Hermann Goetz
Complete Piano Works
cpo 777 879-2
2 CD • 1h 56min • 2011
30.09.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Es besteht kein Zweifel darüber, dass Hermann Goetz´ Shakespeare-Oper Der Widerspenstigen Zähmung zu den besten komödiantischen Stücken der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehört; lange Zeit jedoch galt es problematisch, sie tatsächlich aufzuführen, weil es unter feministischen Gesichtspunkten und nicht zuletzt solchen der aktuellen gender theory als politisch inkorrekt erschien, auf der Bühne zu zeigen, wie eine Frau gleichsam gezähmt wird. Das Stück selbst ist freilich viel komplexer als diese – zugegeben – chauvinistische Phantasie, und es obläge einer intelligenten Regie, eine mögliche Einseitigkeit der Geschlechterverhältnisse zurechtzurücken. Goetz´ Hauptwerk aber praktisch gar nicht zu inszenieren ist bloße Feigheit und enthält dem Musikleben ein veritables Meisterwerk vor.
Mit der Vernachlässigung seines Hauptwerkes ging einher, dass der jung gestorbene Goetz (1840 – 1876) im Musikbetrieb vollkommen unterrepräsentiert ist. Welche Schätze da noch zu heben sind, hat das Label cpo in der Vergangenheit immer wieder gezeigt; fast alle gewichtigen neueren Goetz-Initiativen gingen von cpo aus. Aktuell nun fesselt die Versammlung sämtlicher seiner Klavierwerke durch Christof Keymer, eine faszinierend reiche Kompilation, die nicht nur sogar unvollendete Werke in behutsamen Ergänzungen durch den Pianisten selbst bringt, sondern darüber hinaus sowohl akustisch wie editorisch sorgfältigst produziert ist – und vor allem, das ist ja schließlich das Wichtigste, glänzendes Klavierspiel hören läßt.
Keymer war letztes Jahr schon auf dem Album „Reveries“ als adäquater Begleiter des phantastischen jungen Hornisten Felix Klieser hervorgetreten (Berlin Classics 0300530, KLASSIK HEUTE berichtete, sh. CD-Besprechung vom 16.10.2013). In diesen zwölf ganz unterschiedlich dimensionierten Stücken zeigt Hermann Goetz eine komplexe Klavierkunst, die auch in zurückgenommen Passagen echt pianistisch ist. Wahrlich phantastisch ist etwa, wie Keymer in der kurzen, aber substanzvollen Fantasie d-Moll etwa die zuckenden Anfangsgesten anspringend intoniert, dann die Kantilenen lebendig hält und die zupackenden Passagen mit großer Kraft herausmeißelt.
Dieses hohe interpretatorische Niveau, das Christof Keymer über die vollen fast zwei Stunden durchhält, ist deshalb so wichtig, weil Goetz´ Werke nicht nur endlich dem Katalog ergänzen, sondern als Kunstwerke präsentiert werden, für die kein Anschlag zu fein, keine Klangmischung zu ausgesucht und keine nach außen drängende Energie zu verschwenderisch ist. Die Transparenz von Keymers Spiel legt vollkommen zu Recht offen, wieviel Goetz Robert Schumann verdankt, besonders natürlich dessen kontrapunktischer Meisterschaft, welche dieser wiederum aus seinen Bach-Studien gewonnen hatte; man höre nur die Baßführung im Waldmärchen!
Die volle Meisterschaft Goetz´ zeigt sich in den einleitenden Genrebildern op. 13 sowie den Losen Blättern op. 7, späten Sammlungen konzentrierter, häufig monothematisch gehaltener und daher kurzer Stücke, in denen sich anzukündigen scheint, wie der späte Brahms und dann, daran anschließend, die Wiener Schule ihre motivischen Gedanken zusammendrängen werden. Keymers Spiel ist hier eine wahre Freude, weil er mit markigem Klang, dennoch gesanglich, all die verschiedenen Tonfälle dieser Miniaturen präzise trifft. Kurz gesagt: Dies ist schon jetzt eine der wichtigsten Produktionen dieses Musikjahrs 2014.
Prof. Michael B. Weiß [30.09.2014]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Hermann Goetz | ||
1 | Genrebilder op. 13 | 00:14:58 |
7 | Waldmärchen - ein Klavierstück | 00:14:45 |
8 | Sonatine F-Dur op. 8 Nr. 1 | 00:12:17 |
11 | Sonatine Es-Dur op. 8 Nr. 2 | 00:09:52 |
14 | Alwinen-Polka | 00:07:08 |
15 | Es ist bestimmt in Gottes Rath (Liedtranskription nach Felix Mendelssohn-Bartholdy) | 00:02:49 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Fantasie d-Moll – Presto | 00:05:37 |
2 | Scherzo F-Dur – Vivace | 00:06:25 |
3 | Kommt ein Vogel geflogen (Volkslied) | 00:00:38 |
4 | Der Widerspenstigen Zähmung (Einleitung zum zweiten Akt der Oper) | 00:02:10 |
5 | Sonatensatz G-Dur – Allegro con moto | 00:05:32 |
6 | Durch Feld und Buchenhallen op. 7 Nr. 1 | 00:02:39 |
7 | Frisch in die Welt hinaus op. 7 Nr. 2 | 00:03:35 |
8 | Einsamkeit op. 7 Nr. 3 | 00:05:00 |
9 | Liebesscherze op. 7 Nr. 4 | 00:03:52 |
10 | Bei dir! op. 7 Nr. 5 | 00:03:30 |
11 | Ihr flüchtigen Winde, wohin, wohin? op. 7 Nr. 6 | 00:03:09 |
12 | Heimatklang op. 7 Nr. 7 | 00:06:36 |
13 | Frühlingsgruß op. 7 Nr. 8 | 00:02:18 |
14 | Auf Wiedersehen! op. 7 Nr. 9 | 00:02:27 |
Interpreten der Einspielung
- Christof Keymer (Klavier)