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Besprechung CD

Wirtuozi I Wizjonerzy

Polska Filharmonia Baltycka PFB 0108

1 CD • 74min • 2023

25.04.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Erfreute sich auch auf dem Tonträgermarkt eine Zeit lang Musik für Flöte und Orgel – zwar meist in Bearbeitungsform – größerer Beliebtheit, existieren Konzerte für Flöte(n), Orgel und Orchester als Originalkompositionen ab dem 19. Jahrhundert so gut wie nicht. Dem bot nun die Polska Filharmonia Bałtycka im. Fryderyka Chopina w Gdańsku mit gleich vier Auftragskompositionen – entstanden zwischen 2018 und 2022 – Abhilfe: Die Ergebnisse – natürlich sämtlich in Ersteinspielungen – sind höchst ansprechend.

Fast noch neoklassizistisch: Joanna Bruzdowicz-Tittel

Joanna Bruzdowicz (1943-2021), später verheiratet mit Horst-Jürgen Tittel, ging nach Anfängen in Warschau nach Paris zur legendären Nadia Boulanger sowie zu Olivier Messiaen und blieb dann in Frankreich und Belgien. Spätestens seit ihrem 1. Streichquartett (1983) zählt sie der Rezensent zu den interessantesten polnischen Tonkünstlern. Ihr knappes, traditionell dreisätziges Konzert bezieht sich, fast noch neoklassizistisch, auf die Formen Rondo, Fuge und Toccata, ist virtuos, dabei nie aufdringlich und in der Instrumentation eher zart, ohne jeden Bombast. Mit Łukasz Długosz konnte für die vorliegenden Aufnahmen ein echter Flöten-Weltstar gewonnen werden. An der Orgel demonstriert der langjährige Direktor des Gdansker Orchesters, Prof. Roman Perucki, sein Können – von kantabler Melodik bis zu ausgreifenden Cluster-Kaskaden (in den anderen Werken). Zwischen den beiden Solisten, und darüber hinaus mit dem dynamisch ausgewogen wie klangschön agierenden Orchester unter Leitung von Mirosław Jacek Blaszczyk herrscht ein ständiges, aufmerksames Dialogisieren, dem zuzuhören einfach nur Spaß macht.

Großartige konzertante Tondichtung nach Memlings „Jüngstem Gericht“

Ebenfalls Schüler Nadia Boulangers und in Frankreich hängengeblieben, liefert der aus Bydgoszcz gebürtige Piotr Moss (Jahrgang 1949) mit seiner 25-minütigen Tondichtung Nach Memling seine Sicht auf Das Jüngste Gericht, eins der bekanntesten Triptychen des deutsch-flämischen Malers Hans Memling (ca. 1430‒1494), das heute in Gdansk zu bewundern ist. Naturgemäß gibt es hier stärkere Kontraste, ein größeres, sehr farbiges Orchester, stellenweise wirklich gewaltig, dennoch ebenso mit gelungenen solistischen Wechselspielen: erster Höhepunkt dieser CD.

Postmodernes Wechselbad: Paweł Mykietyn

Wieder völlig anders gibt sich das Konzert für Piccoloflöte, Orgel & Orchester des in Deutschland bislang eher als Filmkomponist bekannten Paweł Mykietyn (geb. 1971), der in der heimatlichen Klassik-Szene freilich längst eine feste Größe ist. Schon vom Titel her zumindest doppeldeutig, beginnt Spa(s)m mit fundamentalen Bass-Eruptionen – nicht nur in der Orgel. Zunächst recht statisch, wird es im kurzen Mittelteil dann äußerst quirlig, gerade fürs Piccolo. Der Schluss ist dann fast provokant zäh, tritt länger auf der Stelle, um dann in einer endlosen, quasi zeitlupenartigen, schlichten Sequenz – die etwa aus dem c-Moll-Präludium von Bachs WTK I stammen könnte – ätherisch zu verebben. Spätestens hier zeigt sich, dass das neue Zuhause des Orchesters – das Danziger Musik- und Kongresszentrum in Ołowianka; auch dies ein Verdienst Prof. Peruckis – nicht nur eine prima Akustik besitzt, sondern darüber hinaus ein perfektes Tonstudio zur Verfügung hat: aufnahmetechnisch allererste Sahne. Und die Orgel – ursprünglich 1988 für die Kathedrale von Lausanne gebaut – verfügt über beeindruckende Qualitäten.

Zum Schluss zwei Flöten, Orgel und Streicher

Zwar nur mit Streicherensemble, dafür aber gleich zwei solistischen Flöten, überzeugt den Rezensenten Dariusz Przybylskis Konzert Canti de’amore e di morte (2022) vielleicht am meisten. Als Organist selbst mehrfach preisgekrönt, gelingt dem 1984 geborenen Komponisten – der in Deutschland u.a. bei York Höller, Krzysztof Meyer und Wolfgang Rihm studierte – eine dermaßen eindringliche, unmittelbar berührende Emotionalität von entwaffnend natürlichem Fluss, dass die 22 Minuten wie im Fluge vergehen. Die beiden Flöten – hier zusätzlich mit Agata Kielar-Długosz – wirken zumeist als Einheit, schwingen sich oft wie eine Doppelhelix durch feinste Streicherklänge. Die Orgel fügt vor allem Farbeffekte hinzu, übernimmt am Ende ein Transzendieren in die Unendlichkeit: ganz tolle Musik. Einziger Wermutstropfen dieser künstlerisch faszinierenden, hochinteressanten Produktion für eine rare Besetzung: Die CD scheint bislang nur im Direktvertrieb über das Orchester erhältlich zu sein und die Texte im wertig aufgemachten Booklet sind ausschließlich auf Polnisch.

Martin Blaumeiser [25.04.2024]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Joanna Bruzdowicz-Tittel
1Konzert für Flöte, Orgel und Orchester 00:10:24
Piotr Moss
4Konzert für Flöte, Orgel und Orchester (Wedlug memlinga) 00:24:44
Paweł Mykietyn
5Spa(s)m für Piccoloflöte, Orgel und Orchester (Spa(s)m) 00:16:38
Dariusz Przybylski
6Canti de'amore e di morte für 2 Flöten, Orgel und Orchester 00:22:27

Interpreten der Einspielung

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