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Besprechung CD

armenian miniatures

Tsovinar Suflyan Piano

Prospero Classical PROSP0096

1 CD • 65min • 2023

26.05.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Seit etwa zehn Jahren lebt die armenische Pianistin Tsovinar Suflyan (Jg. 1989) in der Schweiz, und wie sie selbst schreibt, hat sich in dieser Zeit ihre Beschäftigung mit der Musik ihres Heimatlands eher noch verstärkt. Und so besteht ihr soeben erschienenes Debütalbum aus einer bunten Palette von insgesamt 42 armenischen Klavierminiaturen zu fünf Zyklen, die von Lieder und Tänzen bis hin zu Kinderstücken reichen.

Gründervater der modernen armenischen Musik

Rahmen und Zentrum des Albums bilden drei Zyklen von Soghomon Soghomonian Komitas (1869–1935), der gerne als Gründervater der modernen armenischen Musik bezeichnet wird. Komitas, von Haus aus Priester, sammelte, notierte und bearbeitete in jahrzehntelanger Arbeit etliche (nicht nur, aber natürlich in besonderem Maße) armenische Volkslieder und -tänze sowie liturgische Musik. So hinterließ er der Nachwelt ein Kompendium von Arrangements im deutlichen vierstelligen Bereich, Musik, die ohne ihn wohl teilweise für immer verloren gegangen wäre, gerade angesichts des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich, bei dem auch Komitas zunächst deportiert wurde, was letztlich zur Folge hatte, dass er seine letzten Lebensjahre in der Psychiatrie verbringen musste. Fast sein gesamtes Schaffen besteht aus Vokalmusik, vor allem für Chor, mit Ausnahme einiger weniger Klavierstücke, die sich fast alle auf dieser CD finden (insofern stimmt der gerne vorgenommene Vergleich mit Bartók natürlich nur bedingt).

Eine vorzüglich gestaltende, subtile Interpretin

Komitas’ Klaviersatz ist selbst in den Sieben Volkstänzen (1906), dem umfangreichsten und in mancherlei Hinsicht komplexesten der drei Zyklen, grundsätzlich sparsam gehalten, oft zwei-, manchmal dreistimmig, geprägt von Orgelpunkten und ostinatoartigen Figuren, häufig mit Echoeffekten arbeitend. Eine Musik, die ganz um ihr folkloristisches Melos und die ihr eigenen Modi aufgebaut ist, bei der aber auch der Rhythmus eine wichtige Rolle spielt, etwa in den zahlreichen Nachschlägen in der linken Hand, die Perkussionsinstrumente suggerieren. Komitas arbeitet fast nie mit vollem Klaviersatz, Oktavierungen und erst recht Akkordik kommen nur selten zum Einsatz, zumal natürlich in einem Werk wie den Zwölf Kinderstücken nach Volksthemen (1910). Diese Musik benötigt einen gestaltenden Interpreten, jemanden, der ihre Persönlichkeit und ihre Farben nachzuvollziehen und (über den bloßen Notentext hinaus) idiomatisch umzusetzen vermag. Genau dies versteht Suflyan in exzellenter Weise: die Musik blüht unter ihren Händen auf, sie verleiht ihr Leben, zarte Poesie, sie differenziert vorzüglich zwischen Melos, leisem Echo, Andeutungen von Mehrstimmigkeit und der musikalischen Umgebung. Dabei nimmt sie sich ganz leichte Freiheiten wie u.a. ein relativ großzügiges, aber stets wohldosiertes Rubato, um auf dieser Basis Atmosphäre zu schaffen, die Melodik aufblühen zu lassen, die perkussiven Elemente leise pochen zu lassen, kleinen Ausschmückungen Gewicht zu verleihen, aber stets so, dass die große Linie der Musik nicht aus dem Blick gerät. In dieses Bild passt auch, dass sie u.a. die Sieben Lieder (1911) eine Spur intimer, lyrischer begreift als die Tänze, eher wie kleine Aquarelle.

Von Chatschaturjans Kinderheften zu Babadschanjans musikalischen Bildern

Der armenische Komponist, der nach Komitas die großen Genres bediente (und u.a. die wohl erste armenische Sinfonie schuf) und auf die internationalen Konzertsäle brachte, war Aram Chatschaturjan (1903–1978). Suflyan hat aus seinem eher knappen Œuvre für Klavier das erste Heft seines Kinderalbums ausgewählt, überwiegend 1947 entstanden. Die ebenfalls eher reduzierte Struktur dieser Stücke knüpft im Kontext dieses Albums sehr gut an Komitas’ Miniaturen an, hervorzuheben u.a. Nr. 5, 7&8, und wieder nimmt sich Suflyan Zeit, um den Klängen, Farben und Momenten dieser Musik hinterherzuhören und so eine sehr schöne, poesievolle Interpretation vorzulegen. Mit Arno Babadschanjan (1921–1983) wird das Programm durch einen der begabtesten Komponisten der nächsten Generation ergänzt; seine Sechs Bilder (1963/64) stechen im Kontext dieses Albums als die klangvollsten, vom Klaviersatz her am üppigsten gestalteten Werke heraus. Babadschanjan gelingt es hier auf faszinierende Art und Weise, armenische Folklore mit Zwölftontechnik zu kombinieren und dabei auf kleinem Raum musikalische Bilder von eminenter emotionaler Direktheit und Expressivität zu entwerfen. Die Stärken von Suflyans Interpretation liegen wiederum auf ihrer Lyrik, den zarten Tönen, während ihr die Besessenheit, die beinahe getrieben wirkende Motorik, die der Komponist selbst am Klavier etwa in Nr. 3&6 zu entfachen vermochte, etwas abgeht. Suflyans selbst geschriebenes Beiheft ist eher knapp gehalten; hier gäbe es sicherlich Möglichkeiten, noch stärker ins Detail zu gehen, ohne dass dies den ausgesprochen positiven Gesamteindruck entscheidend schmälern würde. Ein sehr ansprechendes CD-Debüt!

Holger Sambale [26.05.2024]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Soghomon Soghomonian Komitas
1Manushaki (aus: Seven Folk Dances) 00:02:28
2Yerangi (aus: Seven Folk Dances) 00:01:33
3Unabi (aus: Seven Folk Dances) 00:01:51
4Marali (aus: Seven Folk Dances) 00:01:13
5Shushiki (aus: Seven Folk Dances) 00:01:44
6Het u Aradj (aus: Seven Folk Dances) 00:02:23
7Shoror (aus: Seven Folk Dances) 00:04:04
Aram Khatchaturian
8Children's Album (Book 1) 00:17:18
Soghomon Soghomonian Komitas
18Pieces for Children 00:09:08
Arno Babajanian
30Improvisation (aus: Six Pictures) 00:01:55
31Folk Dance (aus: Six Pictures) 00:01:37
32Toocatina (aus: Six Pictures) 00:01:55
33Intermezzo (aus: Six Pictures) 00:01:15
34Choral (aus: Six Pictures) 00:03:04
35Sassoun Dance (aus: Six Pictures) 00:02:39
Soghomon Soghomonian Komitas
36Seven Songs 00:07:45

Interpreten der Einspielung

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