L' Invitation Au Voyage
Prospero Classical PROSP0071
1 CD • 78min • 2022
22.08.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die kulturellen Beziehungen zwischen Russland und Frankreich sind im 19. Jahrhundert bekanntlich besonders eng. Tolstoj lässt seine Adligen in Krieg und Frieden Französisch miteinander sprechen, ohne dies für seine Leser zu übersetzen. Turgenjew, Lebensgefährte der Viardot, verbringt einen Großteil seines Lebens in Paris. Mussorgskij wird zum wesentlichen Anreger Debussys, dessen Schaffen dann wiederum auf Russland kräftig ausstrahlt.
Eine gute Idee...
Der Dirigent Heinz Holliger, der Violinist Dmitry Smirnov und das Kammerorchester Basel begeben sich in ihrem Album „L'Invitation au Voyage“ auf eine musikalische Reise von Frankreich nach Russland, die diesen Verbindungen nachspürt. Protagonist ist Edouard Lalo, der bekanntlich in seinen Violinkonzerten auch Spanien und Norwegen besichtigt hat. Von ihm sind das (unbetitelte) Erste Violinkonzert und das Vierte, das Concerto russe, zu hören. Die Abfolge der dargebotenen Stücke verrät großes Geschick in der „Komposition“ des Programms: Es beginnt, gleichsam mitten in Frankreich, mit Henri Duparcs Vertonung des Baudelaire-Gedichts, das dem Album den Namen gab, wobei die Violine die Rolle der Singstimme übernimmt. Dann hören wir Lalos Konzert Nr. 1 und das ihm stilistisch nahe Konzertstück Introduction et Rondo Capriccioso op. 28 von Camille Saint-Saëns. Mit dem Concerto russe ist schließlich der russische Teil des Programms erreicht. Holliger stellt dem Konzert Lalos drei eigene kammerorchestrale Bearbeitungen russischer Miniaturen gegenüber: zwei Glockenspiele aus Rimskij-Korsakows 100 russischen Volksmelodien op. 24, aus denen Lalo Themen seines Konzerts entlehnt hat, und, Mussorgskijs Lied Mein Liebling Sawischna, eine sprachmelodische Studie, mit welcher wir zum Abschluss gänzlich in der russischen Kultur angekommen sind. Offensichtlich um die Verbindung zu verdeutlichen, wird eines der Glockenspiele zwischen den ersten beiden Sätzen des Concerto russe gespielt.
… nicht restlos überzeugend umgesetzt
Soweit, so gut! Eines schränkt den Wert dieses so klug aufgebaute Album allerdings ein: die Qualität der Aufführungen. Ja, das Kammerorchester Basel spielt sauber und präzise, Smirnov ist ohne Frage ein den technischen Herausforderungen der hochvirtuosen Stücke völlig gewachsener Solist. Letztlich aber liegt über dem Ganzen ein Schleier der Gleichförmigkeit. Holliger ist ein sorgfältiger Dirigent, dem offensichtlich daran gelegen ist, den Orchestersatz durchhörbar zu gestalten und die Wechsel der Klangfarben zu betonen. Aber tonale Zusammenhänge scheinen ihn nicht zu interessieren. So fehlt es zu oft an großen Linien und roten Fäden. Was zu Beginn des Concerto russe ein inniger Instrumentalchor von sanfter Kraft hätte sein können, wird zum Spielen der Einzeltöne. Die zahlreichen Staccati im Finale des F-Dur-Konzerts klingen eher harmlos. Ein genaueres Eingehen auf die Harmonieverläufe hätte belebende Kontraste zu Tage gefördert, die hier leider ausgeblieben sind. Dmitry Smirnov neigt zu einem Vortrag, der sich durch Abschwellen des Tons auf langen Noten auszeichnet. Da dies sehr häufig geschieht, gleich, ob es an der jeweiligen Stelle passt oder nicht, entsteht auf Dauer der Eindruck einer Durchlöcherung der Melodik. In Holligers Dirigat fügt sich dieses Spiel gut ein, die Musik macht es nicht lebendiger.
Norbert Florian Schuck [22.08.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Henri Duparc | ||
1 | L' invitation au voyage (bearb. für Violine und Orchester) | 00:04:48 |
Edouard Lalò | ||
2 | Violinkonzert Nr. 1 F-Dur op. 20 | 00:27:50 |
Camille Saint-Saëns | ||
5 | Introduction et Rondo capriccioso a-Moll op. 28 | 00:09:30 |
Edouard Lalò | ||
7 | Concerto russe op. 29 (I. Prelude) | 00:15:40 |
Nikolai Rimsky-Korssakoff | ||
8 | Zvon Kolokol v Evlascheva Sele op. 24 (Chants russes; bearb. für Streichorchester) | 00:00:41 |
Edouard Lalò | ||
9 | Concerto russe op. 29 (II. Chants russes, III. Intermezzo, IV. Introduction - Chants russes) | 00:17:37 |
Nikolai Rimsky-Korssakoff | ||
12 | Zvonili zvoni v Novgorode op. 24 (Chants russes; bearb. für Kammerensemble) | 00:00:31 |
Modest Mussorgsky | ||
13 | Svetik Savishna (bearb. für Kammerensemble) | 00:01:37 |
Interpreten der Einspielung
- Dmitrij Smirnov (Violine)
- Kammerorchester Basel (Orchester)
- Heinz Holliger (Dirigent)