Territorial songs
Works for Recorder by Sunleif Rasmussen
OUR Recordings 6.220674
1 CD • 73min • 2020
20.03.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
„Wie kann man im 21. Jahrhundert originell und anspruchsvoll für Blockflöte komponieren?“ mag sich Sunleif Rasmussen – der einzige je auf den Färöer-Inseln geborene Komponist –, der am 19. März 2020 seinen 60. Geburtstag feierte und in Skandinavien hohes Ansehen als Sinfoniker genießt, gefragt haben. Zumal dann, wenn sie der Grande Dame des Instruments, mit der man auch noch eng befreundet ist, gefallen müssen. Lustiges Geräuschemachen mit Spucken, Hüpfen und Trampeln? Kann mittlerweile jeder! Stilkopie? Haben andere schon gemacht. Minimal Music mit Folk-, Pop- und Jazz-Anklängen? Vielleicht, aber dann nur als Farbtupfer in einem größeren Kontext. Schauen wir also, was dabei herauskam:
FLOW ist eine neoklassizistische Antwort auf die zur Mozart-Zeit außerordentlich beliebten Quartette für Flöte und Streichtrio. Der Kopfsatz persifliert die klassische Sonatenhauptsatzform durch eine Flötenuhr mit schwacher Feder. Im Zentrum des Mittelsatzes steht eine naturmystische Episode, in der Streicherflageoletts und gleichzeitiges Singen und Spielen auf der Blockflöte – mich erinnert das an den Joik in Lappland – die Zeitempfindung fast aufheben. Das Rondo-Finale nimmt den Duktus von Strawinskys Apollon musagète auf.
Wie gut Solo-Blockflöte und ein virtuoses Vokalensemble (A,T solo 2SATB) harmonieren können, beweist (Jeg), in dessen Text es um ein Paar geht, bei dem der Mann sich mit einer singenden Amsel (Blockflöte B, T, A, S im Wechsel) gleichsetzt. Bezüglich des Vokalsatzes standen Gesualdo hinsichtlich der grenztonalen Harmonik und Wagner in der Behandlung der Alt und Tenor-Soli mit Kreuzungen und klanglich ähnlicher Lage (A: tief, T: hoch) Pate.
Geschichte der Variation
Die Sorrow and Joy Fantasy besteht aus 12 Variationen über ein wahrscheinlich französisches Menuett (um 1670), zu dessen Melodie in Dänemark der Choral Sorrig og Glæde gesungen wird. Rasmussen beginnt mit der Variationstechnik der Entstehungszeit – J. J. van Eyck grüßt freundlich herüber – und entwickelt die Tonsprache über Telemann und die Wiener Csakan-Virtuosen der Schubert-Zeit bis in durchchromatisierte moderne Gefilde. Durch das Festhalten am Zentralton D und die relativ langsame Entwicklung ergibt sich hier ein Berührungspunkt zum Minimalismus. Dieses über gut 10‘ fast pausenlos durchlaufenden Kontinuum im Konzert darzustellen, bedarf einer exzellenten Atemtechnik und einer transzendenten Konzentration bis zum „dicken Ende“ am Schluss.
Färöer-Orkan
Wie ein Orkan fegen die Solo-Streicher (7 Vl., 3 Va., 2 Vc., Cb) in Winter Echoes über die zaghaften Einwürfe der Bass-Flöte hinweg. Diese setzt sich dann mit einem schnellen Wechsel auf das Tenor- und später Alt-Instrument durch. Aus einem Gasthaus hört man Fragmente einer Polka. Die Wogen beruhigen sich zu sanftem Gekräusel, über dem auf der Sopranino-Flöte ein virtuos verspielter Vogelgesang ertönt.
Viele der obigen Elemente finden sich bereits in den Territorial Songs, dem Konzert für Blockflöte und Sinfonieorchester, das von einer älteren Aufnahme für die Geburtstagsanthologie übernommen wurde. So sind das gleichzeitige Singen und Spielen, der rhythmische Drive – der hier besonders von der reich besetzten Schlagzeuggruppe ausgeht – die teilweise vertrackte Polyrhythmik und die Schlüssigkeit der Verläufe hier schon im Kern vorhanden und fassen die bereits vorher gehörten Elemente am Ende der CD noch einmal zusammen.
Alle Werke sind flötistisch vor allem deshalb höchst anspruchsvoll, weil Rasmussen die zwei Oktaven+Terz der einzelnen Stimmvertreter chromatisch voll ausnutzt, wenig Zeit für die Wechsel lässt, schnelle offenliegende Legato-Figuren ohne viel Rücksicht auf günstige Griffverbindungen notiert, die höchste Ansprüche an die Präzision stellen, da jede Schlamperei sofort hörbar würde. Daneben finden sich extrem schnelle Doppelzungen-Passagen und Glissandi, die immer noch poetisch und niemals geräuschhaft klingen dürfen. Etwas, was ungefähr ähnlich klingt, zu improvisieren, was bei vielen avantgardistischeren Werken höchstens dem Komponisten auffallen mag, funktioniert in Rasmussens Kompositionen keinesfalls.
Mit Eleganz und optimaler Klangchönheit
Selbstverständlich sind diese Herausforderungen bei Michala Petri bestens aufgehoben, tonschöneres, eleganteres Blockflötenspiel lässt sich schwerlich denken. Auch sind ihre Partner mit derselben Virtuosität, Konzentration und Aufmerksamkeit bei der Sache und es gelingt in jedem Stück, sowohl die halsbrecherische als auch die poetische Botschaft zu transportieren. Ein Extra-Lob geht an das Danish National Vocal Ensemble für die phantastische Intonationssicherheit und den dynamisch weitgespannten Klang in Jeg.
Leider liegt der Booklet-Text nur auf Englisch vor. Da aber eine mehrsprachige Version der sehr ausführlichen Analysen der einzelnen Werke entweder einen nur mit der Lupe lesbaren Druck oder einen teuren dicken Wälzer erfordert hätten, enthalte ich mich des Punktabzugs. Aufnahmetechnisch ist der relativ niedrige Aufsprechpegel der SACD-Stereo-Spur anzumerken, aber ansonsten nichts zu kritisieren.
Fazit: Wer Zeitgenössisches – bei dem Verläufe noch erlebbar sind – sucht, um sich davon berühren zu lassen, möge hier unbedingt zugreifen. Für Blockflötisten, die wissen wollen, wie vertrackteste Figuren ohne Allüre, mit Eleganz sowie optimaler Klangschönheit auf unterschiedlichen Instrumenten gespielt werden müssen oder die nach einem geeigneten Werk für Hochschulabschluss und Kammermusikprogramm suchen, ist es ein Pflichtkauf. Ebenso für ambitionierte Vokalensembles. Klare Empfehlung!
Thomas Baack [20.03.2021]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
0 | ||
Sunleif Rasmussen | ||
1 | Flow für Blockflöte und Streichtrio | 00:20:43 |
4 | "I" | 00:08:58 |
5 | Sorrow and Joy Fantasy für Blockflöte | 00:10:16 |
6 | Winter Echoes (Hommage à Axel Borup-Jøorgensen) | 00:11:17 |
7 | Konzert für Blockflöte und Orchester (Territorial Songs) | 00:21:00 |
Interpreten der Einspielung
- Michala Petri (Blockflöte)
- Esbjerg Ensemble (Ensemble)
- Danish National Vocal Ensemble / DR (Chor)
- Stephen Layton (Dirigent)
- Lapland Chamber Orchestra (Orchester)
- Clemens Schuldt (Dirigent)
- Henrik Vagn Christensen (Dirigent)