs und derzeit in der Schweiz lehrend – hat Erkoreka anscheinend den kongenialen Interpreten für seine Sichtweise auf Michelangelo Buonarrotis ungewöhnliche Texte gefunden. Menas Stimme – fachspezifisch natürlich vorrangig mit Alter Musik involviert – besticht durch außergewöhnliche Durchsetzungsfähigkeit und Tonschönheit in der Höhe sowie auffallende Androgynität in mittlerer und tieferer Lage: vielleicht nicht jedermanns Geschmack, aber hier passgenau. Besonders hervorheben muss man die zweite Vertonung (Sonetto XI) mit Begleitung nur von Bläsern – darunter Renaissance-Kornette – und Schlagzeug. Der zeitliche Rückgriff erscheint allerdings stilistisch über Strecken ein wenig gewollt und manieristisch. Mit gutem Booklet – neben baskisch und spanisch leider nur auf Englisch – und beim Ondine-Label schon erwartungsgemäß tadelloser Aufnahmetechnik bietet diese Veröffentlichung drei erstklassige Gelegenheiten, den faszinierenden baskischen Komponisten in seiner ganzen Reife kennenzulernen.
Martin Blaumeiser [03.07.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Gabriel Erkoreka | ||
1 | Konzert für Violoncello und Orchester (Ekaitza) | 00:24:19 |
4 | Tres Sonetos de Michelangelo | 00:20:40 |
9 | Klavierkonzert (Piscis) | 00:26:00 |
Interpreten der Einspielung
- Asier Polo (Violoncello)
- Carlos Mena (Countertenor)
- Alfonso Gómez (Klavier)
- Basque National Orchestra (Orchester)
- Juanjo Mena (Dirigent)